Vor kurzem erst hatte das Vokalensemble Stimmwerck seine Auflösung zum Ende des Jahres angekündigt. Nun fanden die Stimmwercktage, das von den vier Sängern initiierte Festival auf dem Adlersberg bei Regensburg, mit ihrer 14. Ausgabe einen würdigen Ausklang.
Wehmut wollte man wohl erst gar nicht aufkommen lassen. „Danke an Euch!“, hatte zu Beginn des kurzen, wunderbar süffigen weltlichen Programms jemand aus dem Publikum dem moderierenden Franz Vitzthum noch zugerufen. Doch am Ende franste die abschließende Sitzweil im Zehentstadel einfach in Danksagungen nebst Weinflaschen-Verteilung an die vielen Helferinnen und Helfer im Hintergrund aus. Und dann waren sie plötzlich vorbei, die letzten Stimmwercktage.
Erstaunliche Entwicklung
Das Festival auf dem Adlersberg hat sich in den vierzehn Ausgaben seit 2005 erstaunlich entwickelt: von den fünftägigen „Renaissance-Sessions“ (so der damalige Ideengeber Alois Späth) unter Gleichgesinnten zu einem ausgefeilten, zeitweise vom Bayerischen Rundfunk mitgeschnittenen Wochenende, das mit Gastmusikern bereichert, mit Vorträgen, Gesprächen und wissenschaftlichen Akademien thematisch ergänzt und in zunehmendem Maße auch mit zeitgenössischer Musik kontrapunktiert wurde. Kein Zweifel, hier hat sich im Zusammenspiel von Aufführungsort, Repertoire, Interpreten und Publikum etwas ganz Besonderes entwickelt: ein Ereignis, bei dem eine sonst eher Eingeweihten vorbehaltene Musik zwanglos, aber mit großer Ernsthaftigkeit gefeiert wurde.
„Wenn’s am schönsten ist…“ – diese Weisheit des rechtzeitigen aufhören und loslassen Könnens lag denn auch wie ein melancholischer Zauber über der letzten Ausgabe. Sie führte mit Musik aus der weltberühmten Proske-Sammlung der Bischöflichen Zentralbibliothek Regensburg nicht nur zu den Wurzeln der Wiederentdeckung der Renaissance-Vokalpolyphonie im 19. Jahrhundert zurück, sondern auch zu jenen der musikalischen Sozialisation des Ensembles Stimmwerck, das sich zum Ende des Jahres auflösen wird. Drei der vier Sänger haben bei den Domspatzen an genau diesem Repertoire die hohe Kunst erlernt, die subtilen Verschränkungen und Zusammenklänge der Stimmen nicht nur klar zu strukturieren, sondern sie im Sinne der zugrunde liegenden geistlichen Texte auch zu beseelen.
Dass sich da Menschen aus Fleisch und Blut ganz einer ihnen am Herzen liegenden Musik hingeben, war vor allem im Sonntagskonzert zu erleben, als mit einer Lamentation Giovanni Pierluigi da Palestrinas, dem „Tristis est anima mea“ von Orlando di Lasso und dem „Domine non sum dignus“ von Tomás Luis de Victoria drei herausragende, ausdrucksintensive Sätze auf dem Programm standen. Vor allem bei Victorias „Herr, ich bin nicht würdig…“ traten die individuellen Vokalfarben von Franz Vitzthum, Klaus Wenk, Gerhard Hölzle und Marcus Schmidl immer wieder auf berührende Weise hervor, um sich doch im Gesamtklang zu einem größeren Ganzen zu fügen.
Gastkomponist Hans Schanderl
Diese beseelte Klarheit kam dann auch den Werken Hans Schanderls, des diesjährigen Gastkomponisten zugute: herausragend, wie er die Essenz der gewählten Textvorlagen (Walt Whitman in „Whispers of Heavenly Death“ und Rabindranath Tagore in „Gitanjali Nr. 7“) in einer ganz eigenen modalen Tonalität herausarbeitet. Der meditative Sog, den die von Schanderl selbst auf der persischen Santur begleiteten, rhythmisch geschärften Vokalisen in „Flying – Lullabye“ erzeugen, lullt nicht ein, sondern schärft ebenso die Sinne wie seine das Cello mit Loop-Verfahren multiplizierende, gleichsam räumlich öffnende Improvisation „layered sound leafs Nr. 1“.
Das Renaissance-Programm wurde diesmal von vier herausragenden Bläsern (Zink und Posaunen) des Ensembles Oltremontano bereichert. Gekrönt wurde es am Samstag und abschließend am Sonntag durch je ein achtstimmiges, doppelchöriges Werk. Studierende und Lehrende der Akademie verschmolzen mit den Bläsern und den Stimmwerckern zu einem prachtvollen Magnificat. Ein würdiges Schlusswort einer denkwürdigen Unternehmung.