Paul Hindemiths „Neues vom Tage“ ist nicht veraltet, so wie es diese „Lustige Oper in drei Akten“ nach 90 Jahren sein dürfte. Das Theater Schwerin bewies das in seiner pfiffigsten Inszenierung in dieser Saison. Allerdings ist ihr Komponist, neben Schönberg, Strawinsky und Bartok zu einem der Klassiker der Moderne gezählt, offensichtlich für viele immer noch der Bürgerschreck, zu dem er einst gestempelt wurde. Einige Plätze blieben leer, sehr zu Unrecht.
Vergnüglich komponiert
Hindemiths orchestrale Begleitung ist stark durchgeformt, eigenständig, zwar häufig polyphon, aber immer abwechslungsreich und in einer leicht fassbaren Sprache, die sich reizvoll den Situationen anpasst. Grandios etwa ist der Beginn des letzten Aktes, wenn ein vierhändig traktiertes Klavier zu einem Fugato ansetzt und den Wirbel der Szenen vorwegnimmt. Andere groteske Effekte gewinnt die Instrumentation, wenn etwa Trompete und die Tuba einen Klagegesang über ein zu hoch empfundenes Strafmaß begleiten. In die Melodik sind zudem kunstvoll viele althergebrachte Floskeln eingeflossen. So ist es höchst vergnüglich, hier Bach oder da Puccini oder Schlageridiomatik herauszuhören. Auf jeden Fall verhindert Hindemiths feinsinniges Komponieren, dass alles im Klamauk strandet, wohin das lockere, manchmal bizarre, auch frivole Libretto tendiert. Dennoch wahrt auch Marcellus (eigentlich Otto) Schiffer in seinen parodierenden oder ironisierenden Texten einen intelligenten, gar geistreichen Ton. Da heißt es im Finale: „Die Liebe hat leicht etwas Erotisches, das kaum dazu gehört, das uns betört. Hätte Liebe nichts Erotisches, wär‘ Liebe lieb und wert. Aber nein! Sie hat was Erotisches, das stört!“ Die Szenen sind pointiert gestaltet, mit teils grotesken Momenten, wenn etwa die Protagonistin in der Badewanne sitzt und die Segnungen der Warmwasserversorgung in quirligen Koloraturen besingt und dazu von Streichern sanft begleitet wird.
Ein geistvolles Libretto
Die Handlung ist so schräg wie bunt, voller Anspielungen und Parodien. Mit „Ekel“ und „Scheusal“ beginnt ein Streit zwischen Laura und Eduard, schon nach den Flitterwochen ehemüde. Er endet in der Absicht, sich scheiden zu lassen. Ein zweites Paar, Herr und Frau M., schneit irgendwie herein und empfiehlt das Büro für Familienangelegenheiten, die Trennung herbeizuführen. Der schöne Herr Herrmann sei sehr begabt darin, verfängliche Situation zu schaffen. Eduard verpflichtet ihn, muss nur erleben, dass er heftig eifersüchtig reagiert, als Laura und Hermann sich in einem Museum treffen. In seiner Raserei zertrümmert er eine Venus, ein kostbares Ausstellungsstück, und wird dafür verhaftet. Verarmt kommt er aus dem Gefängnis und kann sich und Laura, die er immer noch liebt, nur durch die mediale Vermarktung ihrer Story retten.
Köstliche Szenen ergeben sich in variablen Spielorten, die weitere Personen benötigen und nahezu das gesamte Ensemble beschäftigen. So gibt es Schreibmädchen in Herrmanns Büro, einen Direktor nebst Zimmermädchen und Oberkellner im Savoy-Hotel, in das Laura nach ihrem Ehe-Aus zieht, das wiederum mit noch weitläufigerem Personal ausgestattet ist. Das Museum hat Fremdenführer und Besuchergruppen. Schließlich sind da noch sechs Manager, die sich um die Rechte streiten, das Ehedrama und seine Folgen auszuschlachten.
Ein noch gültiges Zeitstück
Üblicherweise wird „Neues vom Tage“ als Zeitstück gehandelt. Und wirklich lassen sich die Probleme und Anspielungen mühelos in unsere Tage versetzen, wo von vielen das eigene Leben mit Freude gewinnbringend verkauft wird. Toni Burkhardts Inszenierung muss sich deshalb gar nicht groß anstrengen, die Parallele heraufzubeschwören. Dafür inszeniert er punktgenau und akzentuiert, schafft durch kleine Varianten in den sich wiederholenden Szenen neue Wirkung. Diese Liebe zum Detail beginnt mit der Ouvertüre, in der das Wirbelmotiv im Orchester zu einem anderen Hummelflug wird, zu dem Eduard eine Fliege im ehelichen Schlafzimmer mit einer Klatsche zu erlegen versucht. Anja Schulz-Hentrich hat zudem charaktervolle Kostüme geschaffen, die sogar szenisch die Aussage straffen. Laura tritt nämlich nach ihrer Scheidung im Hosenanzug mit Krawatte auf. Wolfgang Kurima Rauschnings Bühnenbauten erlauben schnellen Ortswechsel und unterstreichen das humorvolle Tun auf der Bühne. Das „Standesamt“ bekommt eine Kulisse aus riesigen Aktenordnern, deren Grifflöcher für die Beamten zum Schalter werden. Die Rückenetiketten lassen sich dann wunderbar zur „Bürokratie“ verdrehen. Das sind szenische Einfälle, die sich locker einfügen. Doch nicht alles schafft dem Klamauk zu entgehen, so die beiden Pinguin-Diener. Ihr Gehabe nutzt sich spätestens ab, wenn sie mit riesigen Gabeln sich bekämpfen, auch wenn das wieder passend zur Musik choreografiert ist. Und auch der letzte Akt fällt ab. Allzu oft wird vor dem Vorhang agiert.
Anspruchsvolle Partien
Hindemiths kabarettistische Opernglosse benötigt vor allem gute Sänger. Was sie an Beweglichkeit in Höhe und Tiefe, in langsamer Kantilene oder aberwitziger Koloratur, im Solo, im bissigen Duett bis hin zu grandios differenzierten Ensembles zu leisten haben, lässt verstehen, warum „Neues vom Tage“ selten aufgeführt wird. Für die Laura hatte Karen Lieber beides, einen großen, in allen Lagen schönen Sopran und eine dezidierte Ausdruckskunst, die großartig die Mitte hielt zwischen Charakter und Karikatur. Dem Eduard lieh Yoontaek Rhim seinen beweglichen Bariton, auch er agil und sehr markant im Spiel. Der Tenor von Matthias Koziorowski hatte Kraft und strahlte prachtvoll in der Höhe, ein wahrlich schöner Herr Hermann und brillant kitschig beim Verführversuch von Laura. Genannt seien noch Herr und Frau M., mit Itziar Lesaka und Christian Hees gesangs- und spielfreudig besetzt sowie Cornelius Lewenberg als Standesbeamter und Sebastian Kroggel als bassiger Hoteldirektor. Eine Preziose im Sextett schufen die Manager und eine im großen Ensemble die Damen und Herren des Opernchores. Joseph Feigl hatte sie klangvoll und sicher für ihre anspruchsvolle Partie mit viel Text und viel Aktion auf der Bühne vorbereitet. Die Anforderungen der sublimen Partitur erfüllte die Mecklenburgische Staatskapelle wendig und klanglich fein abgestimmt. Der erst 29-jährige Gabriel Venzago leitete sie und hatte damit in seinem ersten Schweriner Auftritt als Kapellmeister einen erfreulich guten Start.
Fazit
Schwerins Einstudierung sollte andere Theater ermutigen, dieses wenig gespielte Stück auf die Bühnen zu bringen.