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Klaus Florian Vogt im Bayreuther Parsifal. Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Klaus Florian Vogt im Bayreuther Parsifal. Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
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Den Gral gibt es nicht: „Parsifal“ eröffnet die Bayreuther Festspiele

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Eine Bayreuth-Eröffnung ohne den üblichen Glemmer, ohne Staats- und Landes-Oberhäupter und auch sonst fast ohne Prominenz, dafür mit einem durch viel Polizei und hohe Zäune abgesicherten Festspielhaus: Dies hat mittelbar mit der Neuinszenierung des „Parsifal“ zu tun, mit Drohungen, die ausgelöst wurden, als bekannt wurde, dass Regisseur Uwe Eric Laufenberg die Handlung in der Gegenwart im nahen Osten angesiedelt hat, mit diversen Bezügen zum Islam.

Nach intensiven Taschen- und Kleidungskontrollen, aber ohne Leibesvisitation, empfängt den Besucher beim Eintritt ins Festspielhaus ein projizierter Hinweis auf die Terror-Opfer der vergangenen Tage, denen diese Aufführung gewidmet sei.

Im Vorspiel öffnet sich der Blick auf eine Oberammergau nachempfundene Raumtrias, die als Nachtlager für Flüchtlinge dient. Ein Trupp GIs mit Maschinengewehren durchquert den klerikalen Raum, den nahöstlich angehauchte Mönche am Morgen von Pritschen und Kinderwagen befreien. Dann nehmen diese Gralsritter seltsame Abhebungen von Gekreuzigtenfiguren vor, tauschen Figuren des Gekreuzigten aus. Der heilige See ist ein übergroßes Taufbecken im Hintergrund, in welches Amfortas, im Jesus-Lendenschurz, aber ersichtlich ohne Seitenwunde, hineinsteigt.

Die Verwandlungsmusik wird bebildert durch einen Google Earth überbietenden Höhenflug vom Gralsbereich über weit entfernte Gestirne, mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit zurück in den Tempel. Als sich der Schleier wieder hebt, ist das große Wasserbecken nach vorne verschoben und als Gralstisch zugedeckt. Den besteigt Amfortas mit Dornenkrone und lässt sich von einem Gralsritter am Hals eine Wunde zufügen. Titurel (Karl-Heinz Lehner, durchaus ungeschwächt dominant) fängt das Blut in einem Kelch auf; die Gralsritter folgen seinem Beispiel und trinken es.

Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung enthält neben viel Befremdlichem szenische Topoi, die aus der vorangegangenen Bayreuther „Parsifal“-Inszenierung von Stefan Herheim schlecht abgekupfert sind, –  viel Leerlauf, aber auch manch Schönes und originelle Momente, ohne insgesamt sinnstiftend zu wirken.

Rätsel gab im ersten Aufzug ein in der höchsten Höhe der Kuppel sitzender, eingekerkerter Mann auf. Zunächst vermuteten manche Besucher darin den Klingsor. Der aber – bärtig und mit langem Rock – ist im zweiten Aufzug, in dem nun zu einem orientalischen Harem, mit gekacheltem Bad umfrisierten Einheitsgrundraum ein Sammler von allerlei Kruzifixen und Kreuzen. Klingsor (Gerd Grochowski) schlägt mit einem Gebetsteppich wild um sich, da er nicht die richtige Position gen Mekka findet. Mit Vorliebe hantiert er mit einem zum erigierten Phallus auslaufenden Holzkreuz, später flagelliert er sich.

Die Blumenmädchen, hier „Klingsors Zaubermädchen“ genannt, sind zunächst in schwarze Burkas gehüllt, zeigen aber bald darunter orientalische Reizwäsche. Geschickt ziehen sie dem Parsifal die GI-Uniform komplett aus und verlustieren sich mit ihm in einem Bassin.

Kundry verführt Parsifal mit einem die Schenkel frei legenden Paillettenkleid. Auch Amfortas, der zunächst von Klingsor mit zugeklebtem Mund als Gefangener abgeführt wurde, kann offenbar von Kundry noch immer nicht lassen und bumst sie auf dem zum Tête-à-Tête mit Parsifal hergerichteten Tisch heftig durch. (Dabei kann es sich nicht um eine überlagerte Rückblende handeln, denn sonst müsste Amfortas den heiligen Speer mit sich führen und verlieren.)

Im ersten Aufzug hatte der Regisseur einen kleinen Jungen eingeführt, als Doppelung zum Requisit des von Parsifal geschossenen Schwans. Der Verweis auf die Gleichsetzung von Tiertötungen und dem, was der Mensch sich dabei selbst zufügt, verweist auf Stefan Herheims Inszenierung, wo dieser Topos ungleich poetischer und sinnfälliger realisiert worden war. Dass Herheims epochale Bayreuther „Parsifal“-Inszenierung auch im zweiten Aufzug für Laufenberg Pate gestanden hat, ergibt sich nicht nur durch die kleine Bühne über dem Hauptgeschehen (Bühnenbild: Gisbert Jaekel),  sondern auch durch einen hier unmotivierten, erneuten Auftritt der verschleierten Haremsdamen – an jener Stelle, als sich bei Herheim die Bühne mit vor dem Holocaust fliehenden Juden gefüllt hatte.

Sinnstörenderweise kann Parsifal den Ausführungen Kundrys, aus denen er doch seine Schlüsse ziehen wird, nicht folgen, da er hier abgeht, um erneut sein GI-Kostüm anzulegen. Das Erlangen des Speeres vermag nicht zu überzeugen: Parsifal entwaffnet Klingsor durch eine Finte, zerbricht dann den Speer und hält die Stücke wie ein Kreuz; so zwingt er den Kreuz-Fetischisten Klingsor zur Aufgabe.

Im dritten Aufzug ist das Bühnenbild zur Einsiedelei der verjüngte Einheitsraum. In das partiell zerstörte Gemäuer schieben sich Gummibaum-Blätter und -Äste. Gurnemanz zieht die nun zur alten Vettel mutierte Kundry aus einer Nische und erfrischt sie mit einem Drink aus seinem Kühlschrank. Aus Dank lässt ihn die schwer von Parkinson geschüttelte Alte auf ihrem Rollstuhl Platz nehmen („Dienen, Dienen!“) und fährt ihn etwas herum.

Zu jener Zeit, als es noch realistische Bühnenbildner im „Parsifal“ gab und im ersten Bild des dritten Aufzugs Gurnemanz’ Hütte stand, witzelten Wagnerianer darüber, was Kundry wohl täte, wenn sie – Wagners Regieangabe folgend – für längere Zeit in dieser Behausung verschwindet, wohl das Bett machen? Laufenberg beantwortet diese Frage:  aus dem Kühlschrank entsorgt sie jene Lebensmittel, deren Verfallsdatum bereits überschritten sind.

Anstelle der Trümmerfrauen in Herheims Inszenierung treten bei Laufenberg einige Damen in heutigen Sommerkleidchen auf. Bei einem plötzlich einsetzenden, tropischen Regen im grünen Blätterwald vergnügen sie sich beim „Karfreitagszauber“ in paradiesischer Nacktheit. Diese Bildfindung erweist sich als durchaus sinnvolle Deutung von Wagners Maxime „Natur und Mensch ein Elemente“ (im Revolutionsgedicht „Die Not“). Wenig gelungen ist hingegen der Abschluss dieser Szene, wenn sich die Statistinnen um Gurnemanz, Parsifal, und die im Rollstuhl sitzende Kundry zu einem Gruppenbild mit Dame arrangieren.

Während der zweiten Verwandlungsmusik, wird – wie schon bei Herheim – die Totenmaske Wagners projiziert, zuvor das hexenartig deformierte Gesicht der alten Kundry und das des Amfortas. Danach ist der Bühnenraum wieder etwas breiter aufgezogen zum leicht maroden Tempel, nun allerdings ohne Gralstisch. Den Sarg mit dem bereits völlig verwesten Titurel geleiten die waffenlosen Mönche in ihren alten Kostümen, die zweite Gruppe des Doppelchores bilden Glaubensangehörige diverser anderer Religionen (wie dies bereits Christoph Schlingensief in seiner Bayreuther Inszenierung demonstriert hatte). Amfortas wirft krachend den Sargdeckel auf und lässt (wie in der vorangegangenen Inszenierung) den toten Vater als Sand durch seine Hände rieseln.

Ohne Kundry erscheint Parsifal und lügt den Anwesenden vor, der Speer sei „heil und hehr“, obgleich er doch weiterhin zerbrochen und als Kreuz deformiert ist. Da es in dieser Inszenierung keinen Gral gibt, entsorgt er das Zeugengut in den leeren Sarg, wohin auch Amfortas sein Hoheitszeichen und die anwesenden Gläubigen ihre Gebetsutensilien – Bibel, Koran, Tora und Kreuze – entsorgen. Der Gesang, „Höchsten Heiles Wunder: Erlösung dem Erlöser!“ bringt dann Klärung, wer jener zweieinhalb Akte lang in höchster Höhe Anwesende ist. Denn der sitzt immer noch gekrümmt auf seinem Stuhl, unbeweglich und vermutlich tot, aber nicht mehr eingekerkert.

Liest man Partitur und Libretto aufmerksam, so erschließt sich, dass sich Richard Wagners finales Fazit auf niemand Anderen bezieht als auf jenen Sozial-Revolutionär Jesus von Nazareth, dem der revolutionäre Komponist ein eigenes Drama gewidmet hatte. Dieser „Erlöser“ und „Heiland, Herr der Huld“ hatte Parsifal, wie der im zweiten Aufzug berichtet, um Hilfe gebeten, um Erlösung aus dem gegen seinen Willen um ihn errichteten klerikalen „Zauber“. Dieser also in Wagners originaler Handlung immanent anwesende und sogar – durch das Festhalten des auf Parsifal geschleuderten Speeres über dessen Haupt – aktiv ins Geschehen eingreifende Jesus mutiert bei Laufenberg zum alten Gott, Gottvater-Jehova-Allah.

Nach seiner Tetralogie über die materielle Befreiung der Menschheit vom Kapital hat Richard Wagner mit dem Bühnenweihfestspiel die Befreiung von geistiger Bevormundung abgehandelt. Insoweit kommt der Regisseur der Bayreuther Neuinszenierung mit diesem Ende den Intentionen des Komponisten nahe. Während die handelnden Personen in der Tiefe der Bühne, im Rauch, verschwunden sind, wird der Zuschauerraum sukzessive aufgehellt. Dieser Vorgang hält auch noch nach dem Verklingen des letzten Tones an und bewirkt eine im Festspielhaus lange Jahre nicht mehr zu erlebende Stille nach dem Schlussakkord – hier zugleich eine Gedenkminute für die Opfer der jüngsten Anschläge und deren Angehörige, wie es eingangs die Projektion initiiert hatte.

Danach setzte am Premierenabend donnernder Applaus ein. Ein Triumph insbesondere für den von Eberhard Friedrich einstudierten Festspielchor, der gerade im Schlussakt mit extrem dynamischer Intensität arbeitet, wie auch für das sich beim Applaus auf der Bühne bewegende Festspielorchester. Nur mit den Gralsglocken gab es im ersten Aufzug ein Problem: anstatt deren Schlägen war nur ein vibrierendes Scheppern von Obertönen zu vernehmen; glücklicherweise erklangen sie im dritten Aufzug, zur Projektion der (Berliner?) Freiheitsglocke, wieder massiv.

Andris Nelsons hatte das Bayreuther Festspielorchester trefflich einstudiert, bis er aus nicht ganz geklärten Gründen demissionierte und Hartmut Haenchen mit nur einer Orchesterprobe eingesprungen ist. Haenchen, selbsterklärter Retter des „Parsifal“ in der DDR, hat sicherlich sein Bestes getan. Seine Eigenleistung wird in den Folgejahren besser zu beurteilen sein als diesmal, wo dem Hügel-Neuling doch einiges zwischen Bühne und Graben entglitten ist.

Klaus Florian Vogt in der Titelpartie ist eine blendende Erscheinung, in voller Kampfmontur, wie in schwarzer Sondereinheitsvermummung, entkleidet und nass oder im abschließenden Erstkommunions-Anzug. Die Titelpartie gestaltet er, wie nicht anders zu erwarten, mit sehr viel Parlando. Die Worte, „Mit diesem Zeichen bann’ ich deinen Zauber“ intoniert er verblüffenderweise mit jener knabenschlanken Stimmgebung, mit der Vogt in den Vorjahren die Gralserzählung interpretiert hat.

Elena Pankratova als Kundry verfügt über ein sehr wohltönendes Organ und über viele stimmliche Nuancen, ist gleichzeitig aber nahezu textunverständlich. Leider folgte sie der weit verbreiteten Unsitte, den Fluch am Schluss des zweiten Aktes in die höhere Oktave zu verlegen und bewirkte so durch scharfe Töne selbst Abstriche an ihrer eigenen Leistung.

Jubel gab es auch für Georg Zeppenfeld als Gurnemanz, der im ersten Aufzug inszenierungsbedingt farblos verhalten, im dritten Aufzug zur Höchstform auflief. Stimmgewaltig gestaltet Ryan McKinny einen an keinerlei körperlichen oder geistigen Problemen leidenden, ungewohnt kraftstarken Amfortas.

Die Produktion, der eine Weiterarbeit in den nächsten Jahren zu wünschen ist, wurde bereits am Premierentag in zahlreiche Kinos übertragen und wird am 30. Juli in 3sat ausgestrahlt.

Weitere Aufführungen: 2., 6., 15., 24. und 28. August 2016.

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