Musik entfaltet sich in der Zeit und vollendet sich erst in dem Moment, in dem sie bereits verklungen ist … aus und vorbei. Das Verklingen des Tones ist des Tones Tod. In der Zeit sich vollziehend, sich vollendend und sich verlierend ist Musik prädestiniert für die Darstellung der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen, vanitas vanitatum. Nicht zuletzt aus diesem Grund diente Musik seit je dem Ausdruck ständig sich wandelnder Regungen und Gefühle. Mal verkörpert sie irdische Lust, Liebe, Sinnlichkeit und Lebensfreude. Dann wieder sprechen Trauer, Leid und Klage aus ihr. Zumeist durchdringt sie beides zugleich. Doch indem diese Zeitkunst jeden Moment jetzt sagt … jetzt, jetzt, jetzt …, ist sie auch tönender Vorschein auf das gerade Gegenteil, die Aufhebung von Zeit in Ewigkeit. So war Musik durch alle Jahrhunderte hindurch ein eindringliches Symbol von Werden und Vergehen, Tod und Auferstehung, und ist es bis heute geblieben.
Das Eröffnungskonzert des Festivals „Romanischer Sommer Köln“ am 7. Juli in der Kölner Kirche St. Pantaleon bietet unter dem apokalyptischen Motto „Der siebte Engel, die siebte Posaune“ Gesänge der Heiligen Hildegard von Bingen und im Wechsel damit drei Uraufführung von Auftragswerken der jungen Komponisten Saehoon Chung, Matthias Krüger und Stephan Quandel für die biblische Anzahl von vier bis zu sieben Posaunen. Mit Tod und Auferstehung befassen sich auch die komplementären Teile „Ascensio“ und „Descensio“ in Jay Schwartz’ „Zwielicht“ für drei Posaunen, Vokalsolisten, Chor und Orgel, das am 11. Juli im Rahmen desselben Festivals in St. Andreas als Neufassung Premiere feiert. Ebenfalls am 11. Juli ist in der Stuttgarter Liederhalle die Uraufführung des Orchesterwerks „The Death of Oscar“ von James Macmillan mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart zu erleben.
Die Macht der Musik, die sogar den Tod zu überwinden vermag, stellte keiner besser unter Beweis als der mythische Sänger Orpheus, der mit seiner Musik die Götter erweicht und selbst Steine zum Weinen gebracht haben soll. Auch wenn es diesem antiken Heros letztlich nicht gelang, seine verstorbene Geliebte Eurydice aus Plutos Totenreich mit sich wieder ins Leben zurückzuführen, lebt der sagenhafte Musiker samt all seiner Tragik von Liebe und Verlust, Nähe und Ferne bis heute im Musiktheaterschaffen fort, seit Claudio Monteverdi mit seinem 1607 in Mantua uraufgeführten „Orfeo“ die neue Gattung Oper mitbegründete. Zusammen mit Marc-Antoine Charpentiers 1695 in Versailles uraufgeführtem Einakter „La descente d’Orphée aux enfers“ geht jetzt am 5. Juli im Theater Aachen der vom erst zwanzigjährigen Ole Hübner komponierte neueste Orpheus der Gattungsgeschichte „sweetieorpheus_27“ erstmals über die Bretter, wo sich Orpheus und Eurydice – die Kommunikationsmöglichkeiten des Internet nutzend – über ihre Trennung hinweg mit Skypen behelfen.
Weitere Uraufführungen
- 7.7.: Tobias PM Schneid, Five Portraits – Capriccios für Solovioline, Festival Lockenhaus
- 13.7.: Dimitri Terzakis, Drei Götter für zwei Klaviere, Stadthalle Donzdorf
- 18.7.: André Tchaikowsky, Der Kaufmann von Venedig, Festspielhaus Bregenz
- 19.7.–1.9: Friedrich Cerha, Étoile für sechs Schlagzeuger, Jay Schwartz, M für Solo-Bariton und Ensemble, Johannes Maria Staud, Neues Ensemblewerk mit Bariton, Vykintas Baltakas, neues Ensemblewerk, Salzburger Festspiele
- 28.7.: Gerhard Wimberger; Klangwege für Orchester, Tiroler Festspiele Erl
- 23.8.–6.10.: Rimini Protokoll, Forced Entertainment, Quay Brothers, Robert Lepage, De Keersmaker, neue Produktionen und Werke, Ruhrtriennale
- 23.8.: Rolf Martinsson, Tour de force, Kurhaus Wiesbaden, Rheingau Musikfestival
- 25.8.: Rochus Aust, Export Cars to Mars? Vision Köln, See im Volksgarten Köln