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Christopher Robson als Parkwächter in „The Little Lives“ bei der Münchner Biennale. Foto: Smailovic
Christopher Robson als Parkwächter in „The Little Lives“ bei der Münchner Biennale. Foto: Smailovic
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Der Demagoge tänzelt übers Grün: „The Little Lives“ von A.L. Kennedy und Ann Cleare bei der Münchner Biennale

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Zwischen Brexit-Irrsinn und Corona-Lockdowns kann einem schon mal ein wenig klaustrophobisch zumute werden. Die auch hierzulande bekannte und präsente schottische Autorin A.L. Kennedy hat dieses Gefühl für die Münchner Musiktheater-Biennale in ein Libretto gegossen, das auf den ersten Blick eine interessante szenische Konstellation verspricht.

Vier Personen, die sich von einem öffentlichen Park Erholung und Zerstreuung verheißen, sehen sich einem „Parkwächter“ ausgeliefert (der englische Text benutzt die deutsche Bezeichnung). Dieser erklärt die Grünanlage kurzerhand für geschlossen. Eine nicht näher bezeichnete Gefahrensituation sei eingetreten, verkündet er, alles geschehe nur zum Besten der Betroffenen, er baue auf die Befolgung der Anweisungen und „gesunden britischen Menschenverstand“.

Dieser kollabiert nun aber nicht bühnenwirksam in dem Sinne, dass die Parkbesucher übereinander herfallen und sich im Geiste von Sartres „Geschlossener Gesellschaft“ das Leben gegenseitig zur Hölle machen. Auch das Aufbegehren gegen die selbst ernannte Autorität gestaltet sich eher schlaff, dafür fallen die Eingesperrten auf sich und ihre „little lives“ zurück: Sarah, eine der Welt irgendwie abhanden Gekommene; Paul, der sich zurück in der schottischen Heimat fremd vorkommt und den Tod seines Vaters über den Handybildschirm miterleben musste; das frisch verheiratete und ebenso frisch in der ersten Krise befindliche Paar Andrea und Thomas.

So kippen die der äußeren Handlung zugehörigen Gespräche immer wieder in lange selbstreflexive Monologe oder Dialoge aus der Beziehungskiste. Komponistin Ann Cleare unterstreicht diese im Libretto angelegten Tempoänderungen, indem sie Erstere, meist kaum begleitet, sprechen lässt, in Letzteren dafür die Zeit umso stärker dehnt. Den aus Flöte, Oboe, Trompete, Horn, Tuba, Violine, Violoncello und Schlagwerk zusammengesetzten Ensembleklang (gewohnt brillant die Musikfabrik unter Aaron Cassidy) tönt sie mittels einer äußerst differenzierten Notation fein nuanciert ab. Nichtsdestotrotz ergibt das aber meist kaum mehr als ein relativ gleichförmiges Begleitkontinuum, über dem sich die Sänger allzu problemlos in relativ sanglichen Linien ihrer Introspektion hingeben können.

Während die Parkbesucher also eher träge über diesen gut gepflegten Klangrasen trotten, tänzelt der Wächter leichtfüßig über das Grün. Denn in Christiane Pohles Uraufführungsinszenierung finden wir uns (in der Münchner „Utopia“) in einem Indoor-Sportpark festgesetzt, der von einem Golfgelände dominiert wird (Bühne und Kostüme: Charlotte Pistorius). Als Grenkeeper kümmert sich der rassistisch-reaktionäre Parkwächter (vor allem der dunkelhäutige Paul bekommt das zu spüren) nicht nur um dessen perfekten Zustand, sondern schwadroniert – Pro-Brexit-Parolen hochhaltend und ganz im Sinne des „gesunden Menschenverstands“ – unter anderem auch gegen Transpersonen und Behinderte.

Nun macht Christopher Robson aus dieser im Vergleich dankbarsten, zumeist gesprochenen Rolle aber ein derartiges Kabinettstück, dass der ganze Abend Schlagseite bekommt. Der Demagoge mit dem putzigen schottischen Akzent hat die Lacher auf seiner Seite, für die langatmig besungenen „kleinen Leben“ hält sich das Interesse dagegen in Grenzen. Nach einer dramaturgisch reichlich überflüssigen Pause hat Robson seinen größten Auftritt, denn für einen langen, abgründigen Monolog darf der Parkwächter nun auch selbst singen. Ein per Freeze-Effekt ins Endlose gedehnter Klang untermalt das Solo. Christiane Pohle verstärkt den Effekt dieser zentralen Szene noch, indem sie es Nacht werden lässt. Licht spendet einzig des Wächters Taschenlampe, vermeintlich bewahrt also nur der gefährliche Schwafler den Durchblick.

Ansonsten setzt die Regisseurin bei den weniger unterhaltsamen Passagen auf Ablenkung. Während die Entfremdung des Paars wortreich voranschreitet, wird die Sporthalle zum Wahllokal, in dem die Stimmen für und gegen den Brexit ausgezählt werden. Auf zwei Tafeln werden die Zwischenstände mit Kreide festgehalten – Ausgang bekannt.

A propos Ausgang: Wie sich schließlich herausstellt, waren die Tore die ganze Zeit geöffnet. Die Eingesperrten hätten die Autorität des Wächters nur infrage stellen müssen. Dies gilt in Bezug auf die Textvorlage vielleicht auch für Ann Cleare. Ein etwas weniger ehrfürchtiger Zugriff – es muss ja nicht gleich das Gander’sche Dauerstaccato sein – hätte dem Ganzen jedenfalls gut getan, so wie ja auch die Regisseurin Prolog und Epilog (hier müssten die Musiker als Schauspieler mitmachen) kurzerhand und wohl nicht zum Schaden des Stücks gestrichen hat.

Zu Recht großen Jubel gab es bei dieser zweiten Aufführung für Christopher Robson und die fantastischen Gesangsleistungen von Annette Schönmüller (Sarah), Peter Brathwaite (Paul), Peyee Chan (Andrea) und John Pumphrey (Thomas).

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