Regisseur Frank Hilbrich will Leoš Janáček auf den Grund gehen. An der Dresdner Semperoper untersucht er die biografischen Intentionen im Original von „Füchsin Schlaukopf“. Die Sehnsucht eines alten Mannes und ein echter Fuchs. Ob das zusammengeht? In der Oper? Auf der Bühne?! Aber ja, aber wie!
Manchmal sind ältere Männer ja sowieso echte Füchse (deutsche Politiker bestätigen die Ausnahme von dieser Regel). Sie schlaumeiern sich ihre erfüllten und unerfüllten Lebensmaximen zurecht, bis sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Als Leoš Janáček seine Oper „Das schlaue Füchslein“ schrieb, neben rätselhaften Werken wie „Sárka“, „Osud“ oder „Die Sache Makropoulos“ eine weitere Parabel, die mehr Fragen als Antworten aufwirft, da war er bereits knapp siebzig Jahre alt. Und schwer verliebt in eine fast vierzig Jahre jüngere Frau. Beide verheiratet, nur eben nicht miteinander. Er bedachte Kamila Stösslová mit mehr als 700 Briefen. Sie war sein schlaues Füchslein, das ihm neben den Eheleben der beiden unerreichbar schien.
Wie eins zu eins diese Oper einen Reflex auf die private Situation darstellt, das lässt sich heute mehr mutmaßen denn wirklich erhellen. Fakt aber ist, dass der harmlose Titel „Das schlaue Füchslein“ auf den braven Max Brod zurückgeht, der für Janáček eine ähnlich Hilfe zum internationalen Erfolg gewesen ist wie für Franz Kafka. Im Original heißt die 1924 in Brünn (Brno) uraufgeführte Oper „Příhody lišky Bystroušky“, wörtlich übersetzt in etwa „Abenteuer der Füchsin Schlaukopf“. Geht es also eher um ihre Abenteuer als um das Leben und Gieren des Försters im Stück?
Doppelbödige Tierwelt
Die Sicht des Inszenierungsteams um Frank Hilbrich könnte das nahelegen. Geradezu zwanghaft verfolgt der altersschwach gewordene Förster das Treiben der Tiere im Wald. Er selbst stakst im weißen Anzug durch die Natur, die hier als grauer Kasten dargestellt ist (Kostüme Gabriele Rupprecht, Bühne Volker Thiele). Mit Sergei Leiferkus ist diese Rolle grandios besetzt, unangreifbare Stimmkraft trifft da auf leidenschaftliches Spiel. Ein gebrochener Mann mit noch immer offenen Wünschen, der weiß, dass sie sich nicht mehr erfüllen. Das ganze Spiel von Mensch- und Tierwelt ist durch seine Wahrnehmung gespiegelt. Seine Füchsin – eine unbedingte Alternative zur unaufregend grauen Försterin (Tichina Vaughn als überzeugende Matrone) – wird von Vanessa Goikoetxea herausforderns lasziv gegeben, aufreizend und selbstbewusst. Kein Wunder, dass sie zum Tagtraum auch der Altherrenschar in der Dorfkneipe gerät. Und zum Jagdziel all der verklemmten Träumer. Mit einfachen Mitteln wurden dafür starke Bilder gefunden. Riesige Kopfattrappen etwa auf schmalbrüstigen Anzügen, und schon war die Schräglage zwischen Anspruch und Wirklichkeit klar.
Auch die doppelbödige Tierwelt geriet in dieser Sicht ziemlich menschelnd. Enorme Wirkung hinterließ das Aufeinandertreffen der fetten Hühnerschar um ihren selbstgewissen Herrn Hahn (Birgit Fandrey) mit der nicht nur schlauen, sondern voller Energie, List und Lust steckenden Füchsin. Sie nämlich lebt, nachdem sie die Menschenwelt wieder verlassen hat, sie gibt sich hin und versteht auch zu nehmen, nachdem Meister Fuchs sich ihr offenbart hat. Barbara Senator mag zwar mit ihrer Premierenleistung unzufrieden gewesen sein, ein ebenbürtiger Partner der Füchsin war sie aber dennoch. In dieser Beziehung wurde auf Tierebene wesentlich menschlicher gelebt, wovon die Gesellschaft nur träumt.
Wie üppig diese Traumwelten klingen konnten, bewies die Sächsische Staatskapelle einmal mehr unter dem tschechischen Gastdirigenten Tomáš Netopil. Da blühte das Brausen der echten wie der falschen Gefühle, da wehte wildes Treiben durch den Raum, da wurde die Angst vorm Altern aber auch ganz zart getupft. Sergei Leiferkus gelang eine ergreifende Interpretation, indem er dieses Spektrum aus Zerbrechlichkeit und Aufbegehr auch dynamisch auszuschöpfen verstand. Vanessa Goikoetxea zeigte sich ebenso verletzlich wie selbstbewusst stark mit ihrem klaren, festen Sopran, dem Barbara Senator im Idealfall durchaus standzuhalten vermag. Beeindruckend als Wilderer Harašta zeigte sich Matthias Henneberg mit einem Bass ganz aus der Tiefe des Waldes.
Prächtiges Diorama
Der erschien im Bühnenbild übrigens auch mal als prächtiges Diorama, streckte seine kräftigen Wurzeln ins Reich des Fuchses und war mit wirbelndem Herbstlaub präsent. Überwiegend jedoch blieb die Ausstattung karg und war von assoziativen Kostümen geprägt, natürlich mit reichlich Fuchsfell und Rothaar garniert. Hinzu kam ein Spiegelkabinett, worin sich der geile Förster auf der Suche nach dem Fuchs seiner Träume fast wahnsinnig verirrte.
Ein Augenmerk dieser Produktion lag – unabhängig von derlei Doppelbödigkeit – auf der nächsten Generation, den Kindern. Nicht nur, dass viel junges Publikum schon in der Premiere saß, vor allem auf der Bühne tobte eine frische Kinderschar, von der Regie gut geführt, mit kräftiger Spiellaune – und als weiteres Indiz für das nahe gerückte Ende des Försters. Warum aber stolziert der in einem eleganten weißen Anzug durch den Wald?
Eine Anekdote soll dafür herhalten: Als Janáček sich ab 1921 mit dieser Oper befasste, wollte er gemeinsam mit Waldhütern das Leben von Füchsen in der Natur beobachten – und kam ganz in Weiß. So wurde nichts aus dem Ausflug, bis sich der Meister ungezogen hatte. Nur ein Rollenspiel?
Die Sehnsucht des alten Mannes war also tatsächlich an echten Füchsen geschult. Auf der Semperoper fand auch dies seinen Widerhall, denn zu Beginn und am Ende der Neuproduktion irrte wirklich ein echter Fuchs über die Bühne. Natürlich geschützt in einem mit Gaze gesicherten separaten Raum. Vor allem für Kinder ein unvergessliches Theatererlebnis. Dass es sich hierbei um ein Findeltier handelt, das von einem Falkner aufgezogen und somit an die Nähe von Menschen gewöhnt wurde, ist schon eine andere Geschichte. Nicht aber der Name: „Füchslein“.
- Termine: 21., 27.10., 1., 21., 26.11., 9.12.2014