Ein Spielzeit-Auftakt mit einer Operette, die der Hausherr inszeniert – das ist per se ein Statement. In Magdeburg geht der regieführende Intendant Julien Chavaz mit Paul Abrahams einst höchst erfolgreicher „Blume von Hawaii“ ins Rennen. Auf den ersten Blick signalisiert das die Absicht, das Publikum durch Unterhaltung vom Feinsten ins Opernhaus (zurück) zu locken. Und es beweist den Mut zum Risiko, die Saison mit dem Tempo, Übermut und Glamour der 30er-Jahre, also mit der Dynamik kurz vor der Schussfahrt in den Abgrund des vorigen Jahrhunderts zu starten.
„Blume von Hawaii“ – Oper Magdeburg startet Spielzeit mit Inszenierung des Intendanten Julien Chavaz
Paul Abraham (1892-1960) und seinem Werk hat der Zivilisationsbruch durch die Nazis übel mitgespielt. Heute ist jede Abraham-Operette eine Art Wiedergutmachung und braucht einen gewissen Ausgrabungsehrgeiz. „Viktoria und ihr Husar“, „Der Ball im Savoy“ oder „Die Blume von Hawaii“, die 1931 in Leipzig uraufgeführt wurde, machten Abraham populär. Als sein „Märchen im Grand Hotel“ 1934 nur noch in Wien herauskommen konnte, war der jüdische Komponist schon auf der Flucht vor dem Rassenwahn der Nazis. Sie führte ihn über Budapest und Kuba in die USA, wo er schließlich in einer Heilanstalt landete.
Seinem Werk erging es nicht anders als dem von vielen seiner Komponistenkollegen und -kolleginnen mit ähnlicher Biografie. Die dogmatisch dominierende Nachkriegsmoderne verzögerte die Rückkehr vieler von den Nazis verfemter Werke auf die Bühnen.
Das Libretto von Alfred Grünwald, Fritz Löhner-Bender und Emmerich Földers ist ziemlich operettenverzwickt, schon weil die Schauplätze zwischen Hawaii und Monte Carlo pendeln. Die USA sind gerade dabei Hawaii zu kassieren, da soll durch Rückkehr, Krönung und Heirat der Hawaiianischen Prinzessin Laya mit Prinz Lio-Taro den Amerikanern (und ihrer Gouverneurin Laura Harrison) noch einmal ein Strich durch die Annexionsrechnung gemacht werden. Was natürlich nicht gelingt. Dafür gibt es ein ziemlich verwirrendes Liebes-Wer-mit-Wem, samt diverser Unwahrscheinlichkeiten, über die das Publikum freilich von der hier dazuerfundenen, ehemaligen Operetten-Diva Frau Schröder dankenswerterweise immer wieder aufgeklärt wird.
Chavaz umrahmt die eigentliche Geschichte mit einem Besuch bei Frau Schröders Metzger – irgendwann heute, irgendwo hierzulande. Auch wenn Sie hier jeden Freitag ein Biohun kauft (das selbstverständlich nur in Papier eingewickelt wird und ohne Plastiktüte in die Einkaufstasche wandert), ist sie mit dem Kopf und ihrem Herzen freilich in jenem Operetten-Hawaii von Abraham.
Susi Wirth spielt das hinreißend, immer leicht neben der Spur, reißt aber mit ihrer Schwärmerei die bis dahin wenig operettenaffine Fleischereifachverkäuferin Dani dazu hin, eine Leerstelle in einem Irgendwo-Theater auszufüllen. Dort hat man den, bei Abraham ganz im Geist seiner Zeit mitspielenden, schwarzen Jazz-Musiker Jimmy, im Geiste unserer Zeit, gestrichen. Immerhin benennt man in Magdeburg die so entstehende Leerstelle offensiv als solche und füllt sie mit einem Nebenjob für die Fleischverkäuferin.
Für sich genommen funktioniert das Ganze als mitreißendes Theaterereignis auch ohne einen echten oder schwarz geschminkten Jazz-Musiker. Schon, weil sich Carmen Steinert als Dani nach anfänglichem Sträuben mit wachsender Begeisterung und mit lakonischem Charme auf die ihr aufgedrängte Rolle gekonnt einlässt. Dass Jimmys melancholisches Solo im dritten Akt dann nicht mit „Schwarzes Gesicht, wolliges Haar, großes Saxophon“ sondern bei Dani mit „Blasses Gesicht, strähniges Haar, wenig eloquent“ beginnt und auch sonst auf „heute korrekt“ umgedichtet ist, bleibt eine unter die Show geschmuggelte Nachdenk-Papierblume. Blendet man die zunehmend absurderen Debatten um das Blackfacing (das in der Absetzung einer Inszenierung von Ernst Kreneks „Johnny spielt“ im Münchner Gärtnerplatztheater ihren bisherigen Tiefpunkt erreichte) aus, dann ist das eine in sich stimmige Variation der Geschichte. Macht man das nicht, umweht die Magdeburger Bearbeitung ein Hauch von Ärgervermeidungsstrategie. Wobei man sich mit Sorge fragen kann, wann alle anderen fröhlich mit Klischees spielenden Operetten (nicht nur der Zigeunerbaron, der schon dran war) und dann die Zauberflöte und ähnliche Hochkaräter rückwärts durchkorrigiert werden. Irgendwann landen wir dann beim O* Wort fürs Genre, weil sich niemand mehr zur Operette zu bekennen wagt.
Aber das sind Schwarzmalereien für die Zeit nach dem einhelligen Jubel über die mitreißende Variante dieser Abraham-Operette, in der ein spielfreudiges Ensemble exzellent unterhält und für die die Regie und der Graben genau das richtige Tempo finden. Kai Tietje setzt seine ganze Musical- und Operettenkompetenz ein, um die Magdeburgische Philharmonie mit Verve und Sinn für die Show atmosphärisch mitzureißen und auf Hawaii- und Golden-Twenties-Kurs zu bringen.
Das (mikroportverstärkte) Ensemble und der fabelhaft von Martin Wagner einstudierte und mit prächtigen Kostümen bedacht Chor sind in Topform. Die Bühne auf der Drehbühne hat Jamie Vartran wohltuend auf Transparenz abgerüstet, was die Kostümopulenz von Wojciech Dziedzic bestens in Szene setzt. Einschließlich Pfauenfederkopfschmuck und Glamour und für das mit Lust am schwulen Klischee geschwungene auch männliche Tanzbein. Da lässt der Käfig voller Narren grüßen, hat hier doch die Korrektheits- bzw. Dramaturgenzensur zum Glück fürs Feuerwerk der Effekte noch nicht zuschlagen. Auch sonst beherrschen sie das leicht ironische dabei nie desavouierende Spiel mit den Klischees ganz fabelhaft. Wenn der Widerstand in Hawaii königlich ernst wird, und die Amerikaner aufmarschieren, ist es dem prachtvollen Gewand von Prinzessin Laya und ihrem Verehrer Kapitän Stone zu verdanken, wenn ein Hauch von Puccini-Parodie durch den Raum weht.
Meike Hartmann macht dabei sowohl als Prinzessin, als auch in ihrem Exil-Inkognito als Varietee-Star Suzanne Provence eine fabelhafte Sopran-Diven-Figur. Als ihr Verehrer Stone (der sich weigert, sie auf Befehl der Gouverneurin festzusetzen und von Laya mit Thronverzicht freigekauft wird) avanciert Stefan Sevenich mit seinen hinreißenden Tanzeinlagen (im Stile von Dirk Bach) zum Publikumsliebling. Alexander Sprague steuert als Prinz Lilo-Taro melancholisch schwärmerischen Tenorschmelz bei. Als Bessi und Buffy sorgen Emilie Renard und Adrian Domarecki immer wieder dafür, dass es im Theater auf dem Theater weitergeht. Am Ende bleibt alles in der Metzgerei ein Operettentraum über die Generationen und den Alltag hinweg. Dass an diesem Abend hochverdienter Jubel und Fragen bleiben, ist nicht das Dümmste, was einer Operette heutzutage passieren kann.
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