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Verdis „Don Carlos“ am Staatstheater Nürnberg. Foto: Ludwig Olah
Verdis „Don Carlos“ am Staatstheater Nürnberg. Foto: Ludwig Olah
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Brillante Orchesterwucht, unergiebige Brachialregie: Verdis „Don Carlos“ in Nürnberg

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Verdis „Don Carlos“ in der französischen fünfaktigen Fassung: Das Nürnberger Staatstheater hatte sich einiges vorgenommen für seine erste Opernpremiere der Saison. Juan Martin Koch hörte eine von orchestraler Präsenz geprägte Vorstellung und sah auf der Bühne wenig Erhellendes:

Dirigent/in des Jahres: Mit diesem Titel einer renommierten Opernkritikerumfrage wurde mehrfach Kirill Petrenko und im vergangenen Jahr beispielsweise John Eliot Gardiner ausgezeichnet. Aktuell darf ihn, als zweite Frau nach Simone Young, Joanna Mallwitz tragen, seit der vergangenen Spielzeit Generalmusikdirektorin am Staatstheater Nürnberg. Warum, das konnte man bei der Premiere von Verdis „Don Carlos“ von den ersten Takten an erleben: Präzise und konturenscharf führte sie vor, welcher Detailreichtum in Verdis Orchestrierung steckt, wie subtil er damit – neben einigen Erinnerungsmotiven – ganz bestimmte Klangmischungen für die verschiedenen Handlungsbereiche und Figurenkonstellationen einsetzt.

Die Staatsphilharmonie folgte ihr dabei mit Brillanz, rhythmischer Energie und großer solistischer Qualität. Wer weiterhin der Meinung ist, nur Richard Wagners Orchester sei in der Oper der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein eigenständiger Bedeutungsträger, dem sei ein Besuch dieser Produktion dringend ans Herz gelegt.

Die Kehrseite von Mallwitz’ beeindruckender Orchesterdemonstration war die insgesamt doch recht hohe Lautstärke, was die Sängerinnen und Sänger oft zum Forcieren zwang. Probleme bereitete dies vor allem Tadeusz Szlenkier in der Titelpartie, dessen kerniger Tenor mitunter an seine Grenzen stieß. Emily Newton als Elisabeth fand immer wieder Ruhe und Konzentration für intensive Piani, während Martina Dike als Prinzessin Eboli die Flucht nach vorne antrat: Im Terzett zu Beginn des dritten Aktes sang sie ihre männlichen Kollegen an die Wand und schleuderte im vierten das berühmte „O don fatal et détesté“ mit überwältigender Wucht in den Raum.

Einige weichere Abtönungen vermochte Sangmin Lee als Marquis von Posa in sein mächtiges Organ zu mischen, Nikolai Karnolsky als Philipp gab sich da – wohl von der Regie inspiriert – keine Mühe. Denn Intendant Jens-Daniel Herzog hatte diesen als seelenlosen Machtschurken angelegt. Im ersten Akt – gespielt wurde erfreulicherweise die französische fünfaktige Fassung, ohne Ballett und mit den Revisionen von 1882/83 – defloriert er Elisabeth, seine künftige Frau, kurzerhand auf offener Bühne. Deren Hofdame lässt er im zweiten Akt gleich erschießen, den flandrischen Gesandten in der Autodafé-Szene kurzerhand die Kehlen aufschlitzen – dies alles vor den Augen der von der Regie hinzuerfundenen, etwa sechsjährigen Infantin.

Entsprechend mitleidlos nahm man sein Wehklagen („Elle ne m’aime pas!“ – sie liebt mich nicht!) in der Paradeszene im vierten Akt auf, zu deren Beginn sich Elisabeth mit umgeschnalltem Babybauch seiner widerlichen Annäherungsversuche zu erwehren versucht. Auch Posa ist bei Jens-Daniel Herzog ein politischer Intrigant, der weder vor Gewalt – die Kofferbombe trägt er stets bei sich – noch davor zurückschreckt, seinen Freund Carlos für seine Zwecke zu instrumentalisieren.

Diese wenig erhellende Brachialdeutung spielt sich in einem kargen Bühnenraum (Mathis Neidhardt) aus vier beweglichen Wänden ab, dunkel holzgetäfelt die eine Seite, kaltweiß die andere. Die sich wechselweise bedingenden Sphären des Politischen und des Privaten sollte dies wohl illustrieren, ein Ansatz der ebenso blass blieb wie der Titelheld selbst. Vor der Pause verfolgt er das Geschehen – wenn er nicht gerade selbst eingreift – durchgehend von einem Sessel im Vordergrund der Bühne aus und schreibt bisweilen mit; was und wieso, war nicht zu ergründen.

So blieben von der Inszenierung nur ein paar prägnante Bilder: der sich mächtig vergrößernde Schatten des Großinquisitors etwa (bassgewaltig: Taras Konoshchenko) oder die Pantomime, mit der Carlos und Elisabeth am Ende noch einmal das kurze Glück in Fontainebleau heraufbeschwören. Die Infantin setzt dem ein jähes Ende: Auf ihr Signal hin wird die Mutter mit einem Baseballschläger niedergestreckt, bevor sie sich selbst die Krone aufsetzt.

Der Jubel für diese unter permanentem Hochdruck stehende Produktion galt am Ende auch den vielen ausgezeichnet besetzten Nebenrollen (Stimme von oben: Julia Grüter, Thibault: Emily Bradley, Mönch: Wonyong Kang) und den allen Anforderungen beeindruckend gewachsenen Chören (Einstudierung: Tarmo Vaask). Und natürlich der souveränen Koordinatorin des Ganzen: Joanna Mallwitz, der Dirigentin des Jahres.

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