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The Erlkings beim Heidelberger Frühling. Foto: Nico Rademacher www.studio-visuell.de
The Erlkings beim Heidelberger Frühling. Foto: Nico Rademacher www.studio-visuell.de
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Der Heidelberger Frühling macht sich mit dem Schwerpunkt „Neuland.Lied“ für das Kunstlied stark

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Heidelberg ist mit dem deutschen Kunstlied eng verbunden. Goethe und Brentano, Schumann oder Brahms ließen sich von der malerischen Gegend inspirieren. Das Festival Heidelberger Frühling will die Stadt nun wieder zu einem Zentrum der Liedkultur machen. Schon länger gibt es eine eigene Lied-Akademie. In diesem Jahr wurden zudem Thomas Quasthoffs „Lied“-Wettbewerb integriert und ein Schwerpunkt „Neuland.Lied“ mit 16 Konzerten an vier Tagen veranstaltet.

Das Kunstlied war noch nie ein Kassenschlager; es lebt seit jeher mit einem kleinen, feinen Publikum. In der reizüberfluteten Gegenwart jedoch hat es die intime, Zeit und Muße verlangende Gattung immer schwerer.

Aus Veranstaltersicht ist es daher verständlich, den „Neuland-Lied“-Schwerpunkt nicht mit kargen Klavierliedern zu eröffnen, sondern im Großformat: mit Gustav Mahlers „Lied von der Erde“, einem Zwitter zwischen Sinfonie und Orchesterlied.

In der Stadthalle, einem bräunlichen Jugendstilkoloss, bot die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz eine solide Interpretation, die durchaus mehr Präzision und Nuancenreichtum vertragen hätte. Die Solisten dürften jedoch dürften dem Liedgesang kaum neue Freunde zugeführt haben. Toby Spences feiner, knabenhafter Tenor wurde vom Orchester überdeckt. Michelle DeYoung wiederum nuschelte und zog mit opernhafter Affektiertheit ihre Partie ins Sentimentale.

Als mustergültige Mahler-Interpretin erwies sich hingegen Annette Dasch, die eine Auswahl von Mahler-Liedern darbot, spannungsreich begleitet vom Fauré Quartett. Bei Dasch saß jede Ausdrucksnuance. Die glückliche Verschmelzung von intellektueller Durchdringung, Gefühlsintensität und glasklarer Aussprache darf dem am Festival teilnehmenden Nachwuchs als Vorbild dienen.

Sechs jüngere Sängerinnen im ersten Stadium der Profi-Karriere gestalteten einen ganztägigen Lied-Parcours in der holzgetäfelten Universitätsaula, einem atmosphärisch und akustisch dafür bestens geeigneten Saal.

In diesem „Divan of Song“ kombinierten die Sängerinnen, die aus verschiedenen Weltregionen stammen, deutsches Liedgut mit Gesängen aus ihrer Heimat; aus China, dem Iran oder Israel. Die aparte Programmidee dehnt das Repertoire und schlägt zugleich einen Bogen zum diesjährigen Festivalmotto „In der Fremde“.

Die halbstündigen Mini-Konzerte des „Divan of Song“ nahmen auf Besucher mit eingeschränkter Aufmerksamkeitsspanne Rücksicht. Anderswo wurde, wohl um die hermetische Gattung zugänglicher zu machen, das Lied durch andere Kunstformen erweitert.

So verbanden sich Lautenlieder des 17. Jahrhunderts mit den modernen Bewegungen zweier heftig tätowierter Tänzer zu einer Bühnenproduktion unter dem Titel „still“. Mirella Hagen sang die Lieder mit lieblichem, butterweichem Sopran. Die zarte Renaissance-Musik bräuchte jedoch einen intimeren Spielort als eine umgebaute Fabrikhalle.

Andere Veranstaltungen kombinierten Lieder mit Literatur, Videokunst oder Drama. Augenzwinkernde Verfremdungen hörte man von den „Erlkings“, die Schubert ins Englische übersetzen und mit Pop-Arrangements für Cello, Tuba und Schlagwerk versehen.

Die Erlkings begleiteten eine Brotzeit in einem historischen, stark hallenden Tanzlokal. Wenn da die Tuba scheppert wie die Mühle am rauschenden Bach, ist das ein Heidenspaß – von Schuberts feinen Stimmungsschattierungen bleibt aber wenig übrig.

„Neuland.Lied“ offenbarte ein Dilemma der Veranstalter: Einerseits verkaufen sich traditionelle Liederabende schlecht. Peppt man die intime Gattung jedoch mit ihr äußerlichen Elementen auf, gibt man ihr vielleicht erst recht den Rest. Zu bewundern sind der Mut und das Feingefühl, mit denen der Heidelberger Frühling auf diesem heiklen Gebiet experimentiert.

Fest steht: Wer selbst singt, findet leichter Zugang zum Kunstlied. Daher veranstaltete das Festival die Mitmach-Aktion „Heidelberg singt!“. Beim Stadtspaziergang am Palmsonntag erlebte man Schrammel-Rock beim örtlichen Energieanbieter, einen Gesangsgottesdienst, französische Lieder in einer Galerie oder einen Schulchor auf dem Marktplatz. An diesem Tag war Heidelberg wirklich ein Zentrum des Liedes.

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