Die „Hojotoho“-Rufe der acht stimmstarken Walküren im intimen Staatstheater Oldenburg zu ertragen, ist schon grenzwertig, Das allerdings würde in keiner Weise die Legitimität der Aufführung in Frage stellen. Seit vielen Jahren wird Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ so erfolgreich an kleinen Theatern gespielt, dass der eher abwertende Begriff „Provinztheater“ nicht mehr verwendet werden sollte.
So jetzt auch die Premiere des ersten Tages des Bühnenweihfestspiels, „Die Walküre“. (Der Vorabend „Das Rheingold“ hatte Premiere im Frühjahr dieses Jahres, 2018 und 2019 werden „Siegfried“ und „Die Götterdämmerung“ folgen). Man durfte gespannt sein, ob der Rheingold-Ansatz des österreichischen Regisseurs Paul Esterhazys weiter tragen würde, hatte er doch die Tiefen des Rheines in ein schweizerisches Bergdorf verlegt, den Göttern ihren Götterstatus genommen und aus ihnen sich belauernde Dorfbewohner gemacht.
Die geschickte Drehbühne (Mathis Neidhardt) zeigte uns zum Teil dieselben düsteren Bauernhauszimmer: Wotans und Frickas Schlafzimmer und die Küche, in denen die zur Sache gehenden Diskussionen ablaufen. Waren im Rheingold die Riesen Fafner und Fasolt ausbeutende Baulöwen, so treffen wir in der „Walküre“ Wotan als Unternehmer, der mit seiner von ihm geschaffenen Macht zu tun bekommt, als seine Frau Fricka ihn zwingt, Siegmund als Tribut an die Staatsräson zu töten, weil Wotans geschaffene Moral die freie Liebe nicht zulässt. Er raucht, er trinkt – ständig gießen die Walkürentöchter ihm ein –,ist eigentlich fix und fertig mit seinem von nun an scheiternden Lebensplan.
Dem psychologischen Niveau dieser Auseinandersetzung spürt Esterhazy gekonnt und feinfühlig nach, ebenso wie dem Verstoßen von Wotans ungehorsamen Lieblingstochter Brünnhilde und dem Erkennen ihrer Liebe zwischen dem Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde. Krass wird auch die Abhängigkeit der blutverschmierten Walkürentöchter (aus dem Leichenhaus schleppen sie die „Helden“ nach Walhall) vom Vater.
Mit der alleinigen Fokussierung auf diese fast nebeneinander liegenden Geschichten erinnert Esterhazy an das Anliegen Wagners, der Mythos sei eine „ungemein scharfe Erkenntnis vom Wesen des Besitzes, des Eigentums“. Andere Perspektiven wie zum Beispiel einen Göttermythos in archaisierenden Welten sind da gar nicht mehr denkbar. Das mag grundsätzlich eine Verengung sein – viele Bilder erinnerten eher an Ibsen oder Strindberg –, wird aber in Oldenburg mit derart präzisen, bis ins kleinste stimmenden Facetten ausgeführt, dass die fast fünfstündige Aufführung zum immer spannenden Erlebnis wird.
Das ist natürlich nur möglich, wenn die Besetzung stimmt und da ist dem Theater zunächst einmal ein guter Griff für die Gäste zu bestätigen: Nadja Stefanoff als Sieglinde mit ihrer groß und strahlend gewordenen Sopranstimme, Michael Kupfer-Radecky als tragischer Wotan, der kapiert hat, dass er sich selbst zerstört, Nancy Weißbach als tief berührende Brünnhilde, deren Tochterschicksal an Modernität nichts zu wünschen übrig lässt und Zoltán Nyáry als dauererregter Siegmund: wunderbar gesungen haben sie alle. Dann ist noch zu nennen die ungemein präsent kämpfende Melanie Lang als Fricka. Und wieder kann die musikalische Wiedergabe durch den Generalmusikdirektor Hendrik Vestman auch in dem kleinen Raum überzeugen: mitreißend sind Rhythmus, Klangfarben und Transparenz. Die Zeiten, in denen man den Ring nur auf großen Festspielen hören konnte, sind endgültig vorbei. Der Beifall glich Ovationen: zu Recht.
- Die nächsten Aufführungen in diesem Jahr: 16.9., 18 Uhr, 1.10. und 22.10., 17 Uhr, 28.10., 18 Uhr und 19.11., 17 Uhr.