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„Parsifal“ Grand Théâtre de Genève 2023. Foto: Carole Parodi
„Parsifal“ Grand Théâtre de Genève 2023. Foto: Carole Parodi
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Blutige Wände – Michael Thalheimer und Jonathan Nott formen in Genf einen „Parsifal“ nach ihrem Bilde

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Da die Welt, in der Richard Wagners Werke leben, so etwas wie ein eigenes Universum ist, fragt man sich am Ende, nach dem eindrucksvollen „Parsifal“, der gerade mitten in der Woche im Grand Théâtre de Genève vor nicht ganz gefülltem Saal über die Bühne ging, ob man von diesem Regisseur auch einen „Ring des Nibelungen“ durchexerziert bekommen möchte. Gelegenheit für Blutbäder und die notorische Brutalobühnenbild-Metaphorik, die bei Michael Thalheimer zum Markenkern gehören, böte die Tetralogie.

Den „Fliegenden Holländer“ und jetzt auch den „Parsifal“ hat er immerhin so eigenwillig und radikal reduziert, wie bei ihm so Sitte, gestemmt. Aber die Erinnerung an seinen Hamburger Grand-opera-Versuch mit den „Trojanern“ lassen den Ring-Zweifeln viel Raum.

Dass ein dezidiert europäisch denkender Intendant wie Aviel Cahn, der schon die Flämische Oper fest in der Welt des europäischen Theaters (um nicht zu sagen Regietheaters) verankert hat, ausgerechnet Thalheimer für seinen zweiten Wagner in den so französischen Teil der Schweiz geholt hat, passt zur Entdeckerlust, die den Intendanten und den Regisseur offensichtlich umtreiben. Das Ergebnis gibt ihnen durchaus recht. Auch wenn die einhellig zustimmende Reaktion des Premierenpublikums eher fairen Respekt vor erbrachter Leistung, als unbändiger Begeisterung zuzuordnen ist.  

Zunächst war Jonathan Nott als Dirigent des Orchestre de la Suisse Romande bei dessen Ausflug ins Allerheiligste der wagnerschen Kunst-Religion Marke Eigenbau, die richtige Wahl. Nott braucht für den ersten Aufzug „nur“ eine Stunde 39 Minuten, wirkte aber trotzdem nicht überhastet, sondern in sich stimmig. Er imaginiert den großen Klangraum und wahrt allemal jenes Maß an Selbstbescheidung, das den fabelhaften Protagonisten alle Möglichkeiten lässt mit beispielhafter Textverständlichkeit zu glänzen. Was ausdrücklich auch die Blumenmädchen (Juliette Lozano, Tineke van Ingelgem, Louise Foor, Valeriia Savinskaia, Ena Pongrac, Ramya Roy) einschließt. Ein Privileg, von dem die deutschsprachige Abteilung des Publikums das Meiste gehabt haben dürfte.

Gesungen wird jedenfalls durchweg auf beglückendem Niveau. Natürlich von der rollenerfahrenen Tanja Ariane Baumgartner als geradezu emanzipierter Kundry. Die beherrscht, wenn sie auftritt, die Szene und verleiht ihren Offerten an Parsifal mit vorgehaltener Pistole Nachdruck. Dass sie am Ende des zweiten Aufzug kurzerhand nicht sich selbst, sondern Klingsor (kraftvoll: Martin Gantner) erschießt, treibt dieses Selbstbewusstsein auf die Spitze. Und verblüfft als jähe Wendung in einem sonst gemächlich zelebrierten Ablauf, in dem vieles nur durch die Musik oder die Mimik der Akteure imaginiert wird. Wie etwa der Karfreitagszauber, der mit Lichtveränderungen auskommt, die man sich selbst vielleicht nur einbildete. Bei der zweiten Enthüllung des Grals (die auch nicht mit einem Kelch oder etwas vergleichbarem beglaubigt wird) beeindruckt vor allem das sichtbare Mitleiden Parsifal. Der sitzt an der Rampe, während sich Amfortas gegen die erneut von den Gralsbewohnern erzwungene Enthüllung wehrt, und vollzieht dessen Leiden in seiner Mimik nach. Man könnte fast glauben, dass er selbst die Erfahrung macht und das Geschehen hinter ihm nur seine Imagination ist. Das sind starke Momente der reduzierten szenischen Umsetzung. Machtvoll aber weniger überzeugend ist dagegen die körperliche Versehrtheit, mit der sich der mit konditionsstarker Eloquenz aufwartende Tareq Nazmi als Gurnemanz an zwei Krücken über die Bühne schleppt. Man versteht die Absicht – aber ihre Konsequenz nervt. Soll es ja vielleicht auch. Dem Amfortas, mit dem sich Christopher Maltman das erste Mal diese Rolle mit atemberaubender vokaler Präsenz anverwandelt, genehmigt der Regisseur am Ende, nach der Berührung des Speers, immerhin die Rückkehr zum aufrechten Gang. 

Seinem Parsifal (unangestrengt geschmeidig und mit einnehmendem Timbre: Daniel Johansson) vergönnt Thalheimer zwar so etwas wie eine Reise zu sich selbst. Er zwängt sich während des Vorspiels – nur in langer weißer Unterwäsche aus dem Spalt zwischen den zwei wuchtigen Kuben, die die Bühne von Henrik Ahr solitär beherrschen. Die werden für die Enthüllung des Grals und (nur geringfügig variiert) auch für Klingsors Reich um Seitenwände zu einem Innenraum erweitert. 

Parsifal reift (hier wird der Raum halt auch mal zur Zeit) sichtbar. Er trägt lange Hosen, wenn er unter die durch die Kostüme von Michaela Barth im wahrsten Wortsinn aufgerundeten Blumenmädchen fällt. Zurück kehrt er im dunklen Gewand, gestützt auf den Speer (ohne den gehts eben doch nicht) und im Gesicht weiß geschminkt mit blutrotem Mund. Aber wenn Kundry, Gurnemanz und Amfortas fast unbemerkt abgehen, schminkt er sich nicht nur diese Maske ab, sondern zugleich jede Hoffnung auf irgendeine Art von Erlösung. Ist eben doch kein Joker für diese Welt. 

Wenn die Gralsbesatzung (der Chor des Hauses hat Alan Woodbridge zu machtvollem Stimmeinsatz geführt!) vorher gierig nach Leben (und Blut?) herumirrte, stehen jetzt alle erstarrt rechts und links am Rand und reagieren nicht auf Parsifals finale Offerte eines dauerenthüllten Grals. Niederschmetternder geht es kaum. Dass während des Gralsrituals die alle Wände mit Blut beschmiert werden und die im Hintergrund selbst zu bluten anfängt, während sich Amfortas dort auf halber Höhe windet, als wäre er Jesus am Kreuz, ist einerseits große Metaphorik, andererseits aber auch eine etwas kleinheiligere Reminiszenz. Es war Hermann Nitsch, der in Bayreuth vor zwei Jahren die „Walküre“ zu einer halbszenischen Aufführung und einer ausgiebigen Farbschüttorgie machte. So wie Kundry hier auf der blutverschmierten Wand mit „Durch Mitleid wissend“, dann „Der reine Tor“ und schließlich „Parsifal“ klärendes beisteuerte, hatte das schon einen selbstreferenziellen Witz, der am Genfer See und auf dem Grünen Hügel ein Schmunzeln hervorlocken könnte. Wo es doch sonst nichts zu lachen, aber doch Grund zur Freude gab.

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