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Die Zauberflöte in Aix. Foto: Pascal Victor
Die Zauberflöte in Aix. Foto: Pascal Victor
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Das belagerte Festival – Auftakt zum traditionsreichen Opern- und Musik-Festival in Aix-en-Provence unter erschwerten Bedingungen

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Der erste Erfolg des 66. Festivaljahrgangs im südfranzösischen Aix-en-Provence war, dass er überhaupt eröffnet werden konnte. Derzeit rollt eine entschlossene Welle der Empörung durchs Land – und da sind die sogenannten Intermittents du spectacle, die Teilzeitkräfte im Kulturbereich ganz vorn mit dabei. Sie kämpfen um den Erhalt ihrer sozialen Absicherung und haben dann die größte Resonanz, wenn sie den französischen Festspielsommer in Frage stellen können. 2003 war so schon einmal das komplette Festival ausgefallen. So wie jetzt etliche kleinere Festivals, aber auch die Eröffnung des Theaterfestivals in Avignon.

In Aix-en-Provence hatten im Vorfeld 80% der Intermittents in geheimer Abstimmung für eine Durchführung gestimmt. Dafür erhielten sie die Möglichkeit, ihr Anliegen öffentlich zu machen. Zur Eröffnungspremiere im etwas großspurigen, modernen Grand Théâtre de Provence mussten die Zuschauer, die bis zu 250 € für eine Karte zahlen mussten, über Protestierende steigen, die sich vor den Eingang quergelegt hatten. Drinnen solidarisierte sich der britische Regisseur Simon McBurney in einer emotionalen Ansprache mit ihren Forderungen. Die Vorstellung selbst ging dann ohne irgendwelche Störungen über die Bühne.

Dass diese „Zauberflöte“ gefeiert werden würde, war klar. Nicht nur, weil die kleine südfranzösische Schwester Salzburgs schon immer auf Mozart gesetzt hat.

Die mit der Niederländischen Nationaloper und der English National Opera koproduzierte „Zauberflöte“ jedenfalls hat sich schon in Amsterdam und London bewährt. Diesmal musste Aix auf das „Recht der ersten Nacht“ verzichten. Dieses um sich greifende Koproduzieren unterläuft zwar den exklusiven Festspielcharakter, aufhalten wird man es angesichts des wirtschaftlichen Drucks auf den Kulturbereich in ganz Europa gleichwohl nicht können.

Zauberflöte: Schönheit, Weisheit, Eierkuchen …

An dieser „Zauberflöte“ wirkte allein das ungebrochene Finale seltsam befremdlich. Hinten prangen die Schlagworte „Schönheit“ und „Weisheit“ (fehlt analog zum Friede, Freude… nur noch Eierkuchen!). Die Königin der Nacht (mit blitzender Koloratur: Kathryn Lewek), eine böse alte Frau im Rollstuhl, wird im Zuge einer Generalamnestie für ein Rampen -Lieto fine in die Sarastrowelt aufgenommen. Für die Nachfolge des milde autoritären Sarastro (Christof Fischesser) stehen Pamina (beeindruckend leicht: Mari Eriksmoen) und Tamino (mit kernigem Glanz: Stanislas de Barbeyrac) bereit. Die frauenfeindlichen Statements bleiben unhinterfragt, der political correctness wird (ein fragwürdiger) Tribut gezollt, indem die Tatsache, dass Monostatos zur schwarzen Seele auch eine schwarze Hautfarbe hat, im Text korrigiert wurde.

Und doch ist das Ganze ein Wurf! Das Freiburger Barockorchester (bis 2016 Residenzorchester) unter Pablo Heras-Casado lieferte einen spielerisch flotten Mozartsound. Zur gekonnten, durch einen Statistenchor sinnvoll angereicherten Personenregie ist  Michael Levines Bühne ein Musterbeispiel für einen opulenten Minimalismus: Ein schwebendes Spielpodest in der Mitte, projizierte Hintergründe und beigesteuerte Geräusche, deren Herstellung man in beiden Fällen live mitverfolgen kann. Gesungen wird auf Festspielniveau und nicht nur Publikumsliebling Papageno (Thomas Oliemans) sorgt dafür, dass das Ganze nicht in überkandideltes Diskurstheater abgleitet, sondern einfach Spaß macht.

Ariodante in der Festung

Als am zweiten Abend im Théâtre de l’Archevêché, als Händels „Ariodante“ auf dem Programm stand, versuchte eine aus Marseilles angereiste militante Gruppe von Protestierenden zunächst die Zuschauer und dann sogar die Sängerin der Titelpartie am Zutritt zum Theater beziehungsweise zur Bühne zu hindern. Beim eingespielten Unterstützungs-Statement des prominenten Journalisten Edwy Plenel für die auf der Bühne versammelten Techniker platzte auch einigen Zuschauern der Kragen und der Festspielchef musste um Ruhe bitten. Dann aber gab es vom Vorplatz aus den gesamten ersten Akt über einen derartigen Radau, dass der zu einer zusätzliche Tonspur zur Händelmusik wurde. Und einen Einblick in die französische (Un-)Kultur, Konflikte auszutragen bot. Hier geht es offenbar nach dem Motto: wer den meisten Krach schlägt, der kriegt seinen Willen. Wie das gegen die Mehrheit der Beschäftigten des eigenen Bereiches und gegen die Zuschauer (!) funktionieren soll, bleibt ein Geheimnis. Das Gefühl jedenfalls, das sich in diesem ersten Akt einstellte, hatte etwas Beklemmendes. Man war froh, dass diesem charmanten Theater die riesigen Tore des einstigen erzbischöflichen Palastes erhalten geblieben sind, als es zur zentralen Spielstätte des Festivals umgebaut wurde. Nach einem kleinen, fremdgesteuerten Fehlalarm im zweiten Akt war der einsetzende Mistral samt einigen Regentropfen kurz vorm lieto fine fast schon südfranzösische Folklore.

Am Pult des Freiburger Barockorchesters war Andrea Marcon deutlich auf eine andere Lesart aus, als auf den zündenden Furor, mit dem Mark Minkowski einst in Amsterdam dieser Händeloper von 1735 zu ihrer anhaltenden Neuzeit-Popularität verholfen hat. Sarah Connolly (Ariodante) und Patricia Petibon (als die bös verleumdete, geliebte Ginevra) bewiesen angesichts der widrigen Begleitumständen nicht nur professionelle Nervenstärke, sondern warfen sich mit solcher Verve in ihre Rollenporträts, dass sie dabei gelegentlich einen postbarocken Leidenschaftsüberschuss in Kauf nahmen. Allein Sandrine Piau blieb es mit ihrer Koloratur- und Stilsicherheit in der kleinen Rolle der Dalinda vorbehalten, mit jeder Arie zu demonstrieren, wie das eigentlich vokal gehen könnte. Sonia Prina hingegen verlegte sich als finsterer Polinesso auf Koloratur-Imitationen im Sprechblasenformat ohne vokalen Inhalt. Als Ariodante dann endlich mit dem Bravourstück Dopo Notte glänzte, hatte das diesmal jeden  falls mehr als nur eine Bedeutung!

Der Veteran der Münchner Händelrenaissance Richard Jones hatte die Geschichte um die Liebe von Königstochter und Ritter, der eine fiese Verleumdung in die Quere kommt, in ein schottisches Strickjacken-Ambiente irgendwann in die jüngere Vergangenheit verlegt. Mit einem sinnigen Marionettenspiel entledigt er sich klug aller Ballettverlegenheiten im engen, dreigeteilten Einheitsbühnenhaus von Ultz. Und er erspart seiner Ginevra am Ende, die Rückkehr in diese spießig religiöse Männergesellschaft, die sie so tief verletzt hatte.

Am dritten, dem nationalen Streiktag aber, auf den die Premiere von Rossinis „Turco in Italia“ fiel, und für die das Team Christopher Alden und Mark Minkowski (mit Les Musiciens du Louvre-Grenoble) Spannung versprachen, halfen auch die Mäßigungs-Absprachen in Aix-en-Provence nichts – sie fiel wie die zeitgleiche Eröffnung des Theaterfestivals in Avignon aus. 

Ausblicke

Wenn es gelingt, nach diesem turbulenten Auftakt zur Festspielnormalität überzugehen, dann haben die Besucher noch die Premiere von Katie Mitchells Bachkanten-Stück „Trauernacht“ vor sich. Im aktuellen Konzertprogramm erinnert das Orchester de Paris unter Paavo Järvi mit einer Wagner-Strauss-Tschaikowsky Konzert-Hommage an den verstorbenen „Elektra“-Regisseur der vorigen Festspiele Patrice Chéreau. Dabei wird seine Klytämnestra Waltraud Meier die Wesendonck-Lieder singen. Und obendrein mit einer Meisterklasse vertreten sein. Dass sich die ganze, einst von Stephan Lissner installierte Académie européenne de musique für den künstlerischen Nachwuchs als sinnvoll erwiesen hat, sieht man schon allein an den jungen Sängern, die heute fast jeden Besetzungszettel vervollständigen. Schon deshalb hat das Festival in Aix-en-Provence eine Zukunft verdient.

Und da bietet schon das Programm des nächsten Jahres einiges: Auf Händels „Ariodante“ folgt seine populäre Zauberinnenoper „Alcina". Andrea Marcon wird wieder das Freiburger Barockorchester dirigieren, Katie Mitchell wird inszenieren und Patricia Petibon den in Frankreich populärsten Counter Philippe Jaroussky als Ruggerio verzaubern. Da sich der Chef des Münchner Residenztheaters Martin Kusej Mozarts „Entführung aus dem Serail“ vornimmt, ist Aufregung vorprogrammiert – im Graben sitzt auch hier das Residenzorchester, diesmal unter Jérémie Rhorer. Die dritte Produktion im Théâtre de l’Archevêché ist zwar nicht neu, aber ein Schmankerl: die legendäre Robert Carsen-Inzenierung von Brittens „A Midsummer Nights’s Dream“, die hier 1991 Furore und den Kanadier bekannt machte, wird nach Aix-en-Provence zurückkehren. Kazushi Ono wird dabei am Pult des Orchestre de l’Opéra national de Lyon stehen und Counterstar Lawrence Zazzo den Oberon singen.

Im Grand Théâtre de Provence wird Peter Sellars und Theodor Currentzis Tschaikowskys „Iolante" mit Stravinskys „Perséphone“ als Doppelabend kombinieren. Dem Théâtre du Jeu de Paume schließlich bleibt die Ehre der Uraufführung von Ana Sokolovics „Svadba – Mariage“, einer Oper für 6 Frauenstimmen a capella, vorbehalten. 

Das aktuelle Festival dauert noch bis 24 Juli 2014.

www.festival-aix.com

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