Die Premiere von Franz Schrekers „Der Schmied von Gent“ fand bereits im Februar 2020 in Antwerpen statt. Dass diese Koproduktion mit der flämischen Oper nun erst fünf Jahre später ans Nationaltheater Mannheim kam, lag zum einen an der Coronapandemie, zum anderen an der deutlich späteren Fertigstellung der neuen, 800 Plätze bietenden Ausweichspielstätte OPAL (Oper im Luisenpark). Das Opernhaus am Goetheplatz wird seit Sommer 2022 saniert. Auch im OPAL entfaltet das ambitionierte Opernregiedebüt von Ersan Mondtag mit seiner expressionistischen Überzeichnung und märchenhaften Farbigkeit, aber auch mit seiner politischen Schärfe und dem karikierenden Zugriff starke theatralische Wirkung.

v.l.n.r Joachim Goltz (Smee), Sung Ha (Herzog Alba). Foto: Christian Kleiner
Bilderfluten mit Anlaufschwierigkeiten bei Franz Schrekers „Der Schmied von Gent“ in Mannheim
Dass das Orchester des Nationaltheaters Mannheim den Pianobereich leider nie ausschöpft und die differenzierte Dynamik in Schrekers Partitur meist auf ein gesundes Mezzoforte nivelliert, liegt nicht an der Saalakustik, sondern am Dirigat des ersten Kapellmeisters Jānis Liepinš. Auch wundert man sich darüber, dass gerade im ersten Akt die Koordination zwischen der rechten und der linken Seite im Orchestergraben nicht rund läuft – zwischen Schlagzeug und Bläsern klappert es immer wieder. Die musikalischen Anlaufschwierigkeiten bekommt Liepinš aber im Laufe des Abends weitgehend in den Griff und liefert mit dem Mannheimer Orchester eine plastische, gelegentlich etwas überdeutliche Interpretation von Schrekers Musik.
„Der Schmied von Gent“ ist Franz Schrekers letzte zu Lebzeiten aufgeführte Oper. Seine für das Theater Freiburg geplante Oper „Christophorus“ zog er nach massiven Drohungen der Nationalsozialisten wieder zurück. Sie wurde dort erst 1978 uraufgeführt. Obwohl der jüdische Komponist mit „Der Schmied von Gent“ ein „ganz primitives, naives Theaterwerk, eine Oper für Jedermann“ schreiben wollte, führte die Uraufführung am 29. Oktober 1932 in Berlin nicht zuletzt durch antisemitische Randalierer zu einem Misserfolg und wurde schon nach wenigen Aufführungen abgesetzt. Seine „große Zauberoper“ klingt anders als Schrekers frühere Werke „Der ferne Klang“ oder „Die Gezeichneten“. Statt der Klangfarbe steht der Rhythmus im Mittelpunkt. Schreker greift auf traditionelle Formen wie Volkslieder oder Tänze zurück, vereinfacht die Harmonik auf Kosten der Raffinesse und sorgt in seiner musikalischen Umsetzung des von ihm geschriebenen Librettos nach „Smetse Smee“ von Charles De Coster für hohe Textverständlichkeit.

vorne Mitte Sung Ha (Herzog Alba), Seunghee Kho (Astarte), Joachim Goltz (Smee), Opernchor. Foto: Christian Kleiner
Regisseur Ersan Mondtag verklammert Musik und Szene eng, lässt das Personal im Freeze erstarren, um dann die Bruegelschen Wimmelbilder seiner Inszenierung wieder mit musikalischen Abläufen zum Leben zu erwecken. Mondtags Bühnenbild ist Lebkuchenhaus und Geisterbahn zugleich. Auf der einen Seite zeigt es das verwinkelte, mittelalterliche Gent, auf der anderen ein Baby verschlingendes Monster. Die grellbunten, historisch verorteten, expressionistisch überzeichneten Kostüme von Josa Marx stellen eine märchenhafte Welt vor, die aber auch erschütternde Realität werden kann, wenn sich die Hauptfigur Smee vor dem dritten Akt in den belgischen König Leopold II. Verwandelt. Aus dem protestantischen, von den katholischen Spaniern unterdrückten Schmied wird in Mondtags Erzählung selbst ein furchtbarer Unterdrücker, der in der belgischen Kolonie Kongo rund 10 Millionen Menschen verstümmeln und ermorden ließ.
Joachim Goltz singt und spielt diesen Schmied, der für den wirtschaftlichen Erfolg einen Pakt mit dem Teufel eingeht, mit nie nachlassender Präsenz. Sein profunder Bariton hat Leichtigkeit und Wucht. Dass dieser Smee über Leichen geht, zeigt er bereits im ersten Akt, wenn er seinen Konkurrenten Slimbroek (mit hellem Tenor: Christopher Diffey) mit der Pistole bedroht oder im zweiten die beiden Teufel (schön dämonisch: Uwe Eikötter, Sung Ha) humorlos abknallt. Mit der betörend singenden Teufelin Astarte (stark: Seunghee Kho), die nicht nur mit eindrucksvollen Hörnern beeindruckt und bis zum Schluss immer wieder auftaucht, geht Smee sanfter um. Mit Julia Faylenbogen ist eine in sich ruhende Ehefrau an seiner Seite, die Smee mit ihrem vollen, über eine entspannte Tiefe verfügenden Mezzosopran Halt gibt. Die vielen kleineren Rollen sind solide besetzt. Chor (Leitung: Alistair Lilley) und Kinderchor (Leitung: Anke-Christine Kober) des Nationaltheaters Mannheim überzeugen mit Homogenität und enormer klanglicher Präsenz.
Die überbordende Bilderflut des Regisseurs wird im dritten Akt gebündelt. Der zu König Leopold II. Mutierte Smee muss die 1960 gehaltene Rede von Patrice Lumumba, des ersten Präsidenten der freien Republik Kongo, anhören. Die abgehackten Hände, die er im Korb dabei hat, wirft er vor lauter Frust über so viel Freiheitswillen auf den Boden, macht eine Waffelbar auf und verteilt ein paar dieser belgischen Spezialitäten im Publikum. Am Ende kommt Smee zu den schwebenden Glissandi des Chores doch noch ins von Petrus (Bartosz Urbanowitz) bewachte Himmelreich, bevor ihm Astarte aber den weißen Bart abreißt und eine Blutspur offenlegt.
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