Wenn Opernhäuser Operette spielen, darf sich die Staatsoperette Dresden auch an Oper wagen: Ob Mozarts „Figaro“ das richtige Rezept ist, um mehr Publikum ins neue Haus zu holen?
Was für ein Tag! Erst sollte er ja ganz und gar verboten werden, dieser „Tolle Tag“ des Herrn von Beaumarchais. Lorenzo da Ponte und Wolfgang Amadeus Mozart haben „Le nozze di Figaro“ daraus gemacht und den hochherrschaftlichen Zensoren einen schönen Streich gespielt, freilich erst acht Jahre später in Wien.
Nun hat sich die Staatsoperette Dresden ans Werk gemacht und eine eigene Textfassung nach der deutschen Übersetzung von Hermann Levi erarbeitet. Das erst kürzlich in seiner neuen Spielstätte, dem Kraftwerk Mitte, angekommene Theater bedient sein Publikum normalerweise mit Operette und Musical. War das bei „Figaros Hochzeit“ sehr anders?
Mozart light
Elemente von Operette und Musical stecken auch in diesem Mozart, der von der ursprünglich Komischen hier eher zur Spiel-Oper geriet. Damit hat das Ensemble reichlich Erfahrung. In der Regie von Axel Köhler wurde Mozart light inszeniert, quasi ein vordergründiger Beaumarchais ohne Da Pontes doppeltem Boden, wenngleich mit Mozarts klingendem Hintersinn. Denn das Orchester unter Chefdirigent Andreas Schüller leistete ganze Arbeit, hat an Klang und Perfektion kaum etwas zu wünschen übrig gelassen. Offenbar nahm es sich der Herausforderungen des neuen Saales an ؘ– die Spielstätte wurde ja erst Ende vorigen Jahres eingeweiht – und hat sich hier eines neuen, höheren Anspruchs befleißigt.
Auch Axel Köhler, der sich als Countertenor einen Namen gemacht hat und vor einigen Jahren ins Regiefach gewechselt ist, nutzt die technischen und räumlichen Möglichkeiten weidlich aus. Er hat sich von den Ausstattern Timo Detler und Okarina Peter eine riesige Geburtstagstorte auf die Drehbühne setzen lassen, die während der Ouvertüre schon mal in einer Videoeinblendung kräftig angeschnitten wurde. Was so alles in diesem zuckersüßen Backwerk steckte, war in den dann folgenden dreieinhalb Stunden – mit nur wenigen etwas zu cremigen Längen – zu erleben.
Jedes herausgeschnittene Tortenstück entsprach einem Raum, in ersten Bild natürlich das künftige Schlafzimmer von Susanna und ihrem Figaro. Tür an Tür mit den Gemächern von Gräfin und Graf, wie praktisch; wobei vor allem Letzterer mit dieser Nähe bekanntlich eher lüsterne Wünsche zu verknüpfen beabsichtigt. Text und Musik sind diesbezüglich deutlich genug, in Dresden jedoch wird dem Publikum noch mit dem sprichwörtlichen Holzhammer vermittelt, dass der Herr Graf ein Jäger ist und auf alles zielt, was Rock trägt. Da hat Almaviva tatsächlich die Flinte in der Hand!
Tortenkunst mit Badewanne
Von solch derben Ausrutschern abgesehen (bei denen zum Glück kein Schuss „in die Hose“ ging), bewies die Regie ein gutes Gespür für die Verflechtungen aus emotionalem Chaos, überkommenen Standesfragen und ewigem Geschlechterstreit. Der ja auch eine Lust sein kann.
Die „Figaro“-Torte dreht sich und öffnet mal ein Scheibchen Badezimmer der Gräfin, mal die Bibliothek ihres Gatten, wo sich hinter Büchern freilich auch geistige Getränke verbergen. Die zwischen Eifersucht, Langeweile und wechseljährigem Weltschmerz hin und her gerissene Rosina – bei Rossini hat sie schließlich schon bessere Tage gesehen! – tröstet sich in der Badewanne mit Champagner und erfreut sich Cherubinos nur mehr halb schüchterner Anmache.
Dieser Page ist zwar nahezu unscheinbar, sorgt aber für mehr Durcheinander als die „etablierten“ Beziehungskonstrukte Graf/Gräfin, Figaro/Susanna, Bartolo/Marcellina und Antonio/Barbarina. Hier ein adeliges Ehe-, da ein Brautpaar, hier ein Abhängigkeitsverhältnis und da Vater-Tochter-Konflikt. Das hat sich alles hübsch ineinandergefügt und gipfelte in einer sprichwörtlichen Tortenschlacht, da während der Gartenszene, in der die Verwirrung von Gefühlen und Gefährten bekanntlich auf die Spitze getrieben wird, das Bühnenbild wortwörtlich bestiegen wird.
In der erlebten Zweitpremiere haben Catalina Bertucci als Susanna und Barbara Senator als Gräfin am überzeugendsten gewirkt, gespielt und gesungen. Gerd Wiemer leistete sich gesanglich zwar einige Freiheiten, wodurch sein Titelpart als Figaro aber ungemein glaubhaft geriet. Auch Bernhard Hansky als Graf Almaviva gestaltete seine Rolle inbrünstig seriös. Anna Werle als Cherubino gelang der Spagat, als Frau in einer Hosenrolle einen jungen Mann darzustellen, der von Frauen zur Frau verkleidet wird. Beinahe androgyn und trotzdem stets ausgesprochen geil.
Zu Klischees hinreißen ließen sich aber die Darsteller des Gärtners Antonio, des Referendarius Don Curzio und vor allem des Musikanten Don Basilio. Elmar Andree als Dr. Bartolo wirkte in sich relativ steif, während Romelia Lichtenstein als recht matronenhafte Marcellina ein nahezu urkomisches Original abgab.
Unterm Strich war dieser Dresdner Operetten-„Figaro“ zwar musikalisch (gewiss auch überraschend) überzeugender, aber inszenatorisch ein zupackender Biss in eine durchweg unterhaltsame Zuckerbäckerwelt. Was für ein Tag? Ein toller Tag.
- Termine: 20., 21.5., 4., 17., 25.6., 4.7.2017