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Brecht/Dessaus "Deutsches Miserere" an der Oper Leipzig. Foto: Oper Leipzig, Andreas Birkigt
Brecht/Dessaus "Deutsches Miserere" an der Oper Leipzig. Foto: Oper Leipzig, Andreas Birkigt
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Deutschland – ein Elend: Das „Deutsche Miserere“ an der Oper Leipzig

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Leipzigs Oper war schon immer mal und immer mal wieder für ihre Uraufführungen berühmt, jetzt hat sich dort eine Szenische Erstaufführung zugetragen, von der viel zu erwarten gewesen sein sollte. Vielleicht sogar ein erschütterndes Theatererlebnis. Gut 70 Jahre nach dem von den Nazis initiierten Skandal zum „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ (UA 1930 in Leipzig) ist das „Deutsche Miserere“ jedoch eine herbe Enttäuschung geworden. Der inszenatorische Annäherungsversuch blieb weit hinter den Dimensionen der Vorlage zurück.

Bertolt Brecht und Paul Dessau sind rechtzeitig aus Deutschland geflohen. Die nationalsozialistisch verordnete Dumpfheit hätte weder den einen noch den anderen lange geduldet. Beider Schicksal wäre absehbar gewesen, der Verlust für die Künste unwiderbringlich.

Im Exil in den USA sind sie sich wiederbegegnet und vertieften dort die Zusammenarbeit. Entstanden ist unter anderem das „Deutsche Miserere“, ein oratorisches Bekenntniswerk auf Texte der „Kriegsfibel“ von Brecht, die ihrerseits ein Versuch war, Worte zu den Untaten des deutschen Faschismus zu finden. Dessaus Komposition wurde lange vor Kriegsende begonnen und erst 1947 beendet. Da schwelte schon, obzwar beide Deutschländer in ihrer unvereinbaren Bündnistreue noch gar nicht gegründet waren, ein neuer Krieg, der eisig kalte zwischen den Systemen. Gewiss lag es mit daran, dass dieses von einem tiefempfundenen Pazifismus getragene Werk erst spät und nur äußerst selten aufgeführt worden ist. Erstmals erklang es 1966 in Leipzig, zwei weitere Einstudierungen folgten 1988 in (Ost-)Berlin und 1989 in Hamburg. Aufnahmen des „Miserere“ sind, was Wunder, überhaupt nicht erhältlich.

Also war und ist die Initiative der Oper Leipzig, das Werk erstmalig szenisch zu sichten und damit einen „Versuch über die Möglichkeit zu trauern“ auszutesten, aller Ehren wert. Nicht der einstige Held des Deutungstheaters, der von den Reanimationen seiner Kreativität zehrende Chefregisseur Peter Konwitschny, wurde mit einer Bühnensicht auf das Klangereignis betraut, sondern der für seine meist klug verorteten Interpretationen bekannte Regisseur Dietrich W. Hilsdorf. Dessen dritte Leipziger Inszenierung zehrt denn auch erst einmal von einem grauen Bühnenbau, der unterirdisch wie Mittelbau Dora zu sein scheint, von einem Gleis durchzogen, mit Gängen in alle vier Himmelsrichtungen. Der zum Publikum hin ist als Laufsteg durch das Parkett gebaut worden. Auf tritt da der Opernchor. Als Mütter, Töchter, Väter, Söhne, als Soldaten, Kriegsgefangene und Heimkehrer sind die gemeinsam mit der Komparserie tapfer agierenden Damen und Herren gut eineinhalb Stunden hindurch präsent.

Ein furchtsam uniformierter Kinderchor, die Krieger von morgen, von übermorgen und ewig, tritt auch auf und lässt sich großmutterduselig fotografieren. Was für ein Stolz auf die Rekruten!, das Kanonenfutter von immer und ewig. Aufklärung mit den Mitteln der Propaganda war aber schon immer ein zäher Prozess (allein die um über zehn Jahre verschleppte Uraufführung des „Miserere“ wäre ein eigenes Lied davon). Da es im eigentlichen Sinne keine Handlung in diesem Oratorium gibt, nimmt die Regie den Text als Leitwerk, kaum die Musik, und setzt allzu oft platt noch eins drauf. Beklemmende Bilder zwar sind auch so möglich, doch scheint die Chance vertan, dem Klangereignis eine zusätzliche Dimension zu verleihen. Denn am ergreifendsten bleibt hier die Vorlage, die szenische Annäherung stellt sich in Frage, wenn sie dahinter zurückbleibt.

Irgendwo im Harz zwischen den Orten Elend und Sorge soll dieser Un-Ort sein, an dem bei den Worten „O Deutschland, bleiche Mutter!“ eine bleiche Frau auf der Bühne umherirrt, an dem eine eiserne Lore über die Szene rollt, wenn im Text davon die Rede ist, bei der zum Brechtschen „Kreuz mit Haken“ tatsächlich ein Kreuz mit Haken (gen Golgatha?) getragen wird. Keine Frage – was deutsches Militär in Verbindung mit Kapital und Kirche angerichtet hat, ist furchtbar und gehört als unvergessliche Mahnung unbedingt erinnert. Brecht hat dafür scharfe Worte und Dessau ein musikalisches Spektrum von Bach bis zur Moderne gefunden. Bildnerische Allegorien darauf zu setzen, ist legitim, sollte aber ein Maß an Distanz und Originalität beinhalten. Jedoch – beim ohnehin überstrapazierten „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ wird der elend zugerichteten deutschen Mutter eine Hitler-Strohpuppe in den Leib gestoßen. Originell?

Diese Peinlichkeit ließe sogar noch den ganz gewiss nicht gewollten Schluss zu, das deutsche Volk sei zu seinem verbrecherischen Mitläufertum nur durch diesen schlimmen Witz von Führer-Figur „befruchtet“ worden. Bereits zuvor künden Göring- und Goebbels-Attrappen von deutscher Verführbarkeit.
Auch das abschließende Wiegenlied des „Miserere“ lässt in Hilsdorfs Sicht einige Fehlinterpretationen zu, da nun mit Gewalt aktualisiert wurde. Das deutsche Elend in Kunduz! Eine verschleierte Mutter barmt um die Reste ihres getöteten Sohns. Die bundesdeutsche Regierung tritt auf und kondoliert mit ihren Fernsehgesichtern. Alltag gewordene Realität, gewiss. Doch noch einmal – was dort „im Namen des Volkes“ angerichtet wird, ist von Übel und gehört angeprangert, auch auf der Bühne, keine Frage. Freilich ist ein am Schienenhindernis gebremster Schäuble im Rollstuhl allenfalls makaber, ohne irgendwie zur Erhellung beizutragen. Und um den von einem in Leipzig stationierten Offizier befohlenen Luftangriff vom 4. September 2009 wird weiter gestritten, gelogen und manipuliert.

Als Fazit riss die Erstinszenierung des „Deutschen Miserere“ die Aufmerksamkeit über Gebühr auf die Szene und tat dem Stück auch damit keinen Gefallen. Endlich mal wieder Gelegenheit, dieses Werk zu hören! Und die Sinne werden teilweise abgelenkt. Dabei sorgten nicht nur die von Volkmar Olbrich und Sophie Bauer einstudierten Chöre, auch die Musiker des Leipziger Gewandhausorchesters unter Leitung von Alejo Pérez für klangliche Spannung und bewältigten die recht inhomogene Musiksprache höchst überzeugend. Die Solistenriege um Katja Beer mit ihrem strahlenden Sopran und Karin Lovelius als betörende Altistin sowie mit dem formidablen Tenor Dan Karlström und dem wohldosierenden Bass Peteris Eglitis war klug disponierend besetzt. Bleibt diesmal also doch das Werk als größter Eindruck.


www.oper-leipzig.de

Aufführungen: 27. März, 10. April, 5. Juni 2011 (jeweils 18 Uhr)

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