Man kann gegen Andrew Lloyd Webbers Musical-Fabrikation allerhand einwenden. Dass es ein kommerzorientiertes Dahinwebbern von verwechselbarer musikalischer Meterwaren ist zum Beispiel. Aber „Jesus Christ Superstar“ gehört nicht dazu. Die Rockoper bleibt ein Erfolgs-Coup, den der damals Anfang Zwanzigjährige und sein Texter Tim Rice (Basis: das Buch der Bücher) 1970 als LP und dann 1971 am New Yorker Broadway gelandet haben!
Obwohl (oder gerade weil) das, was die meisten Zeitgenossen so von den letzten Tagen des Gottessohnes der Christen zu wissen meinen, nicht mit religiöser Andacht zelebriert, sondern eher kritisch hinterfragt wird. Mit einem Judas, der hier nicht nur der sprichwörtliche Verräter ist. Er ist der Freund, der sich sorgt, dass alles aus dem Ruder läuft. Er ist ein ernsthafter Gegenspieler von Jesus. Hier vielleicht sogar der Nachfolger in dem großen „Showgeschäft“, in dem das ganze spielt. Timothy Roller kommt als Spielführer durchs Publikum auf die Bühne und hebt sich als Judas Jeansklamotten von der dunklen, in der Euphorie gleichgeschalteten Masse der Fans immer ab. Die Silberlinge, die ihm die Priester als die Vertreter des Establishments im Smoking für seinen Verrat vor die Füße werfen, nimmt er, bringt sich nach dem Verrat zwar um, taucht aber am Ende wieder auf.
Bei Regisseur Sebastian Ritschel und seinem Ausstatter Rifail Ajdarpasic sieht es danach aus, als könnte er als neuer Star die ganze Show übernehmen. Tatsächlich hatte Webber seinerzeit überlegt, das ganze Stück „Judas“ zu nennen. Er setzte dann aber doch lieber nicht auf das Verräter- sondern das Superstar-Image.
Der Plot wirkt dennoch vor allem vertraut. Man stellt Fragen, tut aber nicht so, als hätte man die Antworten. Die für den Titelhelden existenzielle: „Warum soll ich sterben?“ gehört dazu. Jesus und seine Jünger (die hier aus Männern und Frauen bestehen – da hat es die Kunst deutlich leichter, als die Kirche), die Selbstzweifel eines Stars, die Beziehung zu Maria Magdalena (Julia Gámez Martín). Auf der Gegenseite: die Priester um Kaiphas (im Smoking: Bartek Bukowski) und den geradezu diabolischen Annas (Martin Mulders), die mit dem Römer Pontius Pilatus (stimmgewaltig im Habitus eines typisch opportunistischen Politikers: Johannes Wollrab) kungeln und ihn mit Unterstützung des Mobs dazu zwingen, Jesus ans Kreuz zu schlagen. Beängstigend ist da heutzutage vor allem, wie das skandierte „Der Jesus muss weg“ mit dem „Kreuziget ihn!“ zusammengeht.
In Magdeburg ist die Geschichte um die letzten Tage von Jesus optisch ziemlich schnörkellos und folklorefrei die eines Hero von heute. HERO ist denn auch der Leuchtschriftzug, der über der Bühne prangt. Auch in Magdeburg wird diesmal (wie bei der Openair-Konkurrenz in Erfurt) auf Stufen gespielt. Auf einer Riesenfreitreppe mit ein paar Spielplateaus. Wenn Jesus hier auftaucht, dann überstrahlt Tobias Bieri als blondgelockter, schöner junger Mann auf Anhieb die herrschende Düsternis der dunkel gekleideten Masse, die ihm zujubelt. Er ist ein Lichtblick in Person, der hochgepuschte Superstar halt. In den Erwartungen projiziert werden, die ein Mensch gar nicht erfüllen kann. (Es sei denn, er hat wirklich eine höhere Macht hinter sich, die Menschen glauben daran und helfen sich damit selbst.)
Zur Treppe kommen ein paar Turmkonstrukte für die Verstärker und etwas Pyrotechnik für den Auftritt von König Herodes (Paul Kribbe). Der fährt wie die Las Vegas Legende Liberace mit Limousine und Glamour vor und legt einen veritablen Revueauftritt hin, als würde er „Cabaret“ übertreffen wollen. Von Jesus verlangt er in dem schmalen Bassin übers Wasser zu gehen. Was natürlich nicht klappt. Das Abendmahl findet hier nicht an einer Tafel, sondern den Pool statt und die engen Fans lassen die Beine im Wasser baumeln. Wenn sich dann auch noch der Prokurator hier seine Hände in Unschuld wäscht, ist das ist ein bissl arg direkt. Aber sei’s drum. Eigentlich könnte nach der großen Szene, in der alle mit Glanz und Glamour, angeführt vom neuen Hero Judas, den Superstar feiern, also rigoros vermarkten, Schluss sein. Aber die berühmten letzten Worte von Jesus am Kreuz und die dann auch noch kurz angestrahlte Domfassade kommen auch noch zu ihrem Recht.
Die Musiknummern funktionieren durchweg, dank der unsichtbar unter der Treppe von Damian Omansen mit Verve dirigierten Magdeburger Philharmonie in entsprechender Musicalbesetzung. Und weil die fabelhaften Protagonisten die große Show zusammen mit dem Opernchor und dem Ballett des Magdeburger Theaters sichtlich genießen. Dass der damalige Papst Paul VI. nichts gegen gegen die Rockoper hatte und das aktuelle Regime in Weißrussland es 2012 verboten hat, spricht beides nicht gegen, sondern für das Ganze. Das Theater Magdeburg lag jedenfalls wieder richtig mit seiner Entscheidung für einen „Klassiker“. Wenn das Wetter mitspielt, dann kann es damit zum Ende der Spielzeit seine Kassen- und Zuschauerbilanz noch mal glänzend aufpolieren.