Wenn so viel „Fledermaus“ in einer Operette steckt wie in Paul Abrahams „Ball im Savoy“ ist der Erfolg vorprogrammiert. Das mondäne, frisch getraute Ehepaar ist gerade ein Jahr um die Welt getingelt, hat sich aber beim Dauerturteln etwas verausgabt. Als es daheim in Nizza in der Luxusvilla mit Butler, Personal und vielen „Freunden“ ankommt, holt ihn die Vergangenheit via Einladung auf den „Ball im Savoy“ ein.
Dieser Marquis Aristide de Faublas hatte seiner einstigen Tangoflamme sein Wort für ein Souper im Chambre Separée gegeben. Die Ehefrau kriegt das mit und wittert sofort männliches Fremdgehen. Sie besorgt sich eine Maskierung, bucht das Nachbar-Separée und schnappt sich den Erstbesten für eine Revanche auf offener gesellschaftlicher Bühne. Was die gute Madeleine am nächsten Morgen zur Heldin der Frauenbewegung macht.
Aber auch ihre alte amerikanische Freundin Daisy Darlington hat es mit der Emanzipation. Sie hat mit ihrem reichen Millionärs Daddy gewettet, dass sie binnen eines Jahres durch diverse Kompositionen berühmt wird, um dann den vorgesehenen Bräutigam ausschlagen und sich selbst einen suchen zu dürfen. Sie macht Karriere unter dem männlichen Pseudonym Paso Doble und lässt auf dem Ball die Katze aus dem Sack. Für sie hält das Libretto den Klischee-Türken vom Dienst, Mustafa Bey, bereit, der seine sechs Exfrauen ebenso auf dem Ball versammelt hat, wie einen Ehevertrag für alle Fälle in der Tasche.
Am Ende hat es keinen Ehebruch gegeben und die Paare leben weiter glücklich bis an ihr Ende …
Für Paul Abraham (1892-1960) begann das Ende als jüdischer Erfolgs-Komponist in Deutschland kurz nachdem diese Jazz-Operette 1932 in Berlin uraufgeführt wurde mit der Flucht in die USA. Das zündende „Es ist so schön, am Abend bummeln zu geh’n“ freilich hat die Verbannung des Stücks und seines Urhebers durch die Nazis überlebt. In Berlin dauerte es dennoch 80 Jahre bis Barrie Kosky diese Operette wieder an den Ort der Uraufführung, an die heutige Komischen Oper, zurückholte. Was ganz unabhängig davon, wie man es macht, in jedem Falle zumindest aufführungsgeschichtlich auch ein politisches Statement ist.
Doch wenn ein Haus wie das hiesige die rechten Zutaten bereithält, dann ist der Ball vor allem ein Operetten-Vergnügen. Da können Anke Berndt als Madeleine und Björn Christian Kuhn als Mustapha Bey ihre Operetten-Vorlieben ausspielen. Da können Ralph Ertel als Marquis seinem stimmlichen Schmelz so eine Art gebremstem Heinz Rühmann Charme beimischen und ein Urgestein wie Gabriele Bernsdorf eine Tangolita-Diva vom Feinsten hinorgeln. Da Elke Kottmair als Jazzkomponist(in) Daisy Darlington zwar nicht aus New York einfliegt, aber immerhin von der Staatsoperette Dresden anreist, das Theater einen so spielfreudigen Chor (Peter Schedding) hat, der alle Verflossenen des osmanischen Supermanns stellen kann (pars pro toto – eine Komödiantin wie Konstanze Winkler als Trude von Berlin!) und natürlich das hauseigene Ballett mitmischt, ist das Vergnügen, am Abend nicht Bummeln, sondern in die Operette zu gehen, gesichert. Andreas Henning und die Staatskapelle sorgen mit der (auch schon in Berlin gespielten) von Matthias Grimminger und Henning Hagedorn rekonstruierten, groß besetzten Originalpartitur für den entsprechenden Schwung.
Dass man mit Tobias Bonn sozusagen ein Drittel von den (in Berlin und der übrigen Operetten-Welt) legendären Geschwistern Pfister nach Halle geholt hat, versprach zudem ein Schräges, etwas aus der historischen Balance gekipptes Vergnügen. Dass der Regisseur und sein Choreograph Danny Costello ihr Beschleunigungshandwerk verstehen und alle gesungenen, gesprochenen, getanzten und auch gekalauerten Ingredienzien so zusammen mischen, dass mitunter sogar recht laut gelacht werden kann, ist keine Frage. Es ist wunderbar wie Ralf-Friedrich Voß seinen Butler Archibald dosiert, wie Schnellsprechnummern eingebaut werden oder Mustapha mit politischen Unkorrektheiten zwischen Hottentotten und Mohamed um sich wirft. Und dass der Ball tatsächlich als solcher auf die Bühne kullert, wird zum puren Slapstick-Vergnügen wenn Anke Berndt sich in ihrem geöffneten Halbkugel Separée über ihren Verehrer hermacht.
Ob es freilich wirklich der Sache dienlich war, das Ganze optisch aus den 20ern in die 60er Jahre zu verlegen, bleibt Geschmacksache. Nicht nur, weil das kräftige Ornamentmuster im Bühnenhintergrund ziemlich gruslig, und Heike Seidlers Kostüme Geschmacksache sind. Die Sache mit der Emanzipation hat um 1930 immer noch mehr Brisanz als in den Sechzigern. Kaum vorstellbar, dass da die Hochzeitsnacht wirklich die erste gemeinsame zwischen dem Marquis und seine Frau war. So sicher war das selbst in der Generation davor nicht. Dem Operetten Vergnügen hat es nicht geschadet.