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21.02.2025 | Aleksey Kursanov, Tomasz Wija, Chor. Foto: © Christina Iberl
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Bruderliebe – Jean-Philippe Rameaus „Castor et Pollux“ in Meiningen

Vorspann / Teaser

Diesmal ist die aktuelle Premiere in Meiningen nicht nur ein weiteres Beispiel für die originelle Spielplandramaturgie des Hauses. Bei der treffen bildende Künstler der Spitzenklassen mit ihrer Kunst auf die Gattung Oper. Nach Markus Lüpertz und Achim Freyer folgte in dieser Reihe jetzt der britische Starbildhauer Tony Cragg mit seinem ersten Bühnenbild.

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Diesmal hat Jens Neundorff von Enzberg auch bei der Bühnenfassung einer Spielplanseltenheit die Hand im Spiel. Von ihm stammt die höchst theaterpraktisch komprimierte Fassung von Jean-Philippe Rameaus Oper „Castro et Pollux“, bei der der Komponist selbst seine ursprüngliche Fassung von 1737 für 1754 schon kürzend bearbeitet hatte.

Dass beim Händelzeitgenossen Rameau (1683-1764) die Opern „Tragédie lyrique“ hießen ist nachvollziehbar. Die Musik hat einen ganz eigenen, eloquent fließenden, flirrenden Sound. Und es geht tatsächlich tragisch, aber eben auch lyrisch zu, mit viel allegorischem Brimborium vorneweg und zwischendrin. Ausgedehnte Ballettmusiken inklusive. Heute muss man schon genau hinsehen und beherzt kürzen, um den nachvollziehbaren Kern der Geschichte eines solchen Werkes freizulegen und zum Glänzen zu bringen.

Genau das ist den Meiningern mit dem ersten Rameau auf ihrer Traditionsbühne gelungen. Dirgent Christopher Moulds ist nicht nur eine internationale Größe der Barockmusik, er hat mit Barrie Koskys Berliner Inszenierung auch schon eine der wenigen „Castor et Pollux“-Produktionen hierzulande dirigiert. Davon profitiert die Hofkapelle bei ihrem beherzten und pointierten Ausflug ins französische Barock.

Das Meininger Ensemble brauchte mit Laura Braun (als Götterbote Mercure) nur einen Gast, um die vokalen Herausforderungen zu meistern. Von den beiden Titelhelden ist der sterbliche Castor gleich zu Beginn das betrauerte Opfer eines Mordes. So kommt Aleksey Kursanov in dieser Rolle erst nach der Pause, in der Unterwelt, mit seinem schmachtenden Tenor zum Zuge. Tomasz Wija hat schon im ersten Teil als der unsterbliche Halbbruder Pollux auf Erden jede Menge zu tun. Schon, weil er alles daran setzt, dessen Witwe Télaïre für sich zu gewinnen und dafür sogar seine eigene Frau Phébé abserviert. Sara-Maria Saalmann versteht es, in dieser Rolle des menschlichen Kolateralschadens der Zwei-Männer-lieben-eine-Frau-Konstellation anrührend zu bewegen. Dosiert kraftvoll beglaubigt Emma McNairy vehement die Treue zum Ermordeten. Sie begehrt ihrerseits von Pollux nur, seine besondere Beziehung zu Jupiter (mit Witz und Würde in einem: Selcuk Hakan Tiraşoğlu) zu nutzen, dass der Chefgott Castor wieder aus der Unterwelt entlässt.

Vom TV-Serien tauglichen Beziehungsdrama in Richtung großer Oper mit Happy End schwenkt die Geschichte ein, wenn Pollux ein Einsehen hat, mit seinem Bruder tauschen will, der aber ablehnt und sich lediglich auf einen Zusatztag auf Erden beschränken will. Am Ende landen beide für so viel Bruderliebe in der Unsterblichkeit des berühmten Sternbildes am Firmament. Auch Télaïre wird befördert, nur die arme Phébé muss sich erst mit dem zynischen Rat begnügen, sich doch für ihr Pech in der Liebe bei Amor zu beschweren und bringt sich dann um.

Die Obsessionen im Beziehungstableau aus heutiger Perspektive auf die Bühne zu bringen, ist das eine. Mit ihren Kostümen sorgt Nina Lepilina prototypisch für Gegenwart. Es ist ein kluger Schachzug von Regisseurin Adriana Altaras dieUnsterblichkeit (von Pollux und das Leben im Elysium) nicht zu verklären, sondern in Überforderung und Langeweile zu übersetzen. Und das funktioniert mit ihrer Gesellschaft im elysischen-Spa verblüffend gut. Da beherrschen endlich die fünf faszinierend suggestiven Cragg Skulpturen die Bühne! Der von Roman David Rothenaicher einstudierte Chor wächst hier nicht nur mit seinen vokalen Beiträgen, sondern auch im choreografierten Spiel über sich hinaus. Fabelhaft, wie sie die Anstrengung, die ewiges Nichtstun verursacht, ausspielen. Die Kunst von Tony Cragg hat aber nicht nur mit den assoziativ typischen Skulptursäulen im zweiten Teil ihren großen Auftritt. Auch die Zeichnungen, die dem Bühnenraum im ersten Teil eine Art Opulenz der Abstraktion hinzufügen, verbinden sich verblüffend gut mit Musik und Handlung. So dass sich alles zu einer Einheit fügt, die unterhält und der Musik den Raum verschafft, ihren eigenen Reiz zu verbreiten und der Phantasie Räume zu öffnen.

Am Ende gibts ein Happy End von geradezu galaktischem Ausmaß. Auf den ersten Blick wird von allen eine Partie gefeiert – auf den zweiten, hat Jupiter das Firmament neu sortiert, und damit Bruderliebe und Treue belohnt. Wenn das nichts ist. Der Jubel des Premierenpublikums setzte das ausgelassene Lieto fine auf der Bühne bruchlos fort!

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