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Erinnerung an die „Hochhaussinfonie“. Foto: Waterloo
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„Da, wo es wehtut“ – Zwanzig Jahre Dresdner Sinfoniker

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Eine Welt ohne Grenzen, das ist ihr Ziel. Keine unüberwindlichen Hürden, mit denen Menschen es anderen Menschen schwer machen, sich frei zu bewegen und frei zu denken; aber auch keine Genrezuschreibungen, die musikalische Tabuzonen festlegen und Innovationen wie Improvisationen verhindern. Mit einem derartigen Impetus haben sich die Dresdner Sinfoniker vor genau zwanzig Jahren gegründet, quasi aus einer Bierlaune heraus.

Man saß nach einer Freiluftaufführung ausgerechnet von Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ an der Felsenbühne Rathen in der Sächsischen Schweiz im Biergarten zusammen und philosophierte über das Für und Wider, in einem festen Orchester beschäftigt zu sein. Irgendwie, irgendwann muss dann einer der drei beteiligten Herren – Bassist Tom Goetze, Komponist Sven Helbig und Hornist Markus Rindt – darauf gekommen sein, dass es doch wohl am besten sei, miteinander ein solches zu gründen.

Die legendäre Geburtsstunde der Dresdner Sinfoniker liegt jetzt genau zwei Jahrzehnte zurück. Sie wäre wohl kaum einer Erwähnung wert, wenn dieses Ensemble, dem Musikerinnen und Musiker aus namhaften deutschen und europäischen Orchestern angehören, nicht immer wieder mit musikalischer Qualität und inhaltlicher Spezifik für Aufmerksamkeit gesorgt hätte. Ihr gemeinsames Ziel ist ein hehres: Durch den Geist der Musik Menschen berühren und die Welt zum Guten verändern.

Damit haben sie sich – neben reichlich Zuspruch – auch jede Menge Ärger eingehandelt. Schon mit dem Gründungskonzert 1998 haben sie es bis in die „Tagesthemen“ geschafft, „Mein Herz brennt“ zu Musik von Rammstein wurde 2003 zum erfolgreichen Durchbruch, spektakulär folgten die „Hochhaussinfonie“ mit den Pet Shop Boys (2006) sowie das erste Ferndirigat der Welt mit Michael Helmrath (2008), bevor dann die blutige Krise zwischen Israel und Palästina in der „Symphony for Palestine“ (2013) zum Thema wurde. Schlagzeilenträchtig war auch das vielbeachtete deutsch-türkisch-armenische Konzertprojekt „[aghet] – [ağıt]“, in dem an das bis heute von der offiziellen Politik der Türkei geleugnete Massaker von 1915 erinnert worden ist, dem Tausende Armenier zum Opfer gefallen sind. Aktuelle Konflikte wie die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine werden ebenso aufgegriffen („Panzerkreuzer Potemkin“) wie die sehnsuchtsvolle Suche nach kultureller Identität in der Zusammenarbeit mit dem Komponisten, Gitarristen und Produzenten Marc Sinan sowie Musikern aus Aserbaidschan, Kasachstan und Usbekistan („Hasretim“). Zuletzt protestierten die Dresdner Sinfoniker mit ihrem Konzertprojekt „Tear Down This Wall“ gegen den Grenzzaun von Tijuana, mit dem die USA Einwanderer aus dem ärmeren Süden des Kontinents fernhalten will.

Sachsens Kunstministerium Eva-Maria Stange brachte es in ihrer Laudatio zum Jubiläumskonzert so auf den Punkt: Die Dresdner Sinfoniker seien „immer da, wo es wehtut“.

Jubiläumskonzert mit Uraufführungen

Mit dieser Konsequenz haben die Dresdner Sinfoniker nun auch ihr Jubiläumskonzert zum zwanzigjährigen Bestehen gestaltet. Höchst unterschiedliche Musikerpersönlichkeiten wie Frank Zappa, Andreas Gundlach und Enrico Chapela durften darin mit ihren Werken gratulieren.

Zappas Musik, von der die Sinfoniker seit ihren Anfängen fasziniert gewesen sind, war im Zusammenwirken mit dem Universal Druckluftorchester von Peter Till zu hören, einem Bastler und Klangzauberer, dessen orchestrales Instrumentarium mit „Musik auf Rädern“ beworben wird. Denn all die in der Tat mit Druckluft betriebenen Blas- und Tasteninstrumente dieses Ein-Mann-Orchesters finden auf einem italienischen Dreirad, einer umgebauten Ape Platz. Vom Fahrersitz aus bedient der Musikmaschinist sein optisch wie akustisch unvergleichliches Orchestrium, zu dem diesmal auch eine stehende Leucht-Marimba gehörte. Nach einem Sinfoniker-Solo wurden zwei weitere Teile aus Zappas letzter großen Hinterlassenschaft „The Yellow Shark“ von 1993 in diesem rauschenden und putzig blinkernden Zusammenspiel umgesetzt; bei allem Ulk ein eindrücklicher Beweis für das immense Musikantentum sowohl des vor 25 Jahren verstorbenen Komponisten als auch sämtlicher Protagonisten, insbesondere von Peter Till auf seinem Musikmobil.

Herausforderungen ganz andere Art hatte der Komponist und Tastenvirtuose Andreas Gundlach zu bewältigen, der zum Sinfonikerjubiläum ein Konzert für Synthesizer, Klavier und Orchester verfasst hat. Dessen Titel „Quartüürium“ deutet bereits an, dass es um Quarten und viertönige Melodieläufe gehen sollte, doch was dann erklang (und aufgrund einer plötzlichen Verhinderung des ursprünglich für den Klavierpart vorgesehenen Pianisten Andreas Boyde von Gundlach allein zu bewältigen war), das ist ein virtuoses Feuerwerk gewesen. Mal ein wechselseitiges Treiben von Orchestertutti und Soloinstrument, mal geheimnisvoll jazzige Impulse, dann wieder vertrackte Tastenläufe zu heftigem Streichersound sowie hier und da auch ein wie versteckt wirkender Ruhepol – als hätte in dieser mit großem Beifall bedachten Uraufführung das klangliche Spektrum des Dresdner Sinfoniker in seiner Gesamtheit abgebildet werden sollen.

Auch das dritte Stück des Geburtstagsabends war eine Uraufführung, eine konzertante, die freilich ansatzweise schon szenische Elemente verriet. Mit der Rockoper „El Resplandor de los Disidentes“ des mexikanischen Komponisten Enrico Chapela sind wiederum wichtige Traditionslinien der Sinfoniker aufgegriffen worden, denn sowohl die innovative Musiksprache in einer Melange aus folkloristischen Elementen und klassischer Moderne als auch die Positionierung eines humanistischen Anspruchs kamen in diesem Opus zum Tragen. Der 1974 in Mexiko-Stadt geborene Chapela hat in „El Resplandor de los Disidentes“ (etwa „Der Glanz der Dissidenten“) an die Protestbewegungen von 1968 erinnern wollen, freilich nicht an die von Berlin, Paris oder Prag, sondern an das Massaker vom 2. Oktober 1968 auf der Plaza de las Tres Culturas in Mexiko-Stadt. Hunderte Studenten wurden damals ermordet, nur wenige Tage vor der von keinem Boykottgedanken gestreiften Olympiade; all diesen Opfern des Massakers von Tlatelolco (so nach dem Stadtteil benannt, in dem diese Verbrechen stattfanden) hat Chapela ein klingendes Denkmal gesetzt.

Notiert für großes Orchester, Band und vier Solisten, entfachte das Werk mexikanisches Flair ebenso wie brachiale Rhythmik, mit der die Forderungen der Protestierenden ebenso wie die brutale Niederschlagung durch das Regime kommentiert worden sind. Die Sänger Juanra Urrusti, Hazel Mendoza und Humberto Alarcón (alle Tenor) sowie Blazko Scaniglia (Bassbariton) schlüpften in unterschiedlichste Rollen und machten die Vorgänge zu einem nahegehenden Ereignis. Der als E-Gitarrist mitwirkende Enrico Chapela wurde für seine Komposition heftig gefeiert.

  • Nachzuhören ist das Konzert „Zwanzig Jahre Dresdner Sinfoniker“ am 21. November ab 20.03 Uhr aus Deutschlandfunk Kultur.

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