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Foto: Peter P. Pachl
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Cesar Bresgens Oper „Der Igel als Bräutigam“ in Berlin von Kindern aufgeführt

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Korrekt den musikalischen Bewertungskriterien politischer Gutmenschen vorauseilend, vermeldet das Mittelblatt des 12-seitigen Programmhefts der Oper „Der Igel als Bräutigam“, dass Cesar Bresgen „viele seiner Werke […] für nationalsozialistische Zwecke geschrieben“ hat, obgleich er „mangels Ariernachweis“ nicht in die NSDAP eintreten durfte.

Offenbar also war der Professor am Salzburger Mozarteum ein besonders übler Fall politischer Anpassung., erhielt aber 1950 daselbst erneut eine Professur und 1976 den österreichischen Staatspreis.

Von einem erfolgten Gesinnungswandel des Komponisten und Musikpädagogen „im Spannungsfeld des 20. Jahrhunderts“ (so der Titel eines 2005 im Verlag Mueller-Speiser erschienenen Sammelbandes über den 1913 in Florenz geborenen Bresgen) zeugt dessen Oper „Der Engel von Prag“, basierend auf Leo Perutz’ Novelle über die Liebesbeziehung Kaiser Rudolfs II. zu einer verheirateten Jüdin aus dem Prager Ghetto.

„Der Igel als Bräutigam“, 1948 in Esslingen uraufgeführt und 1951 für die Nürnberger Erstaufführung überarbeitet, hatte sich als echtes Erfolgsstück des „Gesamtkunstwerkers“ (so seine Biografin Isolde Schmid-Reiter) erwiesen, insbesondere an den Bühnen und Schulen der DDR, aber auch in kroatischer, ungarischer und burenländischer Sprache (in Namibia), in Australien auf Englisch und in Chile auf Spanisch.

In Bresgens erster seiner Reihe von Opern „für kleine und große Leute“ findet sich nichts von NS-Gedankengut wieder, wie Thomas Böttcher im erwähnten Programmheftartikel konstatiert, gleichwohl äußert er die Bitte, wer mit der Tatsache von Bresgens frühem Bekenntnis zum Nationalsozialismus „nicht einverstanden“ sei, möge „den Saal leise […] verlassen“. Doch dieser Aufforderung folgte bei der Berliner Premiere in der Waldorfschule Mitte ersichtlich kein Besucher. Im Gegenteil, es herrschte einhellige Begeisterung über Spielvorlage, Musik – und insbesondere über die überraschend gelungene szenische und musikalische Aufführung durch ein enorm junges Ensemble.

Das Libretto des Komponisten ist die Bearbeitung eines Grimmschen Märchens: ein Fischerpaar wünscht sich verzweifelt ein Kind, „und wenn es auch ein Igel wäre“. Der Wunsch geht in Erfüllung, und das Paar will den seltsamen Spross im Sumpf loswerden. Dem klugen Igel, dem Vögel wahrgesagt haben, er sei ein verzauberter Prinz, der durch eine Jungfrau erlöst werden könne, rettet den verirrten König aus dem Sumpf. Der will zwar das Versprechen, ihm eine seiner drei Töchter zu Frau zu geben, nicht einlösen, aber der Albtraum der Jüngsten, einen stachligen Gemahl zu erhalten, wird doch wahr, und sie schneidet den Prinzen aus dem Fell des Igels.

Die fünf Akte der Handlung hat Regisseurin Franziska Guggenbichler-Beck geschickt verkürzt und im Einheitsbühnenraum von Maria Gamsjäger mit heutigen Bezügen, einem Meer voller Plastik, mit singenden Fischen, Mobbing und genveränderten Riesensalamis kurzweilig und mit Witz realisiert. Das Besondere an der überaus farbenfreudigen Ausstattung ist die Tatsache, dass die mitwirkenden Kinder diese sämtlich eigenhändig gefertigt haben.

Motor des Geschehens in verschiedensten Rollen und Funktionen sind die Kinder des Löwenkinderchors, welcher im Jahre 2007 vom LIONS-Club Berlin-Pariser Platz als Projekt initiiert worden war, das insbesondere Kindern aus sozialen Randmilieus eine musikalische Grundausbildung ermöglicht. Vor drei Jahren war die junge Chorformation in Gustav Holsts „The Idea“ erstmals als Opernchor zu erleben (siehe nmz). Die damals bereits erreichte Qualität wurde mit der neuen Produktion noch gesteigert. Schreiend erobern sich die Kinder die weite Bodenfläche des Raumes, in dessen zweiter Hälfte eine Zuschauerempore errichtet ist.

Überdurchschnittlich sind die kindlichen Gesangsleistungen der von Michael Engelke einstudierten jungen Solisten, heranwachsenden Schülern der Musikschule Bela Bartok in Pankow. Der König mit wackelnder Großgabel statt Szepter, Josua Lewi Ebadi, ist deutlich jünger als seine Töchter, die Emilia Zita Jacob und Leonie Schölz mit übergroßen Weichkronen gestalten. Michelle Neumann gelingt als Goldherz mit Schöngesang der Weg in die Zuschauerherzen. Eine Wonne ist die Selbstverständlichkeit, mit welcher der blutjunge Samuel Naasner, mit noch kindlich linearem Gesang, die Titelrolle verkörpert. Vergleichsweise ist die Baritonpartie aus dem „Alten“ derivierten „Erzählers“ (Scott Holzhütter als einziger älterer Sänger) ein Schwachpunkt der Aufführung.

Bresgens Kammerversion der Partitur verlangt immerhin doch ein Orchester mit Flöte, Oboe, Fagott, Horn, Trompete, Schlagzeug, Klavier, Harfe und zumindest solistischem Streichquintett. Dem gegenüber ist die Berliner Produktion weiter reduziert auf Flöte, Trompete, Violine, Cello und Schlagzeug, plus Klarinette (!) und Keyboard, welches Dirigent Wsewolod Silkin selbst spielt. Die eingängigen und zumeist leicht nachsingbaren Melodien vom Weill-Songspiel-Ton in der ersten Erzählung über einfache gesungene Monologe und Chorszenen, bis zu einer Nähe von Orffs „Die Kluge“, leitet Silkin mit der präzise und sauber intonierenden Orchesterformation sicher.

Die Hauptwirkung der Produktion entspringt jedoch dem bunten Chor von 20 Kindern unterschiedlicher Nationalitäten und verschiedenster sozialer und ethnischer Herkunft, im homogenen Zusammenklang, rhythmischem Bewegungsspiel und in zahlreichen kleinen solistischen Auftritten, etwa als Eule oder Mops (nicht im Paletot, sondern „im Haberstroh“).

Die musikalische Einstudierungsarbeit von Norienne und Jan Olberg und die szenische und malerische Arbeit an Dekoration und Kostümen unter Leitung von Franziska Guggenbichler-Beck haben die Löwenkinder zu einer leistungssicheren Formation zusammengeschweißt, deren Freude in Spiel und Gesang auf die Zuhörer überspringt.

Aufmerksam verfolgten auch die jungen, musikalisch vorgeschulten Besucher neben mir die Aufführung. Mehr als einige Unaufmerksamkeiten der kindlichen DarstellerInnen, wie verpasste Einsätze oder vor Aufregung schwer anspringende Stimmen, monierten sie die Unruhe bei einigen erwachsenen Besuchern; besonders gefiel ihnen das übergroße Brautkleid der Prinzessin, welches Goldherz und Igel dann sogleich auch als Hochzeitshöhle dient.

Das Statement des Igels, „Wie es kommt, so ist es gut. / Frohes Herz bringt frohen Mut“, nahmen sie als Anregung mit auf den Nachhauseweg. Bresgens Oper mit Kindern als eine Oper von Kindern für Jung und Alt hat sich in Berlin bewährt.

  • Weitere Aufführung: 14.05.2016 (15:30 Uhr), Konzerthaus Berlin

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