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Małgorzata Pawłowska ¬ Noah Xuhui Du a. G. Foto: © André Leischner
Małgorzata Pawłowska ¬ Noah Xuhui Du a. G. Foto: © André Leischner
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Bilanz im Theater Plauen Zwickau: Musiktheater-Tod und Bauch-Aufschlitzen

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Kammeropern mit der Schicksalswucht eines apollinischen Orakels. Peter Eötvös' „Radames“ (1976/97) und „Harakiri“ (1973) haben es auf der Kleinen Bühne Plauen in sich. Der erste Einakter ist ein Abgesang auf die Kunstform Oper, der zweite ein Kommentar zum Tod Yukio Mishimas. Der scheidende Generalintendant Roland May, Operndirektor Jürgen Pöckel und GMD Leo Siberski konnten nicht ahnen, mit welcher Schärfe der tatsächlich zum geplanten Zeitpunkt stattgefundene Premierenabend mit der Kulturkrise durch die Pandemie und den Angriff Russlands auf die Ukraine koinzidiert. Gnadenlos und freudlos.

Für Generalintendant Roland May und den Regie führenden Operndirektor Jürgen Pöckel ist es die letzte Musiktheater-Produktion, bevor im Spätsommer Dirk Löschner zur Leitung des Theater Plauen Zwickau antritt. Beide kann nichts mehr erschüttern. Wagners „Lohengrin“, das geplante Festfinale ihre Amtszeit, wurde komplett gestrichen. Händels „Tamerlano“ kam – in der Corona-Not frisst der Opernteufel Fliegen – als in zwei Abende geteilte Premiere heraus. In strukturell schwieriger Zeit setzten May und Pöckel immer wieder Glanzlichter: Rossinis „Wilhelm Tell“, Glanerts „Jud Süß“, „Königskinder“ und „Perlenfischer“ waren einige Höhepunkte seit 2009. Sie kennen das Musiktheater-Repertoire also sehr gründlich. Deshalb könnte man in dem von der vorletzten unfreiwillig auf die letzte Musiktheater-Position gerückten Eötvös-Doppel dramaturgische Hintergedanken vermuten. Der Kammerabend mit fünf Darstellern, sechs Musikern (inklusive GMD Leo Siberski) und Pöckel als Prologist macht keinen versöhnlichen Opern-Schmus, wie man ihn zu einem Intendanz-Abschied sonst ansetzt. Innere Fügung, Hellsicht, Absicht, Durchblick? Von jedem etwas und zusammen betrachtet ein fataler Schlussstrich in finsterer Kriegszeit.

„Radames“ ist ein Requiem auf die Kunstform Oper kurz vor dem schleichenden Theatertod. Vom künstlerischen Personal blieben nur zwei inszenierende Spartenleitende unter Vertrag. In Aktion treten zudem ein Filmregisseur als Videokünstler und der unkündbare Countertenor, welcher in allen Partien des eingedampften Arrangements von Verdis Prachtoper „Aida“ ohne Chor und Orchester, dafür mit E-Piano seinen letzten großen Auftritt bekommt. Der Sänger erscheint in blanker blütenweißer Unterwäsche zum Schwanengesang mit Sparorchester. Kostüme und Requisiten in der Wanne und von der Stange gibt es auch. Die Spielleitungen des Musiktheaters (Małgorzata Pawłowska) und des Schauspiels (der Bariton Marcus Sandmann singt als einziger volltönend) sowie der mit Spule und Spot hantierende Filmregisseur (Johannes Fritsche) tragen schon zum letzten Probengefecht ihren Premierenanzug. Sie feiern die professionelle Selbstauslöschung mit Schampus. Davor zelebrieren sie große Vergangenheit – die kreative Eigenleistung ist versickert. Eötvös kombinierte theatertheoretische Texte von András Jeles, László Najmányi und Manfred Niehaus zu Worthülsen neben von der Operndirektorin abgespulten Interpretationsangaben aus dem „Aida“-Kosmos. Der junger Sänger Noah Xuhui präsentiert sich im ausgezehrten Partien-Ungetüm aus Verdi-Reminiszenzen und Abbruch-Melodik äußerst tapfer. Dafür ereilt ihn ein schöner Bühnentod: Erwürgt und erschöpft birgt der brüchige, scharlachrot ausgebleichte Bühnenvorhang die sterblichen Überreste des letzten Counter- statt Strahletenors. Schwarzweiß-Videos aus einem maroden Gebäude in Nähe des Zwickauer Doms bilden den aussagekräftigen Abwrack-Hintergrund.

Der junge Eötvös machte da weiter, wo Mauricio Kagel mit seinen versachlicht-absurden Musiktheater-Stücken hinwollte. Eötvös‘ Partitur ist ein Konglomerat ‚realer‘ Klänge. Sie schafft keinen Übergang, keine Überhöhung, keine Übertreibung – sie setzt nur genau das in Töne, was gerade passiert. Ein großer Wurf des kleinen Verstummens: Das avantgardistische Secco-Rezitativ mit zeitgemäßer Continuo-Combo aus E-Piano (GMD Leo Siberski greift in die Tasten und zum Regler), Horn, Tuba, Sopransaxophon ist wie von Arien befreite Anorexia nervosa. Harmonie-Haut schlottert über den Partitur-Knochen. Eine vorbildhafte Abspeckung also von sinfonischer Fülle und Orchesterpersonal. Natürlich spielte man Eötvös‘ Verdi-Verramschung in der noch aussagekräftigeren Fassung von 1997.

„Harakiri“ war danach ein ‚echtes‘ Requiem. „Szene mit Musik in japanischer Sprache für Frauenstimme, einen Sprecher in Funktion eines Übersetzers (in Landessprache), zwei Shakuhachi (oder zwei Bassklarinetten) und Holzhacker“ lautet der originale Untertitel des affirmativen Nekrolog-Kommentars von Eötvös und István Bálint zum Tod von Yukio Mishima. Pöckel inszenierte ihm geradlinig mit aus der Sprachbehandlung von Risa Matsushima erwachsenden Emotion. Johannes Fritsche, der Video-Einpeitscher aus „Radames“, ist jetzt der präzise Holzhacker mit rotem Oberkörper. Auch in „Harakiri“ werden Małgorzata Pawłowska und Marcus Sandmann zu Spielleitern, welche nach dem „Radames“-Darsteller die leidende Frau in den Tod geleiten. Andrea Eisensee konzentrierte sich in ihrer Ausstattung auf das Wesentliche. Sie verzichtet für dieses Theater der Sparsamkeit auf jedes atmosphärische Requisit und Kostüm. Eisensees bestechend gewichtiger Kommentar fällt erst nach dem zweiten Teil auf: Den Aida-Allrounder in „Radames“ umhüllt beim Sterben der schwere Bühnenvorhang wie in traditionellen Inszenierungen ihr Schleier  „Madama Butterfly“, die berühmteste Harakiri-Operntote. Schön eklig auch das aus dem Blecheimer über den Bühnenboden verteilte, an säuerliche Gammel-Bolognese erinnernde Gekröse.

  • Wieder am Mi 20.03., 18:00 Uhr – Di 19.04., 19:30 Uhr – So 08.05., 18:00 Uhr – Sa 21.05., 19:30 Uhr – Sa 28.05., 19:30 Uhr (ab 14 Jahren)

 

 

 

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