Es ist eine Talentsuche. Und es ist ein Austausch. Die Musiker um Irvine Arditti trafen sich mit fünf jungen Komponisten zu einem Workshop für zeitgenössische Streichquartett-Musik. Im Vorfeld der diesjährigen „Darmstädter Ferienkurse für neue Musik“ kam man in Edenkoben (Rheinland-Pfalz) zur Summer School zusammen, um die für diesen Anlass komponierten Stücke zu proben, zu probieren, abzugleichen. Immerhin ist dies der erste Moment des Hörens und wohl keiner der jungen Komponisten mag sich in dieser historisch befrachteten Gattung schon völlig „zu Hause“ fühlen.
Das von der Hepner Foundation London großzügig geförderte Projekt ist nach drei Kursen in Blonay nun nach Edenkoben gegangen, vom weiträumigen Areal des Hindemith-Musikzentrums in die behütete Atmosphäre des Herrenhauses. Die Arbeitsphase erstreckt sich über fünf Tage; Zeit, die man nicht verschwendet, sondern zu spenden scheint, um sie überhaupt möglich zu machen. Mit den Musikern des Arditti-Quartetts ist auch Brian Ferneyhough angereist, der bereits 2010 den Kurs begleitete und mit seiner Präsenz für eine Tarierung innerhalb der beteiligten Gruppierungen zuständig schien. Neue Musik braucht versierte Interpreten und es bleibt unbestritten, dass selbst ein so überaus fähiges Ensemble wie das Arditti-Quartett durchaus eine Herausforderung durch die Jugend braucht, wenn es ästhetisch wendig bleiben will.
Die Komponisten Patricia Alessandrini (Portugal) – Förderpreisträgerin 2014 –, Steven Daverson (U.K.), Andrew Greenwald (U.S.A.), Samy Moussa (Canada) und Evis Sammoutis (Zypern) hatten sich zu stellen, und die anfängliche Scheu vor der Unwägbarkeit des Moments war schnell abgelegt. Will das Projekt Früchte tragen, so gelingt das nur mit einem großen Maß an gegenseitigem Zutrauen und dem Bemühen, der schöpferischen Idee der Komponisten möglichst nah zu kommen. Und so wurde getüftelt mit äußerster Geduld. Nach angespannter Arbeit traf man sich zum gemeinsamen Essen – das bringt Nähe, die bei anderen Kursen wohl nicht so selbstverständlich dazugehört.
Zum Abschluss der Summer School kamen die Kompositionen im Saal des Herrenhauses zur Uraufführung. Von Alessandrini erklang „Forklaret Nat“. Gelang Schönberg mit „Verklärter Nacht“ ein Werk von geradezu hautnah lustvoller Sinnlichkeit, so wusste Alessandrini geschickt die verschiedenen Materialien gegenlaufend und überlagernd für ihr Werk nutzbar zu machen. Die Bildhaftigkeit der kompositorischen Gestalt in Daversons Three Rivers from „The Navidson Record“ spiegelt sich in der Titelgebung wider und verweist zudem auf Dantes „Inferno“. Der Komponist, der 2011 einen Siemens-Förderpreis erhielt, findet mit haptischen Ausdrucksformen zu einer musikalischen Sprache, die jeden Klang, jeden ästhetischen Ansatz zu verwalten sucht. Ein Zitat des amerikanischen Bildhauers des Minimalismus, Carl Andre, markiert das Stück von Greenwald: „A thing is a hole in a thing it is not.“ Ein Verschwinden und Erscheinen des Kunst-Objekts will der Komponist fernab aller rastlos schweifenden Fieberphantasie fürs Streichquartett äußerst behutsam darzustellen versuchen. Samy Moussa verfolgte mit seinem Stück „Quatuor à cordes“ die Absicht, nicht unbedingt das komponieren zu wollen, was Hörer von einem Streichquartett gemeinhin erwarten würden, sondern stellte sich der technischen Herausforderung, die die Begrenzung der hohen und tiefen Lagen mit sich bringt. Der von ihm angestrebte Streichorchestersound drohte nicht zu brechen; was in den ersten Takten gesagt wurde, hatte auch zum Schluss noch seine Gültigkeit. Sammoutis Stück „Rhymes“, angeregt durch Dantes „Göttliche Komödie“, entstand zeitgleich mit der Komposition eines weiteren Streichquartetts. Es versteht sich als musikalische Dramatisierung und „Rhymes“ bezieht sich auf Teile des „Paradies“. Das Profil der Konstellationen, welches zwischen gleitenden Überleitungen der formalen Blöcke und den dazu im Kontrast stehenden Überlagerungen des Materials wechselt, ist von einem Reimschema Dantes abgeleitet.
Die ästhetische Wucht, die der Begriff Streichquartett immer noch beinhaltet, belegt nicht zuletzt Brian Ferneyhoughs 6. Streichquartett, welches zur „Quartittiade“ in Donaueschingen 2010 uraufgeführte wurde. Dieses Quartett erklang zum Abschluss des Konzerts. Es musste wohl jedem Hörer auffallen, dass Ferneyhough aus ganz natürlichem Inneren komplex zu denken vermag. Was hier (zeitlich) gerafft erscheint und auf kompositorische Dichte verweist, kommt keinesfalls dünnhäutig daher. Dass es nicht ins Buchstabieren geriet, bewies einmal mehr die hochentwickelte Spielkultur des Arditti-Quartetts.