Ein reizvoller Dualismus durchzieht Leben und Werk des Künstlers, nicht nur deshalb, weil ein ostpreußischer Freiherr und Geschäftsmann namens Halffter sich Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Spanien niederließ, eine Andalusierin heiratete und damit den Grundstein für eine der bedeutendsten Musikerdynastien Spaniens legte. Cristóbals Onkel Ernesto und Rodolfo, die beide Ende der achtziger Jahre starben, waren hoch geachtete Komponisten. Bei ihrem Neffen finden sich noch immer deutscher Perfektionsdrang und südspanische Sinnlichkeit nahezu unverfälscht nebeneinander; seine Musik ist eine immer wieder neu gewonnene Synthese aus Formsinn und sensitiver Ästhetik, aus der Lust an Strukturen und kraftvoller Entladung.
Zum künstlerischen Geschäft gehört heute vor allem die möglichst schräge Selbstinszenierung. Der Typ des Künstlers, der sein Schaffen als Leidenschaft und Verpflichtung dem Intellekt gegenüber versteht, ist selten geworden. Der spanische Komponist Cristóbal Halffter ist mit erstaunlicher Konsequenz seiner Mission als mahnende Stimme für sein Land während seines bisherigen Künstlerlebens treu geblieben. Während der Franco-Diktatur gewann er einen Großteil seines künstlerischen Potenzials aus dem Widerstand gegen die Tyrannis. Und trotzdem war er immer weit mehr als ein aufrechter Widerstandsmusiker. Ein reizvoller Dualismus durchzieht Leben und Werk des Künstlers, nicht nur deshalb, weil ein ostpreußischer Freiherr und Geschäftsmann namens Halffter sich Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Spanien niederließ, eine Andalusierin heiratete und damit den Grundstein für eine der bedeutendsten Musikerdynastien Spaniens legte. Cristóbals Onkel Ernesto und Rodolfo, die beide Ende der achtziger Jahre starben, waren hoch geachtete Komponisten. Bei ihrem Neffen finden sich noch immer deutscher Perfektionsdrang und südspanische Sinnlichkeit nahezu unverfälscht nebeneinander; seine Musik ist eine immer wieder neu gewonnene Synthese aus Formsinn und sensitiver Ästhetik, aus der Lust an Strukturen und kraftvoller Entladung. Halffters Grenzwanderung zwischen Deutschland und Spanien begann, als die Familie in den Bürgerkriegsjahren 1936 bis 1939 ins Rheinland zog, sie setzte sich fort, als der junge Komponist in den sechziger Jahren die Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt besuchte und mit der europäischen Szene der zeitgenössischen Musik in Berührung kam, mit Boulez, Stockhausen, Berio, Pousseur. 1963 war Halffter lernbegieriger Teilnehmer, 1976 wurde er zum ersten Mal als Dozent eingeladen. Förderer der Neuen Musik wie Heinrich Strobel wurden auf ihn aufmerksam. Immer häufiger begann der Komponist seine Werke auch zu interpretieren: Als Dirigent trat er ans Pult vor allem deutscher Rundfunkorchester. Seine häufigen Dirigierreisen ins Ausland und das Renomee, das er sich dort erwarb, verschafften ihm eine privilegierte Position im frankistischen Spanien, die er konsequent nutzte, um in Bedrängnis geratenen Künstlerkollegen beizustehen.Mit dem Zwölfton-Stück „Cinco Microformas“ (Fünf Mikroformen) für Orchester hatte sich der Komponist 1960, als Dreißigjähriger, endgültig der internationalen Avantgarde angeschlossen, bei der Aufführung in Madrid gab es einen handfesten Skandal. Cristóbal Halffter ist das ungekrönte Haupt der nach dem Jahr ihres Studienabschlusses am Madrider Konservatorium benannnten „Generation von 1951“. Deren Vertreter, die noch im alten Stil ausgebildet worden waren, mussten auf eigene Initiative im Zeitraffer die gesamte Musikgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts nachholen: Bartók, Strawinsky, Schönberg waren in Spanien große Unbekannte; Musik wurde vom Frankismus bestenfalls gefördert, wenn sie das Klischee vom immerzu Flamenco tanzenden feurigen Andalusier bediente.
Der Tradition verpflichtet
Kastagnettengeklapper sucht man in Halffters Werken aber vergeblich. Unterdrückung, Folter und Tod waren für ihn die beherrschenden Themen vor allem während der Franco-Diktatur. Obwohl seine Tonsprache kompromisslos zeitgenössisch ist, bedeutet das noch lange keinen Bruch mit der Tradition, Halffters Musik ist tief in der spanischen Musik- und Kulturgeschichte verwurzelt. Er macht alte musikalische Formen wie Tiento, Ricercar oder Batalla seiner Klangwelt dienstbar, zitiert und paraphrasiert alte Meister, lässt sich von mittelalterlichen oder barocken Texten inspirieren.
Kunst und Politik gehören für Halffter untrennbar zusammen, das heißt für ihn aber nicht, dass ein Künstler auch aktiv politisch tätig sein muss, im Gegenteil: Obwohl ihm selbst immer wieder höchste Ämter angeboten wurden, hat er stets mit der Begründung abgelehnt, als Künstler könne er viel besser mahnendes Gewissen und moralische Instanz bleiben. Seine politischen „Programme“ setzte er in Noten und drückte sie unzweideutig in Titeln seiner Stücke aus: „Klage um die Opfer der Gewalt“, „Requiem für die imaginierte Freiheit“.
Lebenswelten
Halffters Stücke entstehen fast immer in der Abgeschiedenheit des nordwestspanischen Städtchens Villafranca del Bierzo, das am Santiago-Pilgerweg liegt. Dort wohnt er auf einem Schloss. Seine Frau María Manuela Caro, die er am Madrider Konservatorium kennen lernte und 1956 heiratete, hat es geerbt. Als ausgebildete Pianistin, die eine Reihe seiner Werke uraufführte, ist sie für ihn auch eine kompetente Künstlerkollegin. Auf dem Schloss wuchsen die Kinder des Musiker-Ehepaars auf. Tochter María, die in der Schweiz lebt, ist Flötistin, der jüngste Sohn Pedro hat eine viel versprechende Dirigentenkarriere begonnen. Einzig der älteste Sohn, Alonso, schlug aus der musikalischen Art, er wurde Flugzeugpilot.
Für sein Lebenswerk und seine unbeugsam humanistische Haltung ist Cristóbal Halffter mit vielen Auszeichnungen bedacht worden, mit dem Ehrendoktortitel der Madrider Complutense-Universität, dem Spanischen Nationalpreis, dem deutschen Montaigne-Preis, Goldmedaillen verschiedener Kulturorganisiationen; er wurde in die Akademien der Schönen Künste in Madrid und Berlin aufgenommen. Bei den Verleihungs- und Aufnahmefeiern lässt sich Halffter selten die Gelegenheit entgehen, für die zeitgenössische Musik einzutreten. Ihn beunruhigt die vom Postmodernismus geförderte, immer weiter um sich greifende Degeneration des Kulturbegriffs.
In Halffters Œuvre, das etwas mehr als hundert Kompositionen umfasst, steht oft ein einzelner Ton oder Akkord einer geballten Klangmasse gegenüber, ein Sinnbild für den Künstler, der sich in einer chaotischen Welt Gehör zu verschaffen versucht. Viele Stücke sind geistliche, manche sogar liturgische Kompositionen, ohnehin sei, davon zeigt sich Halffter überzeugt, „jede gute Musik in irgendeiner Form religiös“. Mit dem Orchesterstück „Memento a Dresden“, 1995 komponiert für die Dresdner Philharmoniker zu deren hundertfünfzigjährigem Bestehen und zum Gedenken an die Zerstörung der Stadt fünfzig Jahre zuvor, ist Halffter nach der Komposition vieler abstrakter Stücke wie Solokonzerten, Präludien, Variationen oder „Cosmophonien“ auch wieder zur mahnenden Klangrede zurückgekehrt: Das „Memento“ ist eine eindrucksvolle, aber sehr ungemütliche Festmusik.
Am 24. März wurde Halffter, dessen erste Oper „Don Quijote“ kürzlich in Madrid zur Uraufführung kam, siebzig Jahre alt. Wer ihm am 27. gratuliert hat, lag damit auch nicht falsch: Halffter ist einer der wenigen Menschen, die zwei Geburtstage haben, einen wirklichen und einen „administrativen“, der durch eine eigenmächtige Entscheidung des Standesbeamten in die Geburtsurkunde eingetragen wurde. Ausgerechnet die deutsche GEMA hat das Kuriosum entdeckt. Auf Gerichtsbeschluss musste sich Halffter für den 27. März entscheiden und sämtliche Urkunden vereinheitlichen lassen. Amtsschimmelsicher.