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Dem konnte man nichts abschlagen

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Robert HP Platz nimmt Abschied von dem Komponisten Gerald Humel
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Eine meiner allerersten Begegnungen mit Gerald Humel fand bereits im Zusammenhang mit dem Schreyahner Herbst 1989 statt. Ich war Stipendiat im Künstlerhof, zu meinem und zum Leidwesen der Samtgemeinde und aufgrund kalendarisch/werkspezifischer Sachzwänge am Oszillieren zwischen Schreyahn, Köln und Paris, wobei Schreyahn mein dringend notwendiger Ruhepunkt war zum Erarbeiten dessen, was in Köln bei Proben und in Paris im Studio dann griffbereit sein sollte…

In diesem Zusammenhang also fragte mich Gerald, ob ich denn bitte nicht meine Wohnung im Künstlerhof für die Dauer des Schreyahner Herbstes als Künstlergarderobe für die Ausführenden der Konzerte zur Verfügung stellen könnte. Und das war nicht nur an einem Wochenende, sondern für Wochen, auch zwischendurch, immer wieder. Jeden Anderen hätte ich unter Hinweis auf meine Termine und die zur Arbeit benötigten Ruhe dazwischen abgewiesen, ja abgeschmettert… aber Gerald: dem konnte ich es nicht abschlagen. Dabei kannte ich ihn zu diesem Zeitpunkt kaum.

Dass ich ihm die Bitte nicht abschlagen konnte, besagt viel mehr über Gerald als über mich: Eine bereits mit so viel Liebenswürdigkeit und Charme vorgetragene Bitte gewinnt eine unerbittliche Durchschlagskraft, wenn dahinter jemand steht, der sich nicht für irgend etwas engagiert, seine Stimme irgendeinem Projekt leiht, sondern: wenn er das, wovon er spricht, ohne Abstriche verkörpert. Gerald war der Schreyahner Herbst, er redete nicht nur davon. Später, als wir uns besser kannten und trotz der durch die Entfernung nur spärlichen Begegnungen so etwas wie eine Freundschaft sich entwickelte zwischen uns hatte ich zunehmend das Gefühl, seine Tätigkeit in Berlin, die Aufführungen vor allem in Osteuropa, all seine Aktivitäten außerhalb des Wendlandes seien lediglich dem Broterwerb geschuldet. Wo er, so mein Eindruck, wirklich bei sich selber war, das war hier, im Wendland, in Schreyahn. Kunst auf höchstem Niveau (ich glaube, das ist ein wörtliches Zitat und ich höre ihn noch mit seinem unnachahmlichen Akzent auf dieses höchste Niveau pochen…) hierher zu bringen, das war sein Leben. Leben, so schrieb ich einmal an anderer Stelle, Leben heißt: gegen den Tod ansingen. Sterben: sich in Klang auflösen.

Gerald hat nicht nur für sich alleine gegen den Tod angesungen. Wir sind ihm dankbar für all das, was er uns als Freund und immer gut gelaunter Kollege, als Festivalgründer und -leiter, als Komponist gegeben hat. Wir sind dankbar, dass es Gerald gab. Mir war es eine Ehre, von ihm als Dirigent und als Komponist immer wieder zum Schreyahner Herbst eingeladen zu werden. Und es war Ehrensache, seinem Ruf zu folgen und sein Festival von ihm zu übernehmen. Eine erste Sorge nach dem Telefongespräch, in dem ich mit Bestürzung die Nachricht von Geralds Tod erfuhr, betraf denn auch unser Festival: Geralds geplante Uraufführung mit dem Ensemble Recherche, mit der ich ihn in diesem Jahr zum 20. Geburtstag unseres Festivals wieder in den Schreyahner Herbst zurückholen wollte, wird es die noch geben? Wie geistesabwesend griff ich in einen ungeöffneten Postberg und entdeckte ein Schreiben eben des Ensemble Recherche. Mechanisch riss ich es auf… und sah eine Einladung zum 20. Geburtstag des Ensembles. Titel des ersten Konzertes: Nur Fliegen ist schöner… Besiegen wir die Trauer, die den Anlass für das Konzert heute Abend gibt, indem wir uns freuen, Gerald begegnet zu sein, und durch sein heiliges Feuer – und das brannte in ihm! – gewärmt worden zu sein. Ich wünsche Ihnen allen zu Geralds Musik einen guten Flug.

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