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V.l.n.r.: Petra Hartung, Dominique Horwitz, Thomas Thieme, Moritz Rabe und Ensemble. Foto: © Candy Welz

V.l.n.r.: Petra Hartung, Dominique Horwitz, Thomas Thieme, Moritz Rabe und Ensemble. Foto: © Candy Welz

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Bühne frei – Karlheinz Stockhausens „Originale“ am DNT Weimar

Vorspann / Teaser

Ein Kollektiv des Musiktheaterjugendclubs am Deutschen Nationaltheaters Weimar inszeniert Karlheinz Stockhausens „Originale“ aus dem Jahre 1961. Die Operndirektorin Andrea Moses ist Mentorin und spielt in der Rolle als Regisseurin selbst mit. Anders gesagt: Moderne trifft auf Weimar. Das hat in der Vergangenheit schon öfter mal Misstöne hervorgebracht. Im Falle von Karlheinz Stockhausens – tja, was eigentlich? Performance? Dekonstruktion? Theater der Metaebene? Mitmachhappening? 

 

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„Originale“ gehören zum guten Ton. Zum Kern eines Theaters, das nur auf den ersten Blick ziemlich abgehoben wirkt und klingt. Auf den zweiten ist das aber eine erstaunlich anpassungsfähige Vorlage für eine Veranstaltung, in der sich viele der Akteure einfach selbst spielen. Also ein Beispiel für die heute zum Missverständnis eines Theaters der Repräsentation degenerierten Authentizität. Die natürlich auch nur eine Form von Entfremdung ist. Das war 1961 vor der Erfindung der Bürgerbühnen noch etwas ganz besonderes. Funktioniert aber auch heute, als wärs gerade erfunden worden. Originale ist dabei kein Festivaltitel, sondern meint die Originale, im Sinne der besonderen Menschen, die sich mit dem, was sie ausmacht, auf einer Bühne präsentieren.

Der Rahmen ist ein genau getakteter Zeitablauf mit Vorgaben für die Auf- und Abtritte. Von Künstlern und Alltagshelden, von bekannten lokalen und überregionalen „Größen“. Die zeigen, was sie sind. Bieten also ein kleines Welt-, auf jeden Fall aber ein von dem inspiriertes Stadttheater. In Koexistenz mit einer Musik von Stockhausen, die zwischen die Szenen plauzt. 

In der Weimarer Redoute (die sich damit schon mal auf ihre bald bevorstehende Rolle als Ersatzspielstätte einstellt, wenn im Nationaltheater die Handwerker anrücken) sind ein Laufsteg und ein paar Podeste als Spielfläche aufgebaut. Auf der einen Seite als Hintergrund eine Projektionswand, auch für Live-Bilder. Gegenüber ein Hochsitz von dem aus Regisseurin Andrea Moses den ganzen Laden steuert. Bzw. zu steuern scheint. Dazu zwei Schlagwerkstationen, ein Pult, Sitzreihen neben dem Steg, die meisten links und rechts neben dem Hochsitz. Ihr gegenüber warten vier Mimen, Alma Pages Strömstedt, Hannah Ehrlichmann, Petra Hartung und die beiden berühmtesten Schauspieler-Promis (ohne Sternchen) mit Lokalbezug: Thomas Thieme und Dominique Horwitz, auf einen Einsatz. Den jeder auch bekommt. Irgendwann rezitieren sie alle durcheinander und lassen Chaos eskalieren. Moses dirigiert den Fotografen, der die Live-Bilder schießt. Und legt sich mit Thieme an. „Nicht so nuscheln“, sagt sie zu ihm. „Mit mehr Stimme“. Wenn dem dann der Kragen platzt und er unüberhörbar auf seine Theaterjahrzehnte verweist, hat das eine wunderbaren selbstironischen Witz. Mit dem Beigeschmack von möglicher Wahrscheinlichkeit. Dass die Regisseurin irgendwann rausrennt (und natürlich wieder zurückkommt) auch. Da sie als sie selbst mitspielt, hat sie sich offenbar auch selbst wieder eingefangen. Der Weimarer Straßensänger Moritz Rabe singt zur Gitarre vor sich hin. Kommt auch mal durch damit. Die Aktionsmusiker (mit Sternchen) Thai Tai Pham, Gernot Süßmuth, Ursula Dehler und Peter Benz machen Musik-Aktion. Inklusive eines Urschreiversuchs von Thai Tai Pham. 

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Nastja Areshky und Ensemble. Foto: © Candy Welz

Nastja Areshky und Ensemble. Foto: © Candy Welz

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Als Dirigent an seiner Arbeitskleidung erkennbar versucht William Shaw, Alba Gentili-Tedeschi am Klavier und Sabrina Ma am Schlagzeug zu animieren. Der Sohn des hiesigen Kapellmeisters Jonathan Beykirch versucht als Dreikäsehoch einen Turm aus Kartons aufzuschichten, der doppelt so groß ist wie er selbst und hat mit dieser Sisyphusnummer natürlich alle Sympathien sofort auf seiner Seite. Das gelingt auch den Garderobenfrauen vom Weimarer Doppel „Gnadenlos schick“ in ihrem herrlichen Altdamenaufzug und schrulligen Habitus. Der Kritikerkollege von der „Thüringer Allgemeinen“, Wolfgang Hirsch, preist als Zeitungsverkäufer sein Blatt gleich selbst an. Bei Alina Trionow sieht die angekündigte Aktionsmalerei so aus, dass sie von hinten durch das aufgespannte Papier greift und sozusagen selbst ins Bild steigt bzw. aus dem Rahmen fällt. 

In der 52. Minute erstarren alle in einem wunderbaren Tableau. Die Teilnehmer hat man bis dahin schon mal kennengelernt. Oder zumindest das, was sie von und über sich preisgeben wollten. Wenn die endlos scheinenden zwei Minuten Starre zu Ende sind, ist man froh, dass sie alle noch leben; auf ein bejubeltes Finale zusteuern und man ihnen irgendwann, in Weimar oder anderswo, wiederbegegnen kann.

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