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Ensemble. Foto: Thilo Beu
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In Bonn: Familie „Karl Marx in London“ von Jonathan Dove und R. Weber uraufgeführt

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Karl Marx (1818-1883) ist eine Ikone. Für seine Anhänger. Aber auch für seine Gegner. Schon, weil der Rauschebart auf den ersten Blick wiedererkennbar ist. Zu seinem 200. Geburtstag haben die Chinesen seiner Geburtsstadt Trier ein kolossales Denkmal zukommen lassen. Mit dem die Trierer erstmal klarkommen müssen. Der „Nischel“ in Chemnitz ist schon weltberühmt. Seit kurzem (leider) als Demo-Hintergrund noch berühmter. Über die allfälligen TV-Reminiszenzen zu Marx’ 200. Geburtstag lässt sich (Mario Adorf hin oder her) trefflich streiten.

Die Oper in Bonn jedenfalls hat aus dem Jubiläums-Anlass eine Marx-Oper beim englischen Erfolgskomponisten Jonathan Dove (Jahrgang 1959) in Auftrag gegeben. Und der hat – gerade noch rechtzeitig vor Ablauf des Jahres – geliefert.

Die Musik des erklärtermaßen mozart- und rossiniaffinen Briten will erkennbar bleiben, setzt auf einen so eingängigen wie bühnentauglichen Sound, der deutlich gehaltvoller als übliche Musical-Meterware daherkommt, aber das musikalische Rad (bewusst) nicht neu erfindet. Manchmal mäandert er irgendwo zwischen West-Side-Story Schmiss und Benjamin-Britten-Chören oder dessen Sommernachtstraumflirren umher. Das ist mit Sinn für Timing gemacht und durchweg gut konsumierbar. Mit einem deutlichen Originalitätscresendo im zweiten Teil. Hier wirft sich David Parry am Pult des Orchesters besonders ins Zeug. Wie er überhaupt Spaß an dieser Art von lustvoll vom Ererbten inspirierter Moderne hat, die durchweg mitreißen und keinesfalls verschrecken will.  

Es ist schon klar, dass eine „Komödie“ oder „komische Oper“ mit dem Titel „Marx in London“ kaum dessen Stammplatz in der British Library im Auge hat und haben kann. Seine Karbunkel am Hintern und die Rolle des dauerverschuldeten Familienvaters, der mehr in Übereinstimmung mit seinen geistigen Nachkommen als den Forderungen von Gläubigern etc. lebte, geben natürlich mehr her. 

Geistesgrößen wie Marx, die ein paar Jahrzehnte ihren Namen für ein ganzes, am Ende in der Praxis gescheitertes Gesellschaftssystem hinhalten mussten, halten so etwas aus. Aber wenn dann Charles Hart der Librettisten-Ehrgeiz packt, um dem Autoren des „Kapitals“ nicht nur in einer Traumszene in der Bibliothek seine Vision von Freiheit vorgaukeln zu lassen, sondern ihn in einer Rede, seinen Kapital- und Ausbeutungsbergriff erklären und ihn dabei behaupten zu lassen, dass der Arbeiter immer unter seinem Wert bezahlt wird, dann geht das so zielsicher am Kern der Sache vorbei, dass man Marx in Schutz nehmen muss. (Wörtlich: „Der Arbeitslohn mag steigen, doch bleibt er stets zu niedrig, denn die Arbeit wird immer unter Wert verkauft.“) Ausbeutung gibt’s in seiner Theorie nicht nur, wenn die Kapitalisten die bösen Gauner sind. Sondern auch dann, wenn die Arbeiter den Gegenwert ihrer Ware Arbeitskraft auf dem Lohnzettel stehen haben und bekommen. Das ist der Clou. Was das ganze etwas komplexer macht, als die vereinigten linken Populisten sich das so denken.

Ein Tag im Leben der Familie Marx im Jahre 1871

Aber es geht – wie gesagt – um einen Tag im Leben der Familie Marx im Jahre 1871. Die Möbel sind gerade unterm Hintern und das Klavier unter den klimpernden Fingern der Tochter weggepfändet worden, oben schwebt ein überwachender Beamter des Staates, der nicht nur geistige Bombenwerferei aus dem Hause Marx befürchtet. Marx versucht recht ungeschickt mit dem Familiensilber (seiner Gattin aus dem Hause Westphalen) Unheil abzuwenden und der elegante und allzeit großherzige Lebensfreund Engels steht bereit, wie immer das Schlimmste zu verhindern. Aus den versammelten Klischees zum Thema „Marx privat“ haben Hart und Jürgen R. Weber (nicht nur als Regisseur, sondern auch als Autor des Szenarios) mit leichter Hand eine Komödie gestrickt. In der macht sich der Waffennarr bzw. Klavierlehrer an die Tochter des Hauses Marx Eleanor („Tussi“) ran. Er entpuppt sich als unehelicher Sohn von Marx und dessen Haushälterin Helene. Am Ende rettet der dem Papa das Leben, als ihm ein Anarchist auf die Pelle rückt. In dieser Konstellation muss Jenny dann einfach über den sozialen Abstieg frustriert und hysterisch sein. Überhaupt leiden hier alle unter dem Genie, dessen Größe immerhin einfach unterstellt, aber nicht wirklich erklärt wird.

Gesungen wird in Englisch, schließlich wurde bei Marx in London vor allem tatsächlich englisch geredet, obwohl es für ihn kaum Sprachbarrieren gab. Die Oper Bonn bietet erstklassige Protagonisten auf. 

Mark Morouse panzert sich mit Stimmkraft und seiner historischen Marx-Maske erfolgreich gegen die latenten Verkleinerungversuche aufs Witzfigurenformat. Yannick-Murial Noah treibt ihren Hausdrachen bis ins gerade noch nachvollziehbare Maß. Ceri Williams hat es mit der guten Helene im Grunde ebenso leicht wie Johannes Mertes mit seinem weltläufig eleganten Engels, der sich seine geistigen Ausflüge in die glückliche Zukunft der Menschheit ebenso leisten kann wie auch seine Freundschaft zu Marx. Marie Heeschen als mit Koloraturen ausgestattete Tochter Tussi (Eleonor) und Christian Georg als unehelicher „verlorener“ Sohn des Hauses sorgen ebenso wie der Spion David Fischer und der Rest der Personals für die Komödiantenwürze am Klischee Salat. Ausstatter Hank Irwin Kittel hat geschickt eine zeitgeistige Melange aus urbaner Maschinen-Ästhetik hinter einem Sepiaschleier gebaut, bei dem der Marxsche Haushalt in Einzelstücke auf Rädern versammelt ist.

Zum Finale werden die Waffen vom Sohnemann von den Arbeitern auf Marx und seine Familie gerichtet und einer hält dem Übervater, der selbst nie Marxist sein wollte, Hammer und Sichel hinter dem Kopf hoch wie es Kinder  mit ihren Fingern manchmal auf Fotos machen.

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