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Stephanie Friede (Die Färberin), Espen Fegran (ganz rechts, Barak, der Färber) und Statisterie. Foto: © N. Klinger
Stephanie Friede (Die Färberin), Espen Fegran (ganz rechts, Barak, der Färber) und Statisterie. Foto: © N. Klinger
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Der Schatten der Übermächte im Lichte der Musik – „Frau ohne Schatten“ am Staatstheater Kassel gelingt in jeder Hinsicht

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Ein Opernhaus, das sich zum Richard Strauss-Jahr an die „Frau ohne Schatten“ wagt, muss schon allerhand gute Voraussetzungen beisammen haben. Der größte, 1919 in Wien uraufgeführte Opernbrocken des kongenialen Duos Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal braucht es nicht nur im Graben großformatig und sensibel, sondern auch auf der Bühne fünf erstklassige Protagonisten.

Hinzu kommt ein szenischer Zugang, der die zentrale Frage der Kinderlosigkeit hinter der mythisch überfrachteten Märchenoberfläche nicht nur freilegt, sondern auch aus heutiger Perspektive nachvollziehbar macht und nicht bei einer Verklärung eines Lasset-die-Kinderlein-kommen  stecken bleibt.

In Kassel war nun erfreulicherweise alles für eine erfolgreich Suche nach einem Schatten für die Kaiserin beisammen. Das fängt an mit einem exzellenten Staatsorchester, dem Patrik Ringborg nicht nur den dämonischen Zauber und das lyrische Innehalten bei feinen Streichersoli entlockte. Er dosierte den gewaltigen Apparat auch so, dass der Abend zu einem Fest der Stimmen geraten konnte. Ulrike Schneider etwa hat mittlerweile so viel an dramatischem Format zu ihrer nach wie vor geschmeidigen und wohltimbrierten Stimme hinzugewonnen, dass sie ihre diabolische Amme auch vokal bei jeder kleinen Zauberei und großen Intrige beglaubigte. Als wuchtiger Erscheinung eines Militärs stemmte Ray M. Wade Jr. seinen Kaiser in sicher strahlende Höhen. Die schlank und zart wirkende und sich zum fühlenden Menschen wandelnde Kaiserin von Vida Minkeviciute verblüfft geradezu mit der Mühelosigkeit ihrer kraftvoll dramatischen Höhe. Als Barak trägt Espen Fegran die Bürde des unerschütterlich guten Menschen mit anrührend sonorer Stimme, während es Stephanie Friede gelingt, der Färberin bei all den hysterischen Ausbrüchen einer frustrierten Frau immer eine Restzuneigung für Barak zu bewahren, so dass ihre Wendung hin zu ihm am Ende durchaus glaubwürdig ist. Da auch alle weiteren Rollen mit Sorgfalt besetzt und die Chöre voll bei der Sache waren, ist aus Kassel ein voller musikalischer Erfolgt zu vermelden.

In Kassel überzeugte aber auch die Inszenierung. Zumindest in ihrer Stimmigkeit. Michael Schulz riskiert bei seinem dezidierten Rückgriff auf das klassische Regietheater neben einer exzellenten Personenführung aus der Musik heraus auch die Verschränkung der Handlung mit der Entstehungszeit, also dem Ersten Weltkrieg. Noch bevor die Musik einsetzt, schreitet die Amme finster blickend den Raum aus. Vor dem Orchestergraben mehrmals von der einen Seite zur anderen. Sie zuckt bei den ersten mit Orchesterdonnerschlägen ebenso erschrocken zusammen wie der eine oder andere Zuschauer. Bühnenbildner Dirk Richter hat den Raum mit einer für den Fortschrittsglauben des 19. Jahrhunderts typischen Metallkonstruktionen umbaut. Eine Art riesiger Seelen-Wintergarten. Hier kommt der erste Auftritt des Kaisers dem eines wilhelminischen Kriegsherren gleich. Die Schlafwandler bei der Arbeit sozusagen. Oben steht der Kaiser in Uniform und unten jubelt das Volk unterm Schwarz-Weiss-Roten mit Kriegslosungen in Sütterlin. Unter den kurz danach in die Behausung Baraks hereinströmenden Kriegsversehrten befinden sind auch seine Brüder. Hier sind sie durch den Krieg zum Einäugigen (Marian Pop), zum Einarmigen (Krzysztof Borysiewicz) und zum Buckligen (Bassem Alkhouri fährt hier ohne Beine mit einer Kiste herum) geworden. In dieser Färbewerkstatt werden logischerweise Uniformen bearbeitet und alsbald vor allem Verwundete gepflegt.

Diese Kriegsmetaphorik treibt Schulz auf die Spitze, wenn er aus der Naturkatastrophe der Übermächte am Ende des zweiten Aktes einen Giftgas-Einsatz macht. Dosierter ist die Übersetzung der Versteinerung, die dem Kaiser droht, wenn seine Frau nicht binnen dreier Tage zu einem Schatten kommt als ein Ersticken an der Kriegsschuld beziehungsweise an dessen Blutzoll. Eine ganze Armee von Witwen und Waisen lässt ihn an seinem wuchtigen Schreibtisch unter den Uniformen der Brüder, Söhne, Männer oder Väter verschwinden. Das Finale schließlich ist das am klügsten abgewogene Bild. Da wird zwar nach gelungener Paartherapie der künftige Kindersegen, der nach der Wandlung der Kaiserin zum mitfühlenden Menschen und der Lösung des Zaubers aus vollem Herzen bejubelt. Wenn dann aber die künftigen Eltern die mit verängstigten Mienen hereinströmenden Kinder erblicken, wird ihnen klar, dass dies die Opfer der nächsten großen Katastrophe sind. So wie die Militärs die von oben auf diese Szene schauen ihr Kanonenfutter inspizieren. Jubel in Kassel für eine rundum gelungene „Frau ohne Schatten“!

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