Als Theodor W. Adorno 1954 seinen berühmten Vortrag „Das Altern der Neuen Musik“ hielt, zielte er nicht auf das Lebensalter der damals noch nicht einmal dreißigjährigen Komponisten Boulez, Nono und Stockhausen. Stattdessen ging es ihm um eine Kritik am „Materialfetischismus“ der Darmstädter „seriellen Schule“. Doch seither sind fast sechzig Jahre vergangen. Und längst zeigt sich das „Altern der Neuen Musik“ ganz handgreiflich an den Akteuren und Institutionen der Neuen Musik. Die meisten Vertreter der einstigen Nachkriegsavantgarde sind inzwischen verstorben oder in hohem Alter, wie der 86-jährige Boulez. Die meisten seit den 1970er Jahren gegründeten Ensembles der Neuen Musik sind heute zwanzig bis vierzig Jahre alt, ebenso viele Festivals der neuen Musik.
Das weltweit älteste, die Donaueschinger Musiktage, feiert Mitte Oktober sein 90-jähriges Bestehen. Auch wenn die letzte Ausgabe dieser Kolumne bei den Komponisten der für Juli und August annoncierten Uraufführungen ein Durchschnittsalter von 72 Jahren konstatierte, ist das bloße Alter von Personen und Einrichtungen nicht automatisch gleichbedeutend mit Überalterung, Establishment, Stagnation, Vertrocknung, Um-sich-selber-Kreisen und Auf-der-Stelle-Treten. So präsentiert die seit 30 Jahren aktive Kölner Gesellschaft für Neue Musik – eine der ältesten lokalen GNMs in Deutschland – am 2. September in der Alten Feuerwache zwei Konzerte unter dem programmatischen Titel „DIE NEUEN“, bei denen Werke von zehn Nachwuchskomponisten von ebenso jungen Interpreten gespielt werden, darunter auch eine Uraufführung von Nan Zhang.
Eine zur Institution gewordene Suche nach Neuem auch außerhalb des europäischen Raums ist seit 25 Jahren das ensemble aventure. Im Rahmen seiner Konzertreihe in der Elisabeth Schneider Stiftung in Freiburg spielt es am 23. September unter sechs Werken von Meistern vom Rio de la Plata auch zwei neue Stücke der unter 30-jährigen Komponisten José Manuel Serrano und Marcelo Rodriguez. Ebenfalls ihr 25-jähriges Bestehen feiert vom 10. bis 18. September die Kölner Philharmonie mit Uraufführungen der Altmeister Rolf Wallin, Michael Jarrell und Brice Pauset sowie einem neuen Klavierkonzert des jungen Ungarn Márton Illés und einem neuen Orchesterwerk der gerade 25-jährigen Kompositionsstudentin an der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Eiko Tsukamoto.
Die 18. Ausgabe der Klangspuren im tirolerischen Schwaz bietet vom 8. bis 24. September ein George-Benjamin-Porträt, einen Spanien-Schwerpunkt, neue Werke von Mauricio Sotelo, Beat Furrer, Mesias Meiguashca, Jens Joneleit und Thomas Amann sowie Uraufführungen der jungen Komponisten Manu Delago, Irene Galindo Quero, Carlos Gutiérrez Quiroga, Miguel Llanque, Pia Palme, Electric Indigo und Christian Reimeir. Schließlich sind zahlreiche neue Werke – teils von jungen Komponisten – auch bei vielen anderen Festivals im September zu erleben, in Luzern, Rümlingen, Warschau, Linz, Venedig, Bonn, dem Ruhrgebiet und anderswo.
Weitere Uraufführungen:
4.9.: Landschaftsmusik GeZEITen für 800 Musiker, Grimmenhörnbucht Cuxhaven
10.9.: Marios Joannou Elia, autosymphonic für 81 Automobile, Friedrichsplatz Mannheim
Harald Muenz, Mouse on Mars, Andreas Wagner, Jakub Sarwas, Michael Veltman, neue Werke, 7. Kölner Musiknacht
10./11.9.: Georg Friedrich Haas, Matthias Pintscher, neue Werke, Lucerne Festival
11.9.: Johannes Bauer, neues Orchesterwerk zur Eröffnung des Brucknerfestes Linz
16.-24.9.: Novak, Krzanowski, Nemescu, Moc, Kampe, Zubel, Hendrich, neue Werke, Warschauer Herbst
24.9.-1.10.: Lenners, Olofsson, Corrado, Zago, Ciceri, Agostini, neue Werke, Biennale da Venezia
29.9.: Toshio Hosokawa, Hanjo – Oper in einem Akt, Ruhrtriennale Gebläsehalle Landschaftspart Duisburg-Nord
Rebecca Saunders, Konzert für Violine und Orchester, Beethovenfest Bonn