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Tristan und Isolde. 1. Aufzug. Camilla Nylund (Isolde), Christa Mayer (Brangäne). Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Tristan und Isolde. 1. Aufzug. Camilla Nylund (Isolde), Christa Mayer (Brangäne). Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

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In der Rumpelkammer der Erinnerung – Richard Wagners „Tristan und Isolde“ in Bayreuth

Vorspann / Teaser

In Bayreuth sind die Richard-Wagner-Festspiele eröffnet. Weil das traditionsgemäß am 25. Juli der Fall ist, starteten sie in diesem Jahr kurz vor den Olympischen Spielen in Paris. Mit einem demonstrativen Sicherheitsaufwand. Von wiederholten Ausweis- und Taschenkontrollen bis hin zur Söderschen Kavallerie. Man fragt sich ernsthaft, wer da eigentlich vor wem geschützt werden soll, oder ob das Ganze mittlerweile schon zum Kulturerbe gehört. Für die Ministerpräsidenten von Bayern und Sachsen-Anhalt wirkte das deutlich überdimensioniert. Die Ex-Kanzlerin war ausnahmsweise, der amtierende Kanzler sowieso nicht da. Und auch Claudia Roth, die mit ihrem seltsamen Vorschlag, doch auch mal „Hänsel und Gretel“ hier zu spielen, die Gemeinde unisono in Wallung gebracht und sich als Wagnerianerin der anderen Art geoutet hatte, war nicht wirklich in Gefahr. Und gegen Spott ist sie eh resistent.

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Auf dem Programm die Neuproduktion von „Tristan und Isolde“. In der Regie von Thorleifur Örn Arnarsson, mit Semyon Bychkov am Pult und mit Andreas Schager und Camilla Nylund in den Titelpartien. Nun gilt Sport (siehe Paris) im Allgemeinen als irgendwie gesundheitsfördernd; „Tristan und Isolde“ aber potenziell als gesundheitsgefährdend. Zumindest hat Wagner selbst (im Nachhinein betrachtet ziemlich werbewirksam) „befürchtet“, dass eine wirklich gute „Tristan“-Aufführung die Leute verrückt machen würde und nur mittelmäßige die Rettung seien. Nimmt man den Meister mal beim Wort, dann geht von dieser Inszenierung keine Gefahr für die geistige Gesundheit der Zuschauer aus.

Ja-Aber-Produktion

Sie bietet große musikalische Momente, aber auch sehr lang erscheinende mittlere. Sie bietet große Bilder, aber auch jede Menge ziemlich zugestellte kleine Rätsel. Sie gibt den für sich genommen großartigen Interpreten viel Raum, um sich am authentischen Ort zu entfalten, aber kommt doch nur selten an das Verführungspotenzial dieser besonderen Liebesgeschichte heran. Der von den Machern erklärte Interpretationsansatz ist durchaus nachvollziehbar. Aber er erschließt sich weder wirklich als Theater, noch vermittelt er sich sozusagen gefühlt. Das Ganze ist das Musterbeispiel einer Ja-Aber-Produktion, bei der beim Vorhang zu – zumindest bei der ersten Begegnung – ein paar Fragen mehr offenbleiben, als es der immer noch prominentesten Opernpremiere im ganzen Land guttut. 

Zum echten Aufreger wiederum fehlt der Inszenierung die Kraft. Natürlich ergibt es Sinn, die Vorgeschichte des Paares mitzudenken und zum Ausgangs- und Zielpunkt ihres denkbar großformatig komponierten Sehnens nacheinander zu machen. Sei es im Leben oder im Tod. Der kolportierte Kierkegaard-Gedanke vom Vorwärts leben und Rückwärts verstehen ist genauso verführerisch, wie Nietzsches Blick in den Abgrund, der dann irgendwann zurückblickt. So wird das metaphorische, riesige Brautkleid Isoldes, das sie in einem fort mit einer Feder beschreibt (keiner kann erkennen womit) zu einer Bild gewordenen Insel ihrer Erinnerungen. Vermutlich an die erste Begegnung mit Tristan, als er ihr als Mörder ihres Verlobten in die Hände gefallen war und sie die Chance hatte, ihn zu töten, ihm stattdessen aber viel zu tief in die Augen blickte. Wie in einer Therapie spielen die beiden diese Begegnung jetzt vor dem großen Liebesduett nach.

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Tristan und Isolde. 2. Aufzug. Andreas Schager (Tristan) und Camilla Nylund (Isolde). Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Tristan und Isolde. 2. Aufzug. Andreas Schager (Tristan) und Camilla Nylund (Isolde). Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

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Raum: überkonkret und abstrakt

Überhaupt ist der alptraumhaft zwischen überkonkret und abstrakt changierende Raum, mit dem Vytautas Narbutas die riesige Bühne für den zweiten Aufzug gefüllt hat, eine Art Rumpelkammer der Erinnerungen. Im offenen Schiffsrumpf findet sich da von der Reisetruhe mit dem XXL-Brautkleid über ein Caspar-David-Friedrich-Bild, Säulen, Statuen, Maschinenteilen, bis zur Uhr, von denen viele meinen, dass sie aus Herheims „Parsifal“ stammen soll, alles, was sich in einem Theater-Fundus (und den Erinnerungen von Menschen) so ansammelt. Und wenn man Glück hat und lange genug aufmerksam hinschaut und -hört, findet man auch die Interpreten in diesem Wimmelbild im warmen Licht, das natürlich grell wird, wenn Melot und der König die dieses Mal lang wie selten erscheinende Liebesnacht abrupt beenden. Und Tristan (hier und in voller Absicht) das Gift schluckt, das ihm Isolde im ersten Aufzug aus der Hand geschlagen hatte. Dass Melot hier und auch im Dritten Aufzug zwischen den kärglichen Resten dieses Schiffsrumpfes der Erinnerungen mal nicht nur der primitive Intrigant ist, sondern offensichtlich selbst ein ambivalentes Verhältnis zu Tristan hat, gehört zu den interessanten Details, die in der sehr auf statisches Rumstehen und Ins-Publikum-Singen setzenden, eher mageren Personenregie fast untergeht. Auch, dass es am Ende kein Gemetzel gibt, Kurwenal erstarrt sitzen bleibt und alle wie ausgeschaltet wirken, ist eine der offenen Fragen, die man mit nach Hause nimmt. 

Das Regieteam kassierte – fast möchte man sagen natürlich – dafür etliche Buhs. Der Versuch des Regisseurs, schnell die Sänger, quasi als Schutzschild wieder vor den Vorhang zu holen, wirkte da seltsam unsouverän. Mit dem sehr getragenen, mit Details liebevoll umgehenden, gleichwohl streckenweise erstaunlich gedehnten Dirigat von Semyon Bychkov hatte das Premierenpublikum hingegen ebenso wenig ein Problem, wie mit den Protagonisten. Die Tristanmusik bleibt in diesem Haus natürlich immer noch etwas ganz Besonderes, auch wenn die Ekstase des großen Wurfes sich dieses Mal nicht einstellen wollte. Andreas Schager ist natürlich ein phänomenal kraftvoller Tenor. Einer, dem man – um es positiv zu sagen – in Bayreuth beim Reifen zuschauen und -hören kann. Er kann auch gestaltete Piani und fügt sie ein, so wie man spürt, dass er sich auf seine Partnerin einstellen will und ihm das auch hin und wieder glückt. Dass er den dritten Aufzug durchstehen würde, war klar; dass er dabei aber hörbar ein paar mal über selbst für ihn existierende Grenzen geht, ist etwas, von dem man nur hoffen kann, dass er es in den folgenden Vorstellungen (und überhaupt) noch einzuhegen vermag. Camilla Nylunds Isolde klingt durchweg schön, blüht auf, fasziniert bis zu dem wirklich mild und leise ansetzenden Liebestod. In den Dimensionen des Festspielhauses hält sie der Wucht von Schager allerdings nicht immer stand. In Sachen Textverständlichkeit bleibt sie eh hinter der mustergültigen Brangäne von Christa Mayer deutlich zurück. Die Buhs für Günther Groissböck nach dem zweiten Aufzug waren zwar etwas übertrieben, aber seinem Auftritt als König Marke fehlte an diesem Abend tatsächlich einiges am Wohlartikulierten, das hier eigentlich üblich ist. Olafur Sigurdarsons Kurwenal ist Geschmacksache aber überzeugend präzise. Birger Radde als Melot, Matthew Newlin als junger Seemann und auch Daniel Jenz als Hirt und Lawson Anderson als Steuermann sind Grund zu Freude. 

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