Angekündigt war das Konzert des vision string quartet als „ein Projekt, das den traditionellen Konzertrahmen auflöst“. Das junge Quartett kollaborierte zusammen mit Folkert Uhde, Gründer und Betreiber des Radialsystem V in Berlin. Auf dem Programm standen mit Schostakovich‘ Streichquartett Nr. 8, Barbers Adagio for strings und Debussys Streichquartett in g-Moll drei Klassiker, die über Licht, Video und die Fragmentierung des Streichquartett II des Schweizers Jürgen Frey zu einer Gesamtinszenierung zusammengebunden wurden.
Traditionen weiterzuentwickeln und Unkonventionelles auszuprobieren ist ein spannendes Vorhaben. Das vision string quartet erprobt dies in seinen Aufführungen in zwei entgegengesetzten Richtungen: Mehr Visualität oder überhaupt keine Visualität. Wie einige andere Quartette auch, spielt das vision string quartet Konzerte in absoluter Dunkelheit. Das gibt dem Hörsinn maximale Schärfe. An diesem Abend verfolgt das Quartett zusammen mit Folkert Uhde den gegensätzlichen Ansatz: dem Sehsinn wurde im Konzert einen großen Raum gegeben, indem das Quartett durch Licht und Schatten in Szene gesetzt (Arnaud Poumarat, Maxim Schmidthals) und die Musik um Bilder und Videos (Folkert Uhde) ergänzt wurde.
Schon vor Beginn des Konzerts sieht das Publikum das Quartett in der sakral anmutenden Halle des ehemaligen Abwasserpumpwerk, dem Radialsystem V. Allerdings nicht realiter, sondern virtuell – übergroß und verteilt auf zwei große Video-Leinwände. Mit geschmeidigen Bewegungen streichen die Musiker die Saiten, ohne dass etwas zu hören ist. Langsam, fast unmerklich schleicht sich der Ton dazu und das Streichquartett II von Jürgen Frey erklingt – verstärkt und mit Hall. Ruhige, zerbrechliche Glissando-Motive, die durch regelmäßige Pausen voneinander getrennt sind. Schließlich betreten die Musiker die Bühne. An ihren übergroßen Abbildern laufen sie vorbei und verschwinden wieder im Dunkel der Bühne. Dann fließt der erste Ton des Adagios von Barber in eines der langsam abschmierenden Glissandi, das Video erlischt und das Quartett wird wieder sichtbar: um ein warm-gelbes Licht stehend, wie um ein Lagerfeuer versammelt. Behutsam, den im Stück lauernden Kitsch umgehend, spielen Jakob Encke (Geige), Daniel Stoll (Geige) Sander Stuart (Bratsche) und Leonard Disselhorst (Cello) in der Intimität des Lichts, das synchron zur Musik leicht an- und abschwellt.
Das Streichquartett II schwebt wieder in den Raum. Es ist der Atem der Aufführung, der alles zusammenbindet und nun zu Schostakovich überleitet. Jetzt wird die Videoebene wieder einbezogen: Das Quartett spielt vor – oder besser: in – wechselnden großen historischen Schwarz-Weiß Fotos von Leningrad, Schostakovich‘ Geburtsstadt (die damals St. Petersburg hieß). Auf der anderen Leinwand läuft parallel eine Slideshow mit Portrait-Fotos des Komponisten. Beim zweiten Satz kratzt und quietscht die erste Geige und es knallt eine weiße Neonröhre im Hintergrund auf – ein Pop-Moment.
Mit Pop geht es auch weiter: Zu Debussy lässt Uhde bunte pilzartige, psychedelische Gebilde auf den Leinwänden explodieren und wieder wachsen: Tinte, die sich in Zeitlupe im Wasser ausbreitet, wie animiertes Action Painting. Das ist schön anzusehen, lenkt aber auch ab, da nun auf den Leinwänden genauso viel passiert wie in der Musik und die Eigendynamiken der beiden Medien nicht ineinander aufgehen.
Spätestens jetzt stellt sich die Frage, welche Funktion das nebeneinander von Musik und Visualität in dieser Aufführung hat oder haben sollte. Will die Videoebene die Musik untermalen? Kontrastieren? Informationen liefern? Uhdes Inszenierung wirkt unentschlossen. Slideshows von Fotos, die an YouTube-Videos erinnern, bereichern das Musikhören und Konzerterlebnis nicht sonderlich. Das Licht aber schafft einen atmosphärischen Rahmen in dem sich das Hören entfalten und mit dem Sehen verbinden kann. Es arbeitet mit den Musikern, ihren Bewegungen und Schattenwürfen und dem Raum als visuellem Material.
Was beibt? Shostakovich im Ohr: Die peitschenden Akkordschläge. Debussy im Kopf: Die rieselnden Melodiebögen. Die Musiker: Ihre Schatten überlebensgroß. Und ein leiser Zweifel: Brauchte es wirklich mediale Geschmacksverstärker in diesem Ausmaß, um ein Kammermusik-Konzert auf andere Art und Weise erlebbar zu machen?