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Brenda Rae (Elvira). Foto: Barbara Aumüller
Brenda Rae (Elvira). Foto: Barbara Aumüller
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Bürgerkrieg, Brüche und Belcanto – Bellinis „I Puritani“ an der Oper Frankfurt

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„Kantilene ist Utopie“ sagte Hans Neuenfels in den Jahren seiner ersten Opernneudeutungen. In Vincenzo Bellinis letzter Oper lieben sich Menschen aus feindlichen Lagern, der Bräutigam rettet eine andere Frau unmittelbar vor der eigenen Hochzeit und seine Braut verfällt dem Wahnsinn. Doch als er nach drei Monaten zurückkehrt, ist sie sofort geheilt, Heirat samt allgemeine Amnestie… und all das drei Stunden lang in traumschönen „melodie lunghe, lunghe“ mit allem vokalen Prunk des klassischen Belcanto – kein Wunder, dass das Werk selten gespielt wird.

Für das in Paris vier Monate vor Bellinis Tod mit den besten Sängern der Zeit triumphal uraufgeführte Werk führte Intendant Bernd Loebe einen Triumph der Ensemblepolitik vor: einziger Gast war der den bis zum hohen F reichenden Anforderungen gewachsene Belcanto-Star John Osborn als Arturo; aus dem Hausensemble in die Weltkarriere entwachsen, aber treu (und bezahlbar) zurückkehrend, debütierte Sopranistin Brenda Rae als in jeder Hinsicht traumschöne und traumverlorene Elvira; Ensemble-Prunk-Bariton Iurii Samoilov gab einen fulminant virilen Rivalen Riccardo; aus dem Frankfurter Opernstudio ins Ensemble gewachsene Kihwan Sim gab dem väterlichen Onkel Giorgio derart volltönende Bass-Grandezza, dass er mit Ovationen gefeiert wurde; neben ihm kam herrlich klingendes Belcanto-Profil von den ehemaligen Opernstudio- und jetzigen Ensemblemitgliedern Thomas Faukner (Gouverneur Valton) und Michael Porter (Sir Bruno). Mit glaubwürdiger Attitüde für die zum Tode verurteilte Ex-Königin schritt und sang die junge Neuseeländerin Bianca Andrew durch das sich binnen weniger Takte abzeichnende Traum-Ensemble – staunenswert: sie war in der Vorentscheidung des Bertelsmann-Gesangswettbewerbs ausgeschieden, doch Juror Bernd Loebe hörte sofort ihr Potential, holte sie ins Frankfurter Opernstudio, gab ihr in der vergangenen Saison kleine Nebenrollen – und nun bestritt sie Terzett und Duett rundum königlich inmitten der arrivierten Solisten.

Sie alle führte Dirigent Tito Ceccherini: er wollte Bellini nur außerhalb italienischer Opernunarten dirigieren - bis auf 34 Takte Überleitungen strichlos mit allen wunderbar weitergesponnenen Wiederholungen, die aber - mit allen die ganze Probezeit anwesenden Solisten - eben durch feine Schattierungen und dynamische Abstufungen nie ins „und noch einmal das Gleiche“ abglitten, sondern vertieften und intensivierten. Prompt stellte sich jener schwebend betörende, traumnahe Zustand ein, in dem brachiale Realität gleichsam durchscheinend wird, Inneres offenlegt und Utopisches als Möglichkeit aufscheinen lässt. Ein vokaler und musikalischer Traum-Abend – in zusätzlich fantastischen Bildern.

Angesichts von Brüchen und Unwahrscheinlichkeiten: die Republikanerin Elvira liebt den Royalisten Arturo; er lässt sie vor dem Gang in die Kirche sitzen, rettet die verurteilte Königin mit dem Brautschleier Elviras und muss für drei Monate untertauchen; sie verfällt dem Wahnsinn, gesundet aber bei Arturos Rückkehr und in den letzten drei Minuten gibt es per Amnestie für alle Royalisten ein opern-übliches „lieto fine“! – dafür holte Intendant Loebe Kenner: den von der Comédie Francaise zur Oper gewechselten Regisseur Vincent Boussard und seinen langjährigen Partner Christian Lacroix für die Kostüme. Beide entschieden sich für eine vielschichtige Interpretation.

Da ist die Zeit nach der Revolution von 1830 zu sehen in dem leer gebrannten, schwarz geräucherten Theaterrund mit seinen drei offenen Logen-Rängen, die Johanes Leiacker als Einheitsbühnenbild bauen und von Joachim Klein raffiniert und zart wechselnd ausleuchten ließ. Am Ende lodert im Hintergrund neues Feuer auf: die Aufstände des „Giovane Italia“, des „Jungen Deutschland“ werden in die Revolution von 1848 münden.

Doch gleichzeitig durchzieht die „Schwarze Romantik“ die Kunst jener Jahrzehnte, mit Geistern, die in Mary Shelleys „Frankenstein“ gipfeln. Da es im Umfeld Bellinis neben vielen Geliebten auch die Beziehung zu einer ominös bleibenden, schwarzhaarigen Italienerin gab, stilisierte Regisseur Boussard sie zu einem schwarzen Todesengel, der insbesondere das alter ego Bellinis, den Royalisten Arturo umspielte und, für die Bühnenfiguren unsichtbar, die Szene mysteriös und abgründig machte. So im hinzugefügten Vorspiel: Bellini sitzt im leeren Theaterrund am Flügel und spielt aus Liszts „Hexameron“ die Variationen über ein Thema aus „I Puritani“; die heftige Liebesszene mit dieser schwarzkostümierten Italienerin endet tödlich, er stürzt neben dem Flügel ins Grab, aus dem sie seine Totenmaske emporhebt. Der Flügel als Symbol der unsterblichen Musik Bellinis wird präsent bleiben. Auf ihm ruht die als hypersensibel, seelisch zerquält (weil Riccardo versprochen) und buchstäblich „sterblich“ in Arturo verliebt gezeichnete, Hysterie nahe Elvira. Im Inneren des Flügels liegen der fatal missbrauchte Brautschleier, viele Rosen und die Totenmaske – als der Schalldeckel in den Wirren der Gefühle hochfährt, spiegelt er diese Irrealität – doch da sind die Zuschauer längst allem enthoben, denn zur Ouvertüre gibt es auf dem halbdurchsichtigen Zwischenvorhang eine filmische Grabsuche auf dem Friedhof Père-Lachaise, der dann von einem Grabsteinauge durch eine durchscheinende Fotolinse in das ausgebrannte Theaterrund führt(unaufdringliches Video Isabel Robson).

Alles bleibt so in einer raffiniert kalkulierten Zwischenwelt-Schwebe, in überlegter Personenkonstellation auf dem Bühnenboden, beobachtet und kommentiert von mal halb realen, mal halb geisterhaften Opernbesuchern und Kriegsparteien, durchschritten vom die Figuren mal bedrohenden, mal umspielenden Todesengel… Kunst als die wahre und einzige Realität.

Boussard-Lacroix wagen eine kühne Lösung des unglaubwürdigen „lieto fine“: Elvira will Arturo „end-gültig“ für sich, erschießt ihn und stirbt an ihrer eigenen Tat, so auch Riccardo an all dem miterlebten Scheitern – Blackout – dann stehen alle Figuren als Schattenriss gegen den heller werdenden Hintergrund – Beifall rauscht von hinten auf – dorthin verbeugen sich alle: wir haben eine Aufführung im ausgebrannten Théâtre Italien erlebt – und um den zentral hereingerollten Flügel feiern die Künstler, Elvira umarmt ihren geliebten Arturo, Champagner wird gereicht – doch im Hintergrund erschießt sich der Todesengel – so wie etliche verlassene Geliebten Bellinis tragisch endeten. Doch das tat dem von einigen verstörten Buhs durchbrochenen Jubel über ein singuläres Belcanto-Erlebnis in Frankfurt keinen Abbruch.

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