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Franziska Kimme (Die Frau) und Meik Schwalm (Der Mann). Foto: Jean Severin
Franziska Kimme (Die Frau) und Meik Schwalm (Der Mann). Foto: Jean Severin
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Brauchen wir eigentlich noch Helden?

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Uraufführung von Jörn Arneckes Farce für Musik „Drei Helden“
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Wie jedes Jahr zur „Pfingstwerkstatt Neue Musik“ gab es auch zum diesjährigen Pfingstfest wieder eine Uraufführung in der Musikakademie Rheinsberg. Die Pfingstwerkstatt soll jungen Komponisten ein Podium für neue Musiktheaterkonzepte bieten. Sind in den Vorjahren Kompositionsaufträge an nicht mehr all zu junge Komponisten wie Helmut Zapf, Thomas Bürkholz, Georg Katzer und Paul-Heinz Dittrich vergeben worden, ging im Jahr 2004 ein Auftrag an den 31-jährigen Jörn Arnecke.

Gemeinsam mit dem Librettisten Francis Hüsers, der bereits für das Libretto zu Arneckes Musiktheaterstück „Das Fest im Meer“ (UA Hamburg, 2003) verantwortlich zeichnete, schuf der junge Hamburger Komponist eine „Farce für Musik“, die von ihm speziell für das Schlosstheater Rheinsberg zugeschnitten wurde. Die Gattungsbezeichnung Farce verwirrt, denn mit Literatursatire oder komischem Lustspiel hat das Stück nur wenig zu tun. Dafür ist das Hauptthema zu ernst, das sich rund um die Schwerpunkte Rückkehr, Sicherheit, Heimat und deren Gegensätze Fremde, Isolation, Orientierungslosigkeit bewegt.

Zur Umsetzung solch eminenter Begriffe wird die Handlung in zwei verschiedene Ebenen gelegt. Da ist einerseits eine banale und mittlerweile alltägliche Ebene, nämlich der Beziehungskonflikt eines Ehepaares. Beide, DIE FRAU und DER MANN, durchlaufen den Weg der Entfremdung, deren Ursache in einer geistigen Verwirrtheit, einer Schizophrenie des Mannes zu suchen ist. Die andere Ebene verlagert Hüsers in die Literaturgeschichte. Mit Hilfe der „Drei Helden“ – Odysseus, Robinson Crusoe und Don Quijote – soll das Paar seine Konflikte lösen. Eine reizvolle aber schwierige Aufgabe für Johannes Erath, der in Rheinsberg sein Regiedebüt gab. Zur Handlung: DER MANN wird aus der Psychiatrie entlassen, ist aber nicht in der Lage, mit DER FRAU zu kommunizieren. Sie bedienen sich eines Therapiespieles und lesen sich gegenseitig aus Homers Odysseus vor. Die Heimkehr des Partners soll so erleichtert werden. Erreicht aber wird das Gegenteil. Odysseus, der herumirrende Seefahrer, verursacht einen Rückfall, DER MANN wird wieder in die Anstalt eingewiesen. Dort bedarf es eines weitern Helden: Robinson Crusoe. In wochenlanger Therapie übernimmt der zum Freund gewordene PFLEGER die Rolle des Vorlesers. Ständig kommt es zum Rollentausch zwischen MANN und Robinson und zwischen PFLEGER und die von ihm übernommene Rolle des Robinson-Gefährten Freitag. Der positive Umgang mit Isolation und der starke Lebenswille des Romanhelden hilft dem MANN schließlich zu gesunden. Doch die Ehe ist in der Zeit des erneuten Klinikaufenthaltes gescheitert. DIE FRAU verlässt den MANN.

Im dritten Teil will der MANN seine FRAU zurück gewinnen, gerät zunächst wie einst Don Quijote in die Arme einer Spanierin, und findet dann mit Hilfe des PFLEGERS und der MUTTER zu seiner FRAU zurück. In der „Heimat“ angekommen sind beide erstmals in der Lage, miteinander zu sprechen, sich zu verstehen, auch ohne die Hilfe eines Helden. Jetzt erst spüren sie, dass ein Neuanfang keine Chancen hat. Sie trennen sich. Endgültig? Das Ende bleibt offen.

Die Handlung wirft Fragen auf: Brauchen wir Helden, um in einer Welt der Isolation, Entfremdung und Orientierungslosigkeit zu überleben? Ist unser Selbstbewusstsein abhanden gekommen? Welche Rolle spielt heute der Begriff Heimat? Soll die Namenlosigkeit der Akteure das Publikum in die Handlung einbeziehen und Verallgemeinerung schaffen?

Arnecke jedenfalls zieht das Publikum in die Handlung hinein. Er wählt eine Aufstellung der Musiker, die keine Distanz zulässt. Das Orchester, das Ensemble Ki unter dem Dirigenten Hee-Chun Choi, sitzt auf der gleichen Höhe wie das Publikum. Auf die Ränge verteilt spielen vier der dreizehn Musiker. Ständig wechseln diese ihre Position und schaffen so eine gewisse Verwirrung. Auch eine Assoziation zur Orientierungslosigkeit? Die Komposition Arneckes, die sich im Grunde an Tradition orientiert, gewinnt durch die rhythmische Grundidee. Im Ausbruch des Wahns nimmt der MANN ein rhythmisches „Teck Tock“ wahr. Dieser markante aber trotzdem schwer zu bestimmende 5/8-Takt zieht sich durch das gesamte Stück. Auch die in der Partitur vorgeschriebene Verstimmung einiger Saiten des Cembalos, der akustischen Gitarre und der Harfe sorgen für unerhörte Klänge. Eine weitere sinnliche Identität wird mit der Obertonharmonik erreicht. Arnecke erlernte diese Kompositionstechnik als einer der letzten Schüler des Franzosen Gérard Grisey. Dessen Musik ging von den natürlichen Gegebenheiten des Obertonspektrums aus, und auch Arnecke erreicht dadurch eine Natürlichkeit und meditative Offenheit in seiner Musik.

Die Leistungen der Sänger/-innen (FRAU Franziska Kimme, PFLEGER Jan Träbing, ARZT Noriyuki Sawabu, SPANIERIN Mirka Wagner und MUTTER Renate Dasch in einer Sprech-Rolle), sind durchweg zu loben. Hier hat sich die von der Musikakademie ermöglichte mehrwöchige Probenphase bewährt. Die Artikulation kann dafür weniger befriedigen. Überzeugen konnte hier nur der MANN, Meik Schwalm. Zur schlechten Textverständlichkeit trug vielleicht auch die teilweise unausgewogene Dynamik zwischen Sängern und Instrumenten-Ensemble bei.

Im August wird Jörn Arnecke mit dem Paul-Hindemith-Preis, einer der höchst dotierten Komponistenpreise, ausgezeichnet. Er jedenfalls brauchte seine „Drei Helden“, sie sind ein kleiner Meilenstein auf dem Weg dorthin.

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