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Eine riesige Statue mit Baugerüst drumherum. Über ihr sieht man nur noch die Theaterbeleuchtung. Zu ihren Füßen tummeln sich allerlei Menschen. Eine Frau in gelben Kleidern ahmt die Pose der Statue nach: Der rechte Arm mit Schwert nach oben gereckt, der zweite gerade nach hinten gestreckt.

Die Statue „Mutter Heimat ruft“ steht bühnentechnisch im Zentrum dieser Leonore fokussierenden „La forza“. Foto: Alvise Predieri

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Begeisternde Musik bei fragwürdiger Inszenierung: Sláva Daubnerovás „La Forza“-Regie hinterlässt im Aalto-Theater Fragezeichen

Vorspann / Teaser

Als „La forza del destino“ im November 1862 in St. Petersburg uraufgeführt wurde, war Giuseppe Verdi längst weltberühmt. Gut zwanzig Opern – mal mehr, mal weniger erfolgreiche – waren schon geschrieben. Gleichwohl merkte Verdi seiner „La Forza“ rasch einige Schwächen an und dachte an eine Neufassung, die dann sieben Jahre später in der Mailänder Scala präsentiert wurde. 

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Verdis unter Beteiligung des Librettisten Antonio Ghislanzoni überarbeitete Mailänder Version hat sich schließlich durchgesetzt und ist jetzt am Essener Aalto-Theater zu sehen und zu hören – in der Interpretation der slowakischen Regisseurin Sláva Daubnerová. Ihre Intention: den Fokus auf Leonora zu richten, ihr Schicksal zum „roten Faden“ (Programmheft) werden zu lassen – weshalb sie zu den Klängen der Ouvertüre schon gleich dreifach erscheint. Das tödliche Ende wird vorweggenommen, wenn Leonora wie in Zeitlupe die Pistole abfeuert auf ihr Alter Ego, das wie eine Chimäre auf der Bühne steht. Was wir dann in langen drei Opernstunden (die sich in Daubnerovás Inszenierung noch weitaus länger anfühlen) sehen, könnte also eine Rückschau auf das sein, was zuvor geschah. Eine Idee, die allerdings kaum sinnfällig und nachvollziehbar wird. Auch nicht durch den Einfall, Leonora in jenen Akten als eine Art Geist auftauchen zu lassen, in denen sie dem Libretto nach gar nicht vorkommt (Stichwort „roter Faden“). Man ist geneigt anzunehmen, dass intellektuell viel gemeint ist – spürbar wird das aber nicht wirklich.

Es gibt große Bilder, plastisch-realistische wie abstrakte. Ein absoluter „Hingucker“ auf der riesigen Essener Bühne ist zweifellos die Statue einer siegreichen Kriegerin mit hochgerecktem Schwert in ihrer Rechten – verkleinertes Abbild eines 85 Meter hohen Ungetüms namens „Mutter Heimat ruft“ im russischen Wolgograd, dort 1967 errichtet in Erinnerung an die Schlacht von Stalingrad. Umgeben ist dieses monströse Gebilde von einem dreigeschossigen Baugerüst. Ist diese „Mutter“ gerade erst erbaut worden? Oder wird sie aktuell saniert? Jedenfalls tummeln sich darauf und drumherum im Verlauf der Oper etliche Leute, vormals „ganz normales“ Volk, aus dem jetzt nach eifrigem Anwerben der Preziosilla kriegslüsterne Bewaffnete geworden sind: „È bella la guerra! Evviva la guerra!“ Diese Parole tönt ja durch die gesamte Zivilisationsgeschichte!
Aber diese irgendwie verführte Masse ist weitaus weniger spannend als die Tatsache, dass sich Carlo unter sie gemischt hat – auf der Suche nach seiner Schwester Leonora und deren Geliebten Alvaro. Die beiden macht er verantwortlich für den Tod seines Vaters, den Marchese von Calatrava. Dieser kam eher zufällig durch einen Pistolenschuss um, als es Streit um die angestrebte Hochzeit von Leonora und Alvaro gab: Der Hausherr verweigerte dazu seinen Segen.

Per se langweilige Verdi-Oper?

Die hier erzählte Dreiecksgeschichte mit zweifach tödlichem Ausgang (Leonora und Carlo sterben) hat zwar Momente der Spannung (dank Verdis suggestiver Musik), ist ohne beziehungsreiche Personenführung streckenweise aber auch langweilig. Das war ganz anders, als Dietrich Hilsdorf vor 17 Jahren am Aalto-Theater „La forza“ als Familiendrama herausbrachte.

Woran nun die jüngste Produktion keinen Zweifel lässt: an ihrer musikalischen Qualität. Die ist einfach enorm! Da sind ganz herausragende Solistinnen und Solisten, vorneweg Astrik Khanamiryan, die als Leonora einem Lavastrom gleich aufdreht. Leonora fühlt sich unterdrückt, liebt ihren Alvaro, will sich vom Vater nicht fesseln lassen und bricht aus – in ein klösterliches, aber freies Leben. Da gelingen ganz zarte Töne mit intensivem Piano. Carlo, ihr Bruder, ist unsicher und möchte nur, dass alles so bleibt, wie es war. Massimo Cavalletti legt in seine Stimme neben grummelnder Bedrohlichkeit auch eine ganze Portion Unsicherheit hinein. Das tut auch Jorge Puerta als Alvaro, dessen brillanter Tenor aber sonst vor reiner Liebe gekonnt überfließt. Er ist zweifellos der Star der Essener Inszenierung. Mal lyrisch, mal kraftvoll, in jedem Augenblick aber konditionsstark meistert er die mörderische, weil so oft so hoch liegende Partie. Grandios! Auch Roberto Scandiuzzi als Padre Guardiano ist dank seiner raumgreifenden, ebenmäßig timbrierten Stimme und stattlichen Erscheinung eine Autorität. Bettina Ranch gibt als Preziosilla eine hervorragende Marketing-Frau des Militärs. Verführerisch verspricht sie jede Menge Münzen all jenen, die sich für den Krieg begeistern lassen.

Und am Pult? Andrea Sanguineti – auch er ein Star des Abends. Er führt sowohl die Essener Philharmoniker als auch den von Klaas-Jan de Groot einstudierten Chor des Aalto-Theaters mit ungebändigtem Temperament als auch lyrischem Schmelz durch die Partitur. Verdi auf musikalischem Spitzenniveau.

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