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„Das grosse Feuer“ von Beat Furrer am Opernhaus Zürich. Foto: © Herwig Prammer

„Das grosse Feuer“ von Beat Furrer am Opernhaus Zürich. Foto: © Herwig Prammer

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In der Dunkelheit des Ascheregens – Beat Furrers „Das grosse Feuer“ in Zürich uraufgeführt

Vorspann / Teaser

Es ist ein aparte Koinzidenz: Musiktheater-Novitäten des bedeutendsten Schweizer Komponisten der Gegenwart Beat Furrer verbinden das Opernhaus Zürich und die Staatsoper Unter den Linden in Berlin über eine prominente Personalie. Während der Intendanz von Matthias Schulz wurde in Berlin die Uraufführung von Furrers „Der violette Schnee“ herausgebracht und dann im Stream den Unbilden der Coronakrise entgegengestellt. In Zürich hat jetzt der scheidende Intendant Andreas Homoki seine Abschlussspielzeit ebenfalls mit der in Auftrag gegebenen Furrer-Novität „Das grosse Feuer“ veredelt. Auch wenn das Zürcher Premierenpublikum seinen unisono Zustimmungs-Applaus im Zaum hielt, war die Uraufführung in der Inszenierung von Tatjana Gürbaca mit dem Komponisten am Pult ein veritabler Erfolg. Obwohl sich die Regisseurin wegen einer Erkrankung während der Probenarbeiten von Co-Regisseurin Vivien Hohnholz vertreten lassen musste.

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In neuen Musiktheater von Beat Furrer knistert das titelgebende große Feuer bildlich gesprochen eher, als dass es hell lodert. Sein Vernichtungswerk ist dennoch komplett. Es verschlingt nicht nur einen imaginären Wald und verweist damit auf ein Exempel der großen Gefährdung der Natur von Heute. Hier verbrennen der indigene Held Eisejuaz und sein abgrundböser Widerpart Paqui zwar nicht physisch, sie werden „nur“ aus Versehen vergiftet. Aber die Pointe des Ganzen ist damit genauso deprimierend. Auch, weil man es von Anfang an ahnen konnte.

Die für Furrers Musiktheater-Werke typische Wortmusik hat diesmal der Librettist Thomas Stangl aus dem Roman „Eisejuaz“ der argentinischen Schriftstellerin Sara Gallardo (1931-1981) geschreddert und auf die Akteure herabregnen lassen. Da in Spanisch und Deutsch gesungen und englisch und deutsch übertitelt wird, sind die englischen und deutsche Übertitel tatsächlich unverzichtbar, um diesem poetischen Surrogat, das eine lineare Handlung ersetzt, halbwegs auf den Versen zu bleiben.

So wie bei Tatjana Gürbaca (Regie) und Henrik Ahr (Bühne) gelegentlich Asche auf die angekippte Drehscheibe im Zentrum eines düsteren Bühnenguckkastens rieselt, so treffen die Laute, Worte und Satzbruchstücke auf den musikalischen Sound, den Beat Furrer längst als eigene Marke etabliert hat. Der sichert dem 1954 geborenen, in Österreich lebenden Schweizer auf jeden Fall Wiedererkennbarkeit.

Was so im Zusammenwirken seiner Teile auf der Bühne entsteht, ist bei allen Überlagerungen unterschiedlicher narrativer und assoziativer Ebenen die atmosphärische Dimension eines apokalyptischen Untergangsstrudels. Ein Strudel, der wie ein schwarzes Loch alles verschlingt: „In diesem Drecksloch“, das gehört zu den ersten Worten von Paqui. Andrew Moore verkörpert diesen Finsterling, dem jeder Charme mephistophelischer Dialektik abgeht, mit überzeugender Unverschämtheit.

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„Das grosse Feuer“ von Beat Furrer am Opernhaus Zürich. Foto: © Herwig Prammer

„Das grosse Feuer“ von Beat Furrer am Opernhaus Zürich. Foto: © Herwig Prammer

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In den 41 Szenen der zwei Akte, die sich für den Zuschauer über einhundert anstrengende pausenlose Minuten erstrecken, geht es vor allem um jenen Eisejuaz. Leigh Melrose bleibt dieser vokalen und darstellerischen Herausforderung nichts schuldig. Eisejuaz ist der Sohn eines Schamanen und Anführer eines indigenen Volkes im Norden Argentiniens. Da er in einer christlichen Mission aufgewachsen ist, ist der Clash der Kulturen (inklusive ihrer Schattenseiten und Abgründe) in ihm angelegt. Er hat einerseits eine innere Verbindung zur Natur, dem Wald, den Tieren, ist aber andererseits auch von christlichen Dogmen wie dem der Nächstenliebe so gefangen, dass er dem kriminell rassistischen Paqui auch dann noch immer wieder hilft, obwohl der ihn beschimpft, erniedrigt und hintergeht. Für ihn wird es zu einem Auftrag seines Christengottes, zur Prüfung. Um dieses ungleiche Paar, mit dem die innere Zerrissenheit von Eisejuaz personifiziert ist, reihen sich absonderliche reale und imaginäre Begegnungen. Etwa die mit Mauricia (Elina Viluma-Helling), der Schwester seiner verstorbenen Frau Lucia. Mauricia will ihn zurück in die Mission holen und versucht ihn zu überreden, ihren Mann zu ermorden und seine Stelle an ihrer Seite und als Aufseher in der Mission einzunehmen. Er begegnet revolutionären Aktivisten, einer alten Seherin und einem Schamanen, gerät immer wieder in Konflikt mit dem Pastor und wird schließlich von dem von Paqui aufgewiegelten Mob fast erschlagen.

In dieser seltsam zerrissenen, surreal magisch mäandernden Welt, deren Klänge der Stille und Sprachlosigkeit abgetrotzt sind, mit ihren gelegentlich Orchester-Eruptionen, wird der Chor das erste Mal bei Furrer zum raunenden Resonanzraum. Das von Cordula Bürgi einstudierte österreichische Vokalensemble Cantando Admont brilliert inmitten der Statisten mit seinen Beiträgen.

Die Inszenierung von Gürbaca hat freilich das Raunen bis zur tödlichen Pointe eher verstärkt, sich jedenfalls nicht mit dem Versuch von szenischem Aufklaren entgegengestellt. Falls die Kostüme mit denen Silke Willrett vor allem bei den zentralen Protagonisten eher auf eine banale Gegenwart verweist (ein Held in Unterhemd und Hose hat Nichts von einem Schamanen), aufs Allgemeine zielen wollten, so bleibt das Behauptung.

Am Ende ist es wie oft bei Uraufführungen – da bremst der Respekt vor der Novität (und ihrer Rätselhaftigkeit) den szenischen Widerspruchsgeist selbst von eigentlich zupackenden Regisseuren. Was freilich auch eine Einladung zu einem weiteren Versuch ist, den Funken des großen Feuers überschlagen zu lassen. Rein bildlich gesprochen, versteht sich.

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