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Turn Of The Screw in Erfurt. Foto: Lutz Edelhoff
Turn Of The Screw in Erfurt. Foto: Lutz Edelhoff
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Brittens „The Turn of The Screw“ in Erfurt: Schlicht und düster

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Dass Benjamin Brittens geniale und vieldeutige Kammeroper von großen Bühnen immer wieder in ein kleines Ambiente wie das Studio des Theaters Erfurt zurückfindet, ist legitim. Zum Beispiel nach der aufgeheizten Deutung Claus Guths, der für das Berliner Schillertheater die traurigen Sexualnöte der Gouvernante mit dem fast erwachsenen Zögling zum Horrortrip machte - oder nach den unausgesetzt bösen Nachtvisionen an der Oper Tel Aviv. Das Erfurter Produktionsteam entschied sich für eine objektivierende Darstellung der 1954 in Venedig uraufgeführten Oper nach Henry James‘ Novelle „The Turn of The Screw“. Die flirrend-erotischen Phantasien zum Werk kommen durch diese deutschsprachige Aufführung dennoch nicht zum Stillstand.

Der Prologus tritt wie ein Mitarbeiter der Einlasscrew vor das Publikum und er begrüßt die Gouvernante mit Handkuss, bevor sie das Spiel beginnt. Das schafft gleich vorbeugende Distanz zum Geschehen in den engen Räumen mit Schiebetüren und -wänden, aus denen kein Weg nach Draußen führt. Die beiden Kinder und mit ihnen das Personal befinden sich in einem Nirgendwo und Nimmermehr von Poe‘scher Beklemmtheit. Die in eher majestätisch als sinnlich flackerndem Lila mit Rot einherschreitende Gouvernante bewahrt fassadenhafte Anmut und verzerrte Würde, die propere Haushälterin Mrs. Grose ihren vertrauensfördernden Optimismus. Der noch nicht zum Kern der Verwirrnisse vorstoßende Miles wird von Knaben gespielt, seine Schwester Flora diesmal von gleichalten Heranwachsenden – nicht wie oft von fertig ausgebildeten Sopranistinnen.

Für die sechs Aufführungen gibt es Doppelbesetzungen aus dem Philharmonischen Kinder- und Jugendchor Erfurt für die sängerisch und vor allem thematisch stark fordernden Rollen. Das ist weitaus mehr als respektabel (Stimmbildung: Anne Kellnhofer). In der besuchten zweiten Vorstellung war Linus Eisleb der feingliedrige und stimmsichere Miles mit einem sehr schönen „Malo-Lied“. Die weißblonde Nanny Helene Wagner als etwas größere Flora agiert neben und mit ihm bewegungsstark, wirkt dennoch blass und wächsern: Ein Mädchen, die mit ihrer Puppe gewaltsamen Kindstod und einsames Begräbnis spielt.

Die szenische Dezenz fordert im Verlauf der Aufführung immer wieder heraus zur Eigenleistung mittels einer stark beanspruchten Phantasie. Bei den Unterrichtslektionen der Gouvernante hocken und knien die Kinder hinter Schemeln. Miles liegt später im Bett mit schwerer Decke, Flora auf dem Boden. Warum? Wie eine viktorianische Matrone wallt die frühere Erzieherin Miss Jessel (Margrethe Fredheim) durch die räumliche Enge, ihr geisterhafter Leidensdruck tönt ohne Erschütterung. Und ihre Vereinigung mit Peter Quint ist ein hier unterspielter Fehltritt. Später dann werden der Dienerdämon Peter Quint und Miles durch gleiche Bewegungsfolgen zu Parallelfiguren. Hier gibt es nur wenig Anlass zu Spekulationen über verbotene Beziehungen und gefährliche Spiele.

Viktoria Knuth (Regie), Kristina Zimmermann (Ausstattung) und Lorina Strange (Dramaturgie) modellieren eine versachlichende Perspektive auf die im Titel erwähnte Drehung der Schraube, diesen psychischen Grenzgang in sechzehn Variationen und Bildern. Das ist ihnen mustergültig gelungen, wenn man das Negieren phantastischer Ebenen als entschlackende Alternative zu den aufgetürmten Sinnschichtungen von Sünde, pädagogischen Eros und Verhaltenszwängen verstehen will. Die in der Partitur angelegte dreipolige Spannung zwischen Gouvernante, Phantom und Zögling stockt – das alles ist hier Materialangebot für die Kopfkinos des Publikums. Das Dynamit verdrängten Begehrens und die Unfähigkeit der Figuren zur Artikulation ihrer unmittelbaren Affekte implodieren eher dort als auf der Bühne.

Julian Freibott hat als Peter Quint lediglich aufgesetzte Dämonie – sein junger geschmeidiger klingt ohne Fehl, Leid und Gefährlichkeit. Julia Neumann zieht die distinguierte Haltung, ja Härte der Gouvernante fast bis zum Schluss durch. Sie kreiert das Porträt einer wenig berührbaren Funktionsträgerin – wann sonst hat eine Sopranistin im Vollbesitz ihrer stimmlichen Mittel die Gelegenheit zu einem so frostigen Alleingang? Starke Emotionen entstehen erst ganz am Schluss, wenn die Gouvernante den toten Miles in ihren Armen birgt. Ihr zu Seite ist Stéphanie Müther als Mrs. Grose eine Haushälterin mit viel Herz und ebenso viel Wärme im persönlichkeitsstarken Mezzo. Die Beiden stechen heraus aus dem flächigen Grün-Grau-Braun-Weiß des Ambientes, miteinander harmonieren sie glänzend.

Doch um sie herum gruselt und erschüttert es eher gemach. Zuverlässig beginnt der lange freundliche Schlussapplaus ganz ohne beklommene Generalpause nach pausenlosen 145 Minuten. Die geringe Erschütterung mag auch daran liegen, dass Samuel Bächli am Pult der Kammerformation aus dem Philharmonischen Orchester Erfurt den Sängern vor allem ein sicheres Bad im klaren Fluss der Instrumentalstimmen gewährt. Der große Bogen zählt in den beiden hier direkt verbundenen Akten mehr als das episodische Kolorit der einzelnen Szenen. Das geschieht stellenweise auf Kosten der musikalischen Kontraste, des Farbenreichtums der Musik und der von Britten genau fixierten Perspektiven für Nähe und Ferne, für Enge und Weite, für Wunsch und „Wirklichkeit“. Zum Vorteil gereicht es aber der Homogenität mit dem Spielgeschehen und einem geschlossenen Gesamteindruck. Damit lohnt sich die Erfurter Sichtweise letztendlich doch, weil sie die Geheimnishäufung in dieser Oper ein Stückweit entzerrt.

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