Am 7. August 1972 wurde die Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft (ISWG) im Bayreuther Bahnhofsrestaurant auf Initiative von Peter P. Pachl gegründet. Der Intendant, Regisseur und langjährige Autor der nmz verstarb im November 2021 überraschend während seiner Inszenierung von Anton Urspruchs Oper „Die heilige Cäcilia“ in Bochum. Die Jubiläumsfeier mit festlichem Gedenkkonzert in der Villa Wahnfried fand am 4. August für geladene Gäste statt.
Sie sind streitbar und begeisterungsfähig. Und sie engagieren sich für Siegfried Wagner (1869–1930) vor allem in einem Bereich, der neben dessen unbestrittenem Nachruhm als Dirigent und Festspielleiter noch immer nicht hinreichend bekannt und erschlossen ist. Der einzige Sohn Richard Wagners hatte das Bayreuther Familienfestspielunternehmen durch schwierige Jahre mit verlorenen Pfründen und internen Konflikten bis zum Anwachsen der völkischen Bewegung gesteuert. Daneben komponierte er 14 vollendete Opern, hinterließ mehrere Fragmente, Instrumentalwerke und Lieder. Sein Bühnenerstling „Der Bärenhäuter“ war 1900 die in Deutschland meistgespielte Oper.
Die legendäre Sängerin Martha Mödl sagte einmal: „Siegfried hatte das Pech, der Sohn von Richard und der Vater von Wieland Wagner zu sein.“ Damit benannte sie die komplizierte Position von Siegfried als „Deutschlands begehrtestem Junggesellen“ und „Erben von Bayreuth“. Sie selbst trat sowohl im Bayreuther Festspielhaus wie in der ersten Aufführung einer Siegfried-Wagner-Oper nach dem Zweiten Weltkrieg auf. Siegfrieds oft in fantastischen vergangenen Zeiten spielende Sujets sind nicht nur als Musiktheater interessant. Sie offenbaren eine verblüffende Nähe zur Zeitgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts und zu Konstellationen in der Dynastie Wagner.
Die ISWG promotet Siegfrieds polyvalentes Werk. Sie gestaltet Ausstellungen wie die von Achim Bahr kuratierte Jubiläumsschau in der Bayreuther Stadtbibliothek „RW21“ und betreibt die wissenschaftliche Aufarbeitung mit einer Schriftenreihe und Kooperationen. Zum Beispiel erlangte das Projekt „Siegfried Wagner: Bayreuths Erbe aus andersfarbiger Kiste“ mit dem Schwulen Museum Berlin (2017) internationale Anerkennung. Namhafte Interpreten und Richard Wagners Enkelin Friedelind setzten sich für die Ziele der ISWG ein. Diese bringt mit dem „ppp musiktheater“ seit einigen Jahren in Bayreuth während der Festspiele Siegfried-Wagner-Opern zur Aufführung. In diesem Monat erscheint der CD-Mitschnitt von „An allem ist Hütchen schuld“ aus dem Markgräflichen Opernhaus unter David Robert Coleman von 2019. Pachl inszenierte, schrieb, produzierte auch dort.
Das festliche Konzert betitelte man zurecht „in memoriam Peter P. Pachl“ (1953–2021). Jede der 27 Produktionen von Siegfried Wagner-Opern von 1975 („Der Friedensengel“ in London) bis 2021 (wieder „Der Friedensengel“ in der Bayreuther Kulturbühne Reichshof) entstanden auf Pachls thematischem und argumentativem Totaleinsatz. Als Intendant des Theaters Rudolstadt spielte er Siegfried Wagner, motivierte als Chefdramaturg das Theater Hagen zu eindrucksvollen Inszenierungen von „Bruder Lustig“ und „An allem ist Hütchen schuld“. Immer wieder motivierte er Intendanzen und Veranstalter weich, bis diese endlich eine Siegfried-Wagner-Oper wagten, in Halle etwa „Sonnenflammen“ oder in Gdansk „Der Schmied von Marienburg“. Letzteren dirigierte Frank Strobel, Präsident der ISWG und Künstlerischer Leiter der Produktionsgesellschaft Europäische FilmPhilharmonie.
In Vertretung für den Schirmherrn, Oberbürgermeister Thomas Ebersberger, begrüßte Stephan Müller und stellte in Siegfried Wagners Leben und Wirken in Beziehung zu Bayreuth und zur Villa Wahnfried. Sven Friedrich, Direktor des Richard Wagner Museum Bayreuth, warnte davor, im Enthusiasmus für Siegfried Wagner dessen positive Haltung zum aufkommenden Nationalsozialismus in der Forschung auszusparen. Auch Frank Strobel hob hervor, dass eine Erschließung aller bekannten Facetten das Interesse an der Person Siegfried Wagner und dessen Werk steigern würde. Damit argumentierten Strobel und Friedrich gegen in den letzten Jahren abgeklungene Tendenzen, Siegfried Wagner als Gegner Hitlers darzustellen, dessen politische Karriere Siegfrieds Ehefrau Winifred gefördert und nach Siegfrieds Tod als Festspielleiterin zu stabilisieren beigetragen hatte.
Musikalische Beiträge gestalteten der Bayreuth-erfahrene Bariton Roman Trekel, die Sopranistin Nadja Korovina, die Flötistin Hélène Freyburger und am Klavier David Robert Coleman. Wegen einer akuten Erkältung musste die in zahlreichen Siegfried-Wagner-Partien aufgetretene Sopranistin Rebecca Broberg ihre Beiträge absagen.
In Ausschnitten aus „Die heilige Linde“, „Herzog Wildfang“ und „Sternengebot“ hörte man üppig schweifende Melodiegebilde mit einem schwelgerischen, die Pole zwischen raffinierter Chromatik und Volksliedton ausreizenden Klavierpart. Das von Siegfried für seinen Neffen Gilbert Graf Gravina komponierte Concertstück für Flöte ist dagegen ein vorgeblich einfaches, fast impressionistisches Leichtgewicht mit hohem atmosphärischem Reiz. Siegfrieds Musik passt in den Salon der Villa Wahnfried, wo der Sohn Richard Wagners zum ersten Mal 1873 im Alter von vier Jahren spielte. Mit seiner Frau und seinen Kindern lebte er später in einem Anbau nebenan.
Nächste Projekte der ISWG beinhalten die Vorbereitung zur szenischen Uraufführung der 2001 in der Kölner Philharmonie erstmals erklungenen Oper „Die heilige Linde“ mit dem Friedrichsforum nach den Sanierungsarbeiten an der Stadthalle Bayreuth. Außerdem sucht die ISWG in Bayreuth nach dem Standort für eine Siegfried-Wagner-Forschungsstätte, in welche die wertvolle Sammlung aus dem Nachlass von Peter P. Pachl integriert werden soll.