Oliver Py und Marc Minkowski überzeugen im Theater an der Wien mit der Urfassung des „Fliegenden Holländers“ von Richard Wagner. Joachim Lange war für uns dabei.
Marc Minkowski und das Orchester Les Musiciens du Louvre stehen in der Barockszene an der Spitze. Sie lassen sich aber schon lange nicht mehr darauf beschränken. Dass Minkowski auch in Sachen Wagner was zu sagen hat, beweist er jetzt bei der jüngsten Neuinszenierung von Wagners „Fliegendem Holländer“ im Theater an der Wien. Vielleicht als Reminiszenz ans Historische mit der Urfassung von 1841. Am Pult peitscht Minkowski mit dem ihm eigenen, zuweilen atemberaubenden Furor denn auch die metaphorischen Meereswogen auf.
Der multibegabte Oliver Py, der sich allemal für die dunklen Seiten einer Oper interessiert, hat den Holländer also ohne den Erlösungsschluss auf die Bühne gewuchtet: als eine diabolisch düstere Albtraum-Story. Py schickt den Satan als Strippenzieher des Bösen ins Rennen. Es ist der halbnackte Tänzer Pavel Strasil, der sich zu Beginn an einem Garderobentisch wie ein Schauspieler selbst schwarz schminkt. Aber auch der Engel Gottes, von dem im Text die Rede ist, darf unschuldsweiss gelegentlich erscheinen.
Auf der Drehbühne lässt Ausstatter Pierre-André Weitz hohe Bretterwände aus Schiffsplanken spitz aufeinander zulaufen. Mal ein Schiffsbug, der auf uns zu fährt, dann ein Schiffsinneres, das zum fahrenden Friedhof mutiert. Die Seeleute Dalands (hier sind es die Schotten Donalds) sind die ewig Reisenden. Mit ihren Trenchcoats, Hüten und Koffern stehen sie genauso für Menschen auf der Flucht, wie die Geistestruppe des Holländers. Da langt Py dann tief in die Gespenstertrickkiste, lässt Gerippe wie „von oben“ geführte Marionetten tanzen und den nackten Satan zwischen seinen seefahrenden Wiedergängern schaukeln. Dass es hier vor allem um ein Lied vom Tod geht, wird durch das Feld aus Kreuzen deutlich. Dann vor allem durch den gewaltigen Totenschädel, der sich nach vorn schiebt und in dessen Augenhöhlen Senta Schutz sucht. Der Satan hatte zuvor unzählige Blätter mit solchen Totenköpfen an seinen Schminktisch gepinnt. Dadurch gewinnt der fanatisch unbeirrbare Tunnelblick Sentas, ihre Todessehnsucht eine beängstigende Dimension.
Da sich Py und Minkowski für die Urfassung entschieden haben, ist diese Todessehnsucht Sentas, die dem Holländer (oder einer Projektion von ihm?) sehenden Auges in die vom Satan bewegte schwarze See (sprich Plane) folgt, nicht durch die musikalische Erlösung am Ende gebrochen. Die fügte Wagner erst später hinzu, als der seinen Holländer von der schottischen an die norwegische Küste verlegte. Mit Kreide hatte Senta zunächst „Erlösung“ an die Wand geschrieben. Am Ende lesen wir dort, ein weit weniger gewisses „Erwartung“.
Das passt zur diabolisch psychologisierenden Sicht von Oliver Py, bei der sich der Holländer und ihr Vater nur wenig unterscheiden, was ähnliche Assoziationsräume öffnet wie bei der Holländer Variante von Claus Guth in Bayreuth. Dem Leiter des Festivals von Avignon ist eine packend düstere Deutung gelungen, die nicht jedes Geheimnis preisgibt, gleichwohl aber durchgängig in ihren Bann zieht.
Gesungen wird auf beeindruckendem Niveau. Samuel Youn ist hier näher an den Zuschauern, als in Bayreuth, wo er aktuell in dieser Rolle reüssiert. Auch aus der Nähe liefert er einen tadellos markigen und hinreichend diabolischen Holländer. Voluminös der Donald (sprich Daland) von Lars Woldt. Ingela Brimberg steuert eine großformatig dramatische Senta bei. Erik, der hier noch Georg heisst, ist bei Bernard Richter in eindrucksvoll strahlender Tenorkehle bestens aufgehoben. Ann-Beth Solvang ist eine warme strömende Frau Mary und Manuel Günther ein mehr als solider Steuermann. Im Theater an der Wien triumphiert die dunkle Seite Richard Wagners. Ein Musiktheaterereignis, wie so oft an dieser Wiener Bühne.