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Das Neue behauptet sich nur schwer

Untertitel
13 Uraufführungen beim Stuttgarter Festival „Éclat
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Stehen die Stuttgarter „Tage für Neue Musik“ im Sendegebiet des frisch fusionierten Südwestrundfunks unversehens unter Konkurrenzdruck der Donaueschinger Musiktage? Ein reines Uraufführungsfestival waren sie nie, und ihr „Macher“ Hans Peter Jahn bastelt schon seit zwei Jahren an einem neuen, unverwechselbares Profil sichernden Konzept. Auch der neue Titel „Éclat“ suggeriert etwas gänzlich Ausgefallenes, nie zuvor Erlebtes. Musik im Dialog mit anderen Künsten will Jahn präsentieren und damit auch seinen Auftragswerken Impulse geben. Das soll bis zur Einbeziehung von Zirkus als Alltagskunst gehen, und für den nächsten Durchgang ist „Musik für Kinder“angekündigt. Randvoll mit Ideen gepackt waren diese fünf Tage: Theatralisches mit Blick auf das Barockzeitalter als „sinnlich-sinnlose“ Vision heutiger endzeitlicher Szenarien , Violoncello-Virtuosität, durch Film, Literatur und bildende Kunst Inspiriertes, aber auch autonome karge Kammer- und opulente Orchestermusik – eine verwirrend bunte Fülle interessanter Ansätze, von denen jedoch in der Musik selbst nicht allzuviel zum Tragen kam. Denn Kompositionsaufträge bleiben ein Unternehmen mit ungewissem Ausgang, und Qualität läßt sich auch durch thematische Vorgaben nicht verordnen. So hätte die mit Spannung erwartete, mit aufwendiger Technik vom ZKM Karlsruhe versehene MusikTheaterInstallation von Sandeep Bhagwati, „Die Gesänge der Ghat-Biwa“, durchaus ein satirisches Gesellschaftsprotokoll werden können. Doch der in Indien geborene, allerdings seit früher Kindheit „europäisierte“ Komponist beläßt seine Fiktion verschollener und durch die verständnislose eurozentristische Wissenschaftsbrille betrachteter Südseerituale im bloßen Amusement, gefällt sich in platter Zivilisationskritik, ohne auch diskriminierende Klischees vom „Fremden“ zu überwinden. Sein Stilgemisch aus barockem Choral, „Weltmusik“-Elementen und Avantgarde-Vokaltechniken gibt den SWR-Vokalsolisten mit dem dirigierenden „Schamanen“ Rupert Huber zwar virtuoses Futter, erreicht aber weder die Qualität des Parodierten noch überhaupt komplexe Aussagen etwa im Sinne von Kagels „Exotica“. Dem Jugend-Trend zur spöttischen Verrätselung folgen auch Martin Bergande und Caspar Johannes Walter, können in zwei Miniopern über Romantik und 1848er-Revolution Geschichte nicht mehr als sinnvollen Prozeß begreifen. Dabei scheitert Bergande, Schüler von Klaus Huber und Helmut Lachenmann, unter dem erhellenden Titel „als wenn nicht alles daran recht aneinanderhinge“ an Johann Peter Hebels „Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes“ – naiv vor sich hin summende, lediglich eine schrullige, heute nicht mehr verständliche Spießerwelt nach Art von Hoffmanns „Struwwelpeter“. Alban Nikolai Herbsts Revolutionsspiel „Goegg“ transformiert Caspar Johannes Walter mit ungleich stärkerer musikalischer Phantasie in atmosphärisch dichte Klangstrukturen, zunächst aus den Worten selbst als inhaltsverfremdende „Bausteine“ gewonnen, dann ganz den klagend sich zuspitzenden Intervallspielen dreier Violoncelli überlassen – „plötzlich ward vieles klar“, nennt Walter vieldeutig sein Stück. In diesem Konzert der Neuen Vo-calsolisten Stuttgart und des Ensemble Varianti unter der Leitung von Manfred Schreier besetzte Matthias Pintschers „Memento V“ (nach Arthur Rimbaud) die eher konservative Position des gediegen durchgearbeiteten, alle stimmlichen und instrumentalen Möglichkeiten für betörende Klangeffekte nutzenden Werkes – impressionistischer Sirenengesang. Alle diese drei Uraufführungen stach Andreas Dohmen an pfiffiger Originalität mit „Portraits und Wiederholung“ aus. Was hier sieben Sänger über mitschwin-genden Trommelschnarrsaiten ihren Diktiergeräten als einfache Einzeltöne und deren Umspielungen anvertrauen, lädt sich in multipler Wiedergabe zum vielfarbig vibrierenden Verwirrspiel um Authentizität und Reproduktion auf. Überhaupt behaupteten sich viele der insgesamt 13 Uraufführungen nur schwer neben ausgewählten älteren Werken. Zu trockenen Staubkörnchen zerbröselten „Die drei Spiegel der schönen Karin“ für Kontrabaß solo von Klaus Lang, um so enttäuschender neben der filigran-formbewußten „Danse aveugle“ von Hans Peter Kyburz und den ausdrucksstarken „Shadows“ von Peter Eötvös, der auch als engagiert-analytischer Dirigent des „Klangforums Wien“ einmal mehr faszinierte. Gegen die „letzten Worte“ der Streichquartette Nr. 4 und 5 von Giacinto Scelsi (gespielt vom Pellegrini-Quartett) kam Andreas Fervers dünner Aufguß für die gleiche Besetzung ebensowenig an wie allzu gefällig romantisierende Virtuosenstückchen für Violoncello und Klavier von Earle Brown und John van Buren. Auch die Einbeziehung von „Hilfskünsten“ stärkte nicht unbedingt die Musik: während Reinhard Febels „Mo-tion Picture – Sculpture“ für 19 Streicher (Arcata Ensemble) immerhin den bildnerischen Vorgang als Erstarrung einer rasenden, flirrenden Bewegung zum immer mehr aus versprengten Tonpunkten verdichteten Klangraum überzeugend umsetzt, verhalten sich die extrem gelagerten Streicherlinien und leise röchelnden Akkordeontöne (mit dem gewiß vorzüglichen Teodoro Anzellotti) aus Manuel Hidalgos „Gran Nada“ zu den Vexier-Filmbildern von András Kalmar spannungslos-beliebig. Kaum nachvollziehbar auch, daß Thomas Hummel die Struktur seines Orchesterstücks „Nicanor“ unmittelbar von der Diktion des Romans „Der Herbst des Patriarchen“ von Gabriel García Marquez abgeleitet haben, damit auch „die Instrumente zum Sprechen bringen“ will – zumindest die Wiedergabe durch das SWR-Radio-Sinfonieorchester Stuttgart unter Peter Rundel erschien eher als Reihung wechselnder, sicher sehr sorgfältig ausgehörter Klangfarben. Mit leidenschaftlicher Kraft sprach dafür das barocke Thema von Lebensrausch und Tod, das Hummel indirekt aufgreift, aus den Orchesterstücken „Siddharta“ und „Orion“ von Claude Vivier. Den Phantasiereichtum seiner Musik schöpft der kanadische Komponist, der dem Musikbetrieb stets fernstand und 1983 tragisch zu Tode kam, aus einer existentiellen Tiefe, die sich souverän über verordnete Geschmacks-kategorien hinwegzusetzen vermag. Etwa die Gegenposition zu solch unbekümmerter Opulenz verkörpert Helmut Lachenmann, der aus Anlaß seiner Emeritierung als Stuttgarter Hochschulprofessor ausführlich gewürdigt wurde. Sein Ballett „herses (une lente introduction) wirkte in der Choreographie von Boris Charmatz als Kommunikationsutopie und „barocke“ Bildfolge herabstürzender, sich verschlingender Körper zugleich und sorgte für einen weiteren positiven „Éclat“.

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