Richard Wagner in Frankreich hat Tradition. Was eine politisch scharfsinnige und ästhetisch triftige „Lohengrin“-Inszenierung betrifft, so hat die Opera Bastille in Paris mit Kirill Serebrennikovs packendem, aber nicht platten Plädoyer gegen den Wahnsinn des Krieges aktuell die Nase vorn. An der Opéra du Rhin in Straßburg beziehen sich Florent Siaud (Regie), Romain Fabre (Bühne) und Jean-Daniel Vuillermoz (Kostüme) mit ihrer Version bewusst auf das dezidiert Romantische an Wagners Schwanenritter-Geschichte.
Beim Schwan wird man kosmisch – Richard Wagners „Lohengrin“ geht in Straßburg an Land
So wird die Bühne von einer an Caspar David Friedrich erinnernden Ruinen-Kulisse samt Freitreppe beherrscht, die im Hintergrund von diversen Videoprojektionen (Eric Maniengui) atmosphärisch ergänzt wird. Da gibt es wallende und ziehende Wolken, eine totale Sonnenfinsternis, wenn Wunder beglaubigt werden sollen, ein antikes Großrelief für den Empfang des Königs und das Gottesgericht, einen Meeresblick und schließlich einen fulminanten finalen Tsunami, vor dessen wuchtiger Riesenwelle die mit ihrem heimgekehrten Bruder, anderen Kindern und Ortrud überlebende Elsa nur deshalb nicht verschlungen werden, weil sie sich vor den Zwischenvorhang an die Rampe retten können. Einen Führer (im Elsass bleibt es beim Original und man weicht nicht, wie in Bayreuth und auch an anderen deutschen Bühnen, mit deutscher Musterschüler-Korrektheit auf den „Schützer“ aus) gibt es also mit Jung-Gottfried, aber eben auch eine Katastrophe.
Bei dem für jede Deutung herausfordernden Schwan wird man in Straßburg kosmisch. Bei der offenbar astronomisch interessierten Elsa verschmelzen der Schreck über das plötzliche Verschwinden ihres Bruders und die Hoffnung auf Rettung durch einen erträumten Ritter mit dem Sternbild Schwan, das sie mit ihrem Fernrohr intensiv beobachtet. Das taucht dann auch in der Videoüberblendung wieder auf, wenn Lohengrin vom Gral zurückgerufen wird und abreisen muss. Dieses Bild (beziehungsweise diese hübsch anzusehende „Ausstattungsausrede“) gehört zu den triftig gelungenen Regiezutaten. Der Umgang mit den militärischen Aufrüstungsreden des Königs findet dagegen nicht zu einer Schärfe, die über ein eher unbeholfenes Choristenarrangement und ein an die Gegenwart erinnerndes Ambiente für Vertragsverhandlungen hinausgehen. Diese Truppe des Königs in ihren blauen Ausgehuniformen ohne Rangabzeichen, aber auch die dunkel uniformierten Brabanter, inklusive der Zivilisten in Schlips-und-Kragen, hätten kaum eine Chance, wenn der Feind aus seinem öden Ost daherkommen würden, wie es der König mit bellizistischer Großmäuligkeit verkündet. Das oft zwischen beliebig und unbeholfene Agieren der Männer des Königs, der Brabanter und ihrer Frauen mag auch an den begrenzten Dimensionen des Straßburger Opernhauses liegen. Die setzen auch der Entfaltung eines Wagnermischklangs Grenzen. Die Verlegung der königlichen Fanfaren in Rang und Logen fügen sich allerdings gut ein.
Es gibt auch ein paar kleine augenzwinkernde Seitenblicke der Regie auf diverse Motivversatzstücke aus anderen Werken Wagners. So die (wenn auch bei einem Ehepaar seltsame) Blutsbrüderschaft von Ortrud und Friedrich. Oder das bei Lohengrins Ankunft zwar nicht in einer Esche, aber in der königlichen Tafel steckende Wunderschwert und später die zerbrochenen Bruchstücke von Telramunds Waffe, die an Nothung im Ring erinnern.
Bei der alles in allem geradeaus erzählten Geschichte bleibt der Fokus von Regie und Aufmerksamkeit im Saal bei den Protagonisten und ihrer darstellerischen und vokalen Charakterisierungsleistungen durch das handverlesen passgenaue Protagonistenensemble.
Johanni van Oostrum erfüllt als atemberaubende Elsa vom Dienst (wie in Paris oder davor in München) höhensicher, jugendfrisch und glasklar in der Artikulation aufs Schönste alle Erwartungen, die mit ihrem Namen verbunden sind!
Als Rollendebütant ist der in letzter Zeit gehypte US-Amerikaner Michael Spyres der Lohengrin an ihrer Seite. Ein Ausnahmesänger, der mit seinem Repertoire schon länger bewusst auf den Lohengrin zugesteuert ist und wie der vokale Gegenentwurf zum lyrisch gralshellen Klaus Florian Vogt wirkt. Spyres fasziniert mit der Bodenständigkeit einer substanzreichen Mitte und bewältigt die lyrischen Höhenflüge der Partie (fast bis zum Schluss) eben auch. Und nicht umgekehrt. Seine gelegentliche Charakterisierung als Baritenor trifft es ganz gut. In seiner Kutte wirkt er in dieser Inszenierung allerdings wie ein Wandermönch und nicht wie ein Wunderritter im Außeneinsatz. So wird auch die Monsalvat-Erzählung zu einer Predigt, bei der er obendrein einzelne Seiten aus dem Buch, aus dem er vorträgt, an seine Zuhörer verteilt. Obwohl mit Spezialauftrag dennoch unterwegs, also eine Art Heilsbringer für alle? Auf jeden Fall gibt er hier wenigstens nicht den Kriegshelden.
Für König Heinrich bietet der Finne Timo Riihonen einen beeindruckenden Bass auf. Josef Wagner ist ein vorbildlich artikulierender viriler Telramund. Einspringerin Martina Serafin auch in der zweiten Vorstellung eine dramatische Ortrud von erheblichem dunklem Bühnencharisma, selbst dann, wenn sie (wie im ersten Akt) nur im Ensemble mitsingt. Edwin Fardini ist ein auch vokal schneidiger Heerrufer. Hier ist ein Ensemble beisammen, das durchweg kraftvoll zur Sache geht und Freude macht.
Letztlich gilt das auch für das Orchestre philharmonique de Strasbourg unter der präzisen Leitung des usbekischen Dirigenten Aziz Shokhakimov, dessen Zeichengebung auch die verteilten Bläser und wogenden Chor-Kleinmassen fast immer willig und erfolgreich folgten. Das Publikum in dem mitten in der Woche so gut wie ausverkauften Haus feierte sie allesamt.
Weiterlesen mit nmz+
Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.
Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50
oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.
Ihr Account wird sofort freigeschaltet!