Regisseur Peter Konwitschny, 1945 geboren in Frankfurt/Main, wuchs ab 1949 als Sohn des Gewandhauskapellmeisters Franz Konwitschny in Leipzig auf. Nach Stationen unter anderem in Graz und Hamburg wurde er im vergangenen Frühjahr für sechs Jahre als Chefregisseur an die Oper Leipzig verpflichtet. Michael Ernst befragte ihn zu seiner Arbeit und den damit verbundenen Plänen.
neue musikzeitung: Wie autobiografisch sind Ihre Inszenierungen?
Peter Konwitschny: So nötig, wie das bei der Kunst ist. Ich glaube schon, dass Picassos Frauengemälde zum Beispiel durchaus biografische Züge haben. Überhaupt ist die große Sehnsucht nach mehr Nähe und Liebe zwischen den Menschen sehr autobiografisch.
Ich habe in meiner Kindheit – im übertragenen Sinn – viel Mord und Totschlag erlebt. Der Ausgang der Tristan-Geschichte sagt also nicht, wer zuviel liebt, muss sterben, sondern wer lieben – auch: sich lieben – will, muss aufhören, sich Systemen zu unterwerfen, die lieblos sind und in denen wir nur zu funktionieren haben. Oder Siegfried – der ist einfach nicht in der Lage zu taktieren. Und auch Tannhäuser ist wie ein kleiner Junge. Da spielt die Schuld eine große Rolle, dass er so etwas wie Glück nicht halten kann und demzufolge alle ihn liebenden Frauen vor den Kopf stößt. Das sind autobiografische Ansätze, die ich im Stück erkenne und die es wieder gut zu machen gilt.
Daraus ergeben sich aufklärerische Momente, die ich meinen Zeitgenossen mitteilen möchte, auch um sie aufzufordern, das in Frage zu stellen. Aber natürlich inszeniere ich nicht im engeren Sinne autobiografisch, sondern arbeite immer an etwas, das bereits die Autoren umgetrieben hat. Ich würde die Werke also nie umbiegen wollen. Denn sie haben uns alle viel Persönliches zu sagen.
Im „Feurigen Engel“ zum Beispiel wurde Renata bei mir nicht verbrannt, sondern dem Inquisitor entrissen. Und die „Aida“ ist eine Aufkündigung dieser funktionierenden Welt. Da mischt sich Autobiografisches mit dem, was im Werk vorhanden ist. Was sicher auch umgekehrt gilt. Das, was derart zu einem spricht, trifft ja auf eine Matrix von Erfahrungen und Analytischem, das ist mit Sicherheit das allgemeine Thema in der Kunst, vielleicht in allem Schöpferischen. Eventuell geht es Brückenbauern genauso – auch die wollen Menschen miteinander verbinden, wollen an andere Ufer.
nmz: So spricht der Regisseur, der bisher auf der Bühne gewirkt hat. Nun sitzt Peter Konwitschny im einstigen Intendantenbüro als Chefregisseur der Oper Leipzig – wie fühlt sich das für Sie an?
Konwitschny: Es macht mir wirklich viel Spaß. Dieses zurückliegende Vierteljahr, in dem ich hier bin, war unglaublich fruchtbar und toll. Wir sind uns in diesem Haus ziemlich einig, das gilt für die Leitung, für das Betriebsbüro, die Regieassistenten, die Technik ... Ich habe hier ausgebuffte Theaterhasen vorgefunden, die warten nur drauf, das vorhandene Potential wieder zu nutzen. Die Leitung ist sich grundsätzlich einig, was wir für Theater machen wollen. Das Wichtigste ist, eine wesentliche Botschaft zu vermitteln, die auch vom Publikum verstanden wird. Schönheit und Ästhetik sind da kein Selbstzweck, sondern haben eine Funktion.
nmz: Wie schätzen Sie die jüngere Vergangenheit des Hauses ein – nicht selten heißt es ja, Udo Zimmermann hätte das Publikum vergrault, Henri Maier sich ihm aber allzu populistisch angedient?
Konwitschny: Udo Zimmermann war halbherzig, er hat sich zwar sehr für neue Werke eingesetzt, sie aber wohl zum großen Teil den falschen Regisseuren gegeben. Da geriet manches eigentliche Wagnis dann eher lächerlich. Vielleicht wäre ein Stockhausen in meiner Regie zu retten gewesen, womöglich gar zum Theater-GAU geworden!?
Und Henri Maier scheint mir nach dem, was ich von ihm gesehen und gehört habe, ein Mann am falschen Platz gewesen zu sein. Er hat schlicht und einfach andere Auffassungen vom Theater, das passt in die französische Provinz, aber nicht hierher. Als logische Folge rutschte das Haus, was seine Außenwirkung betrifft, bedeutungsmäßig in den Keller. Furchtbar!
Wenn in einer solchen Situation dann ein Dirigent wie Riccardo Chailly fordern kann, dass entweder er oder Maier bleibt beziehungsweise geht, muss ich mich schon fragen, was in dieser Stadt los ist, dass sie sich derart erpressen lässt. Derselbe Chailly bringt seinerseits für die raren Produktionen, die er an der Oper dirigiert, völlig indiskutable Regisseure an.
nmz: Kann es sein, dass die eigentliche Fehlbesetzung nicht im Opernhaus, sondern im Büro des Kulturdezernenten auszumachen ist?
Konwitschny: Das kann ich nicht einschätzen. Ich bin mit Alexander von Maravic bei Leipzigs Oberbürgermeister Jung gewesen. Dort gab es ein auch inhaltlich richtig gutes Gespräch, der hat die Botschaft erkannt! Als erste Reaktion wollte er in der Premiere der Schönberg-Trilogie neben mir sitzen, eine demonstrative Geste.
Was den Kulturdezernenten Girardet betrifft, ist der sicherlich in hohem Grad von Harmoniewillen besessen. Er hatte mich jüngst zu einem Essen eingeladen, bei dem es eigentlich nur um einen Punkt ging: Ich solle Chailly nicht provozieren.
nmz: Haben Sie das denn getan?
Konwitschny: Im Gegensatz zu ihm habe ich durchaus Notiz von seiner Arbeit genommen. Die Art, wie Chailly sich bewegt, sein Temperament, das war mir durchaus sympathisch. Sein Zugriff auf die Musik, wie er ein Werk anpackt, all das hat mir imponiert. Ich bin ja meinerseits auch nicht unmusikalisch und deswegen mit vielen Dirigenten, Sängern und auch mit Theoretikern sehr gut ausgekommen. Daher würde ich nicht die Hand ins Feuer legen, dass es mit Chailly und mir nichts geworden wäre. Wir haben es nicht ausprobiert und leider hat auch die Lokalpresse einen gewaltigen Anteil an der Vergiftung der Atmosphäre hier. Aber ich bin natürlich auch kein Bittsteller und werde folglich niemanden aufhalten.
nmz: Chailly bleibt Gewandhauskapellmeister bis 2015, aber nicht länger GMD der Oper. Musikdirektor Axel Kober wechselt mit Leipzigs Betriebsbürochef Christoph Meyer nach Düsseldorf. Wie geht es musikalisch weiter?
Konwitschny: Kober macht hier noch ein Jahr weiter und ist anschließend ständiger Gast, das heißt, eine Neuproduktion pro Jahr ist durch ihn gesichert. Ich finde sein Gehen natürlich bedauerlich, weil er ein ausgezeichneter Kenner des Theaters ist und zudem eine sehr sympathische Art hat. Aber so ist das nun mal in unserem Bereich: Man geht ein Stück Weges gemeinsam und ist dann wieder auseinander. Für die Oper Leipzig bedeutet das, rasch einen sehr guten GMD zu bekommen, da wir ja vom Gewandhausorchester abhängig sind. Doch die Stimmungslage am Haus ist gut. Wahrscheinlich werden wir eine Weile ohne GMD auskommen müssen – sofern Chailly sich nicht eines Besseren besinnt und zu uns zurückkommt.
Zugleich ist allerdings das Interesse, sich an sinnvollem Musiktheater zu beteiligen, sehr groß. Es haben sich um die dreißig Dirigenten angemeldet, zudem auch eine Reihe von namhaften Sängern, die mit mir arbeiten wollen, teilweise sogar zum halben Preis. Das macht uns Mut!
nmz: Wie geht es in Sachen Regie weiter?
Konwitschny: Da haben wir mit Dietrich Hilsdorf und Vera Nemirowa schon Leute aus der Superklasse verpflichtet. Ich will aber auch Nachfolgende fördern und fordern, wir müssen dieser neuen Generation unbedingt Arbeitsmöglichkeiten geben. So wichtig es ist, dass hier jetzt gut inszeniert wird, so muss auch dafür gesorgt sein, in Zukunft einen Diskussionsaustausch zu stärken, der danach fragt, was Theater soll. Ich möchte, dass Leipzig ein Zentrum dafür wird! Das Interesse ist spürbar vorhanden, seit ich hier im Gespräch bin, sind schon Ideen und Vorschläge für zwanzig Spielzeiten da. Aber wir können nur etwa sieben Premieren pro Jahr machen. Für Schauspiel- und Filmregisseure, die sich zum ersten Mal in der Oper ausprobieren wollen, wird es jedenfalls keine Chance geben. Jemand wie Doris Dörrie sollte vielleicht einen Film über uns und unsere Arbeit drehen, das würde ich allenfalls unterstützen.
nmz: Fürchten Sie nicht, man könnte von Ihnen erwarten, mit den Finanzmitteln eines Provinztheaters Weltniveau zu machen?
Konwitschny: Ich bin zu kurz hier, um das beurteilen zu können. Allerdings will ich hoffen, dass die verantwortlichen Kommunalpolitiker gebildet genug sind und wissen, was Theater kostet – und dass sie nicht zu oberflächlich im Verständnis dessen sind, was für die Stadt ruhmvoll und ehrenwert ist. Ob sie also ein Eventtheater mit teuren Stars oder aber ein Theater haben wollen, das seiner Verantwortung als Korrektiv einer Gesellschaft nachkommt und sich als menschenbildendes Institut versteht. Eine Mischform wird es mit mir nicht geben, dafür bin ich ungeeignet. Während meiner Zeit in Hamburg hat man mir ermöglicht, Theater zu machen, das meins ist, für das ich mit meinem Namen stehe. Das ist theatergeschichtlich schon jetzt von Bedeutung! Nach zwei bis drei Jahren hatten wir dort ein Publikum aufgebaut, das jetzt den größten Verlust erlebt, weil das Theater, das es lieben gelernt hat, dort nicht mehr existiert.
Ganz sicher werden auch die Leipziger ihr Opernhaus rasch wieder annehmen, wenn es uns nämlich gelingt, sie davon zu überzeugen, dass hier großartiges und schönes Theater stattfindet. Die besten Voraussetzungen dafür sind ja gegeben, und damit nutzen wir jetzt auch den Kontakt zu Schulen, treffen mit Einladungen zu Probenbesuchen auf enorme Begeisterung – was ich ganz toll finde, denn das junge Publikum ist mir sehr wichtig. Die Wirkung all dessen wird sicherlich erst zeitversetzt zu spüren sein, aber hier geschieht schon jetzt eine ganze Menge, das können Sie mir glauben!
nmz: Spielt bei Ihrem Engagement der Bezug zu Leipzig eine Rolle – hier sind Sie aufgewachsen, hier war Ihr Vater Gewandhauskapellmeister – oder wäre das anderswo ähnlich? Beispielsweise in Bayreuth ...
Konwitschny: Nein, etwas wie Herkunft oder Heimat wäre für mich kein Grund, eine solche Funktion anzunehmen. Wichtig sind Partner, echte Arbeitspartner, die in der Sache mit mir übereinstimmen. Und die habe ich hier. Bayreuth weckt bei mir im Moment keine Ambitionen. Dort sollte man wieder an die eigentliche Sache herangehen – und das sind die Stücke! Ganz bescheiden und gleichermaßen mit allerhöchstem Anspruch müsste man dort die Reise zum Werk Richard Wagners wieder in den Mittelpunkt stellen, so dass in jedem Sommer echte Entdeckungsreisen zu erleben sind. Um das umzusetzen, müsste aber der ganze Laden umgekrempelt werden: wieder hin zur Werkstatt, anstelle eines High-Society-Treffs. Von denen haben die meisten letztlich doch überhaupt nichts mit den Botschaften Wagners am Hut.