Eine Festspiel-Pressekonferenz, kurz vor Ende der Bregenzer Festspiele 2017, wusste von neuen Rekorden zu berichten, von einer Saison mit voraussichtlich 262.000 Besuchern, einer sich anschließenden Präsentation des „Carmen“-Bühnenbildes im Victoria und Albert Museum in London und von Plänen für das nächste Jahr.
Die Verzahnung der Künste scheint in der Vorarlberger Kunst-Metropole unterhalb des Pfänders oberstes Gebot: Besucher der Festspiele erhalten bei Vorlage ihrer Eintrittskarte ermäßigten Zugang ins KUB, das Kunsthaus Bregenz. Dort erwartet sie eine theatrale Installation von Adrián Villar Rojas: der vierteilige Zyklus führt die Museumsbesucher in Peter Zumthors Kubus von unten, dem dafür entleerten Raum des Erdgeschosses mit seinem als begehbarem Renaissance-Gemälde gestalteten Fußboden in eine ebenso begehbare, fossile Landschaft, dann vor die um eine Feuerleiste erweiterte Reproduktion von Pablo Picassos kolossalem Antikriegsgemälde „Guernica“ bis hin zur Replik der Beine von Michelangelos David-Statue, zwischen deren Füßen sich zwei junge Katzen balgen.
Bei jenen Festspielen, wo es in den Vorjahren zumeist auch für kurz entschlossene Besucher an der Abendkasse noch eine Karte zu bekommen, waren in diesem Sommer Opernfreunde auszumachen, die mit Schildern „Karte gesucht“ vor dem Festspielhaus und der Seebühne ihr Glück versuchten, doch noch einen Zugang zu angeln. Tatsächlich waren in diesem Sommer nicht nur die 7000 Plätze der Seebühne, sondern auch jene im Festspielhaus und auf der Werkstattbühne zu 100 Prozent ausverkauft.
Die dritte „Carmen“-Produktion in der Geschichte des 71-jährigen Festivals brachte als „Spiel auf dem See“ eine perfekt gelungene Liaison von Oper und Pop-Show, mit stimmlich rundweg überzeugenden internationalen Solisten, die nicht nur mit Spielfreude zu ungewöhnlichen szenischen und auch artistischen Leistungen bereit waren, sondern sich auch jedem Wetter gewachsen zeigen. Die musikalische, insbesondere die stimmliche Qualität, ist in den letzten zwei Dekaden merklich gewachsen. Sie bewegt sich inzwischen auf erstklassigem Niveau.
Weiteres, auch wirtschaftliches Wachstum erreicht die Festspielleitung durch Koproduktionen. So tourt Mieczyslaw Weinbergs Oper „Die Passagierin“, die 2010 im Bregenzer Festspielhaus ihre szenische Uraufführung erlebte, noch immer über internationale Bühnen und wird im nächsten Jahr in Tel Aviv auf dem Spielplan stehen.
Wie der Kaufmännische Direktor Michael Diem auf der Abschluss-Pressekonferenz zu berichten wusste, drängt inzwischen auch der ferne Osten darauf, Koproduktionen mit den Bregenzer Festspielen zu realisieren.
Neu an der diesjährigen Uraufführungsproduktion, Zesses Seglias’ Oper „To the lighthouse“, war die Einbindung des Publikums in den Entstehungsprozess: gemeinsam mit dem Kunsthaus Bregenz wurden für ein Publikum, das bestenfalls partiell identisch ist mit dem angereisten Festspielpublikum, in sieben Schritten „Einblicke“ in die zeitgenössische Produktion auf der Werkstatt-Bühne des Festspielhauses vermittelt.
Da Einnahmen und Ausgaben sich nicht nur decken, sondern die Seebühnen-Aufführungen Gewinn abwerfen, konnten inzwischen Rücklagen gebildet werden. Die sollen unter anderem zur weiteren Verbesserung des für Open-Air-Aufführungen schon lange richtungweisenden elektroakustischen Übertragungssystems BOA verwendet werden. Bregenz Open Acoustics 2.0, das mithilfe von 800 Lautsprechern auf der Tribüne ein ortungssicheres räumliches Klangabbild der Seebühne schafft, soll in absehbarer Zeit das Level 3.0 erreichen.
Schon jetzt ist Kasper Holtens so einfache, wie schlüssige Inszenierung – nach „Zauberflöte“ und „Aida“ die überhaupt drittbeste besuchte Bregenzer Produktion. Die für zwei Jahre auf 23 Millionen Euro budgetierte Produktion beschäftigt 350 Mitwirkende (darunter 3 gemischte Chöre und 2 Kinderchöre), 7 Millionen Euro davon gehören der Optik, auf das gigantische Bühnenbild und sehr differenziert gestaltete Kostüme, die noch versteckte Besonderheiten integrieren, im Kostüm der Hauptdarstellerin etwa einen schnell wechselbaren Neopren-Anzug und eine Sauerstoffflasche.
Nur eine einzige Vorstellung wurde in diesem Sommer aufgrund Regens als „ausgefallen“ notiert; doch auch diese hat stattgefunden, allerdings nur halbszenisch im Festspielhaus, mit einer kompletten Projektion des Open-Air-Bühnenaufbaus und den dort zum Einsatz kommenden Videos. Die Zuschauer im Festspielhaus erlebten bei „Carmen“ im Festspielhaus als Besonderheit eine Nullsituation des Bühnenbildes als animiertes Video: die Spielerin versucht den Kartentrick, sie wirft das Kartenspiel von ihrer linken in ihre rechte Hand, wobei ihr einige Karten zu Boden fallen – und so entsteht die Spielfläche.
Im nächsten Sommer wird es mindestens 26-mal, vielleicht sogar 28-mal die „Carmen“ geben. Eröffnet werden die Bregenzer Festspiele 2018 mit einer Oper des verfemten Komponisten Berthold Goldschmidt, der dabei erst zum zweiten Mal szenisch realisierten „Beatrice Cenci“. Außerdem, so berichtete die erfolgreiche Intendantin Elisabeth Sobotka, werde es im kommenden Sommer im Festspielhaus eine Kinderopern-Version der „Carmen“ geben, in die Zirkuswelt verlagert – und mit Happy-End.
Die bereits an den letzten Festspieltagen zum Verkauf angebotene „Carmen“-DVD, ein geschickter Schnitt der Orchesterhauptprobe und zweiter Aufführungen dieses Sommers (mit Gaelle Arquez Daniel Johannsson und Scott Hendricks in den Hauptpartien, musikalisch geleitet von Paolo Carigiani, C-Major742208), hält die ungewöhnliche Liason von exzellent musizierter Oper und Pop-Show fest; sie macht im Betrachter Lust, die Atmosphäre auf dem Bodensee (erneut) selbst zu erleben – und das sogar, wenn es wieder einmal in Strömen regnen sollte.