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Renatus Meszar (Wotan), Heidi Melton (Brünnhilde). Foto: Falk von Traubenberg
Renatus Meszar (Wotan), Heidi Melton (Brünnhilde). Foto: Falk von Traubenberg
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Barfuß im Schnee – In Karlsruhe wird Brünnhilde am Ende der „Walküre“ zur Abwechslung mal tiefgefroren

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Vielleicht ist es ja auch nur eine Erfindung der Chinesen, dass Eis schmilzt, wann man in unmittelbarer Nähe ein Langzeitfeuer entzündet? Der junge amerikanische Regisseur Yuval Sharon kann sich diese metaphorische Schlussbild-Absurdität in seiner „Walküre“-Inszenierung erlauben. Er muss im „Siegfried“ nicht die Antwort auf die Frage liefern, wie das auf die (circa 18 Jahre) Dauer funktionieren würde, die zwischen den beiden Ring-Teilen liegen.

Am Badischen Staatstheaters Karlsruhe wird das Großprojekt von vier verschiedenen Regisseuren gestemmt. Im „Rheingold“ hatte David Hermann seine Chance genutzt, quasi den gesamten Ring bereits mit dem Vorabend der Tetralogie ablaufen zu lassen.

In der „Walküre“ geht es nicht nur um die Götter, sondern auch um die traumatisierten Menschenkinder, die der Göttervater in die Welt gesetzt und deren Unbilden ausgesetzt hat. Bühnenbildner Sebastian Hannak hat Hundings Hütte weggespart und eine schlichte Zwischenwand kurz hinter der Rampe platziert. Als Projektionsfläche für diverse Schatten der Erinnerung. Und mit Türen, die sich wie im Adventskalender öffnen. Als vom Wonnemond die Rede ist, dem die Winterstürme wichen, und die kahlen Bäume hinter den Türen langsam ergrünen, macht das Effekt. Dass Wotan allerdings während Sieglindes „…ein Fremder trat da herein“ auch noch persönlich auftaucht, ist ein verschärftes Beispiel für Sharons Neigung, alles zu illustrieren, was man eh schon hört. Und die Kostüme? Der Zeiten-Mix von Sarah Rolke ist auch nicht gerade erhellend.

Praktisch führt das zu einem Rampenbilderbogen, bei dem vor allem Peter Wedd aus seinem Siegmund eine unfreiwillige Parodie macht. Hinzu kommt, dass der ansonsten imponierend strahlende, wohltimbriert singende Brite ziemlich eigensinnig mit den Vokalen umgeht. Wirklich gelungen ist dem Regisseur (oder eher seinen Darstellern?) die Szene, die Fricka im zweiten Aufzug ihrem Göttergatten liefert. Ewa Wolak ist (wie zu erwarten) eine grandiose Fricka der Spitzenklasse. Da sitzen jeder Ton und jeder Blick. Auf einer mal nach oben, mal nach unten fahrenden Rolltreppe vor vergoldeter Wand, feilscht sie mit Wotan um Siegmunds Schicksal. Renatus Meszar setzt da zu einem vokalen und gestalterischen Höhenflug an, den er mit einem imponierenden Abschied von Brünnhilde krönt. Diese Paraderolle der Hochdramatischen gelingt Heidi Melton (nach ihrer jüngsten Bayreuther Sieglinde) so mühelos wie großformatig. Katherine Broderick überzeugt als Sieglinde und Avtandil Kaspeli ist ein machtvoll düsterer Hunding. Auch die Walküren werfen sich, jede nach ihren Möglichkeiten, in die Heldinnenbrust.

Kurzum: vokal gelingt Karlsruhe eine packende, glanzvolle Ringfortsetzung. Im Graben sind GMD Justin Brown und seine Badische Staatskapelle in Hochform: Vibrierend aufgeregt beim Auftakt des Sturm-Vorspiels, immer sensibel die Dosierung bei der Begleitung der Sänger, mitreißend im Triumph beim Blühen des Wälsungenblutes, betörend entrückt die magischen Momente der Todesverkündigung oder Wotans Abschied. Justin Brown ist im Ringmodus und das Orchester folgt ihm im Detail und beim großen Bogen. Bravi!

Damit freilich hält die Inszenierung des im Programmheft als innovative Regieentdeckung gepriesenen Amerikaners überhaupt nicht mit. Im Detail ist das zuviel Rampe und Gestenkonvention. Im Großen und Ganzen ohne jegliche Deutungsambition jenseits der bloßen Bebilderung. Und dann das Video zum Walkürenritt – das kann eigentlich nur ironisch gemeint sein. Aber gesichert ist das nicht. Schneesturm im Hochgebirge. Durch die Wolken fliegen Walküren heran, springen dann aber in orangenen Anzügen seltsamerweise an Fallschirmen auf ihre Sammelstelle im Eis ab. Doch wenn schon Hollywood, dann hätte man da wenigstens auch mit fliegenden Rössern aufwarten müssen. Dass Brünnhilde barfuß durch den überhaupt reichlich fallenden Bühnenschnee stapfen muss, darauf kommt es hier nicht so an, sie wird ja eh tiefgefroren für Siggi aufbewahrt. Auch, dass sich der Gott ziemlich plagen muss, um mit seinem Speer (der ihm ansonsten die Weltherrschaft verbrieft und mit dem er Wunderschwerter zerbrechen kann) ein Loch für Brünnhilde ins Eis zu hacken, ist kaum erklärbar. Es bewahrt ihn aber vorm Rumstehen. Aus der Rolle wäre er damit nicht gefallen.  Das Premierenpublikum bejubelte in Karlsruhe die Fortsetzung seines Ringprojektes.

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