Die Rezeptionsmechanismen der Neuen Musik sind manchmal schwer zu durchschauen. Einerseits gibt es den Königsweg der Großkomponisten, deren runde Geburtstage in den Konzerthäusern der Republik mit tagelangen Festivals zelebriert werden. Andererseits die mehr verschlungenen Pfade für jene, die es sich und den andern immer ein wenig schwerer gemacht haben. Warum der eine hier, der andere dort landet, ist nicht immer leicht erklärbar – ebenso wenig, warum die komplizierteren Fälle dann doch immer wieder eine entscheidende Langzeitwirkung entfalten.
Zur zweiten Kategorie von Komponisten gehört der nun 80-jährige Klaus Huber. Ein unbequemer Zeitgenosse, der sich mit seiner künstlerischen und politischen Intransigenz nicht nur Freunde gemacht hat. Seine kompositorischen Qualitäten stellt indes niemand in Zweifel, seinen visionären Anschauungen werden auch da respektiert, wo sie zum Widerspruch herausfordern. Trotzdem nutzte nun kein Veranstalter die Gelegenheit zu einer großen Werkschau, die eine Konfrontation mit Hubers ebenso komplexer wie querständiger Gedankenwelt ermöglicht hätte. Die Programmakzente etwa in Witten, Strassburg (Ensemble Linea), Frankfurt und Berlin (Ensemble Modern) machen das Defizit nicht wett.
In seiner Schweizer Heimat wurde Hubers Geburtstag, abgesehen von der von Heinz Holliger initiierten Aufführung von „Die Seele muss vom Reittier steigen...“ beim Lucerne Festival, fast durchwegs missachtet. Nicht einmal die IGNM, deren Ehrenmitglied Huber ist, fand es für nötig, bei den Weltmusiktagen in der Schweiz etwas von ihm aufzuführen. Ein vom Warschauer Herbst erwünschtes Gastspiel eines Schweizer Ensembles zerschlug sich aufgrund organisatorischer Unfähigkeit der Eingeladenen. Ebenso provinziell verhielt sich das Künstlerhaus Boswil, dessen internationaler Ruf maßgeblich auf das 1969 von Huber gegründete Kompositionsseminar zurückgeht. Doch seit Gottfried Keller weiß man ja eigentlich, wie die Kulturnation Schweiz in solchen Fällen zu handeln pflegt: inkompetent. Vor lauter „Geschäftlimachen“ geraten die wichtigeren Dinge eben manchmal aus dem Blickfeld. Es blieb Hubers Wahlheimat, der Hansestadt Bremen und ihrem Bürgermeister Henning Scherf, vorbehalten, den zugereisten Komponisten mit einem Senatsempfang angemessen zu würdigen.
Doch es gab trotz allem noch einige verstreute und von der Konzeption her äußerst anregende Initiativen. So setzte die Heidelberger Biennale einen Akzent mit Aufführungen und einem von der Universität veranstalteten Symposium über den Zeitbegriff bei Huber und Jean Barraqué. Und die kleine, aber rührige Musikhochschule Trossingen veranstaltete auf Initiative von Hugo Noth und Florian Hoelscher einen viertägigen Workshop, in dem Klaus Huber und Younghi Pagh-Paan mit Studenten und Dozenten eine Auswahl ihrer Kompositionen einstudierten und öffentlich aufführten, flankiert von Werken anderer Schüler Hubers samt Roundtable zur Rolle des Komponisten als Erzieher. Die hervorragend gelungenen Interpretationen, darunter die Uraufführung einer neuen Reduktion von „Die Seele muss vom Reittier steigen...“ für Sopran, Cello, Bariton und vier Instrumentalisten, zeigten: Hubers oft schwierige Werke sind eine Herausforderung, die junge Musiker heute glänzend bewältigen. Anders als in den Köpfen der Veranstalter gibt es auf dieser Ebene offensichtlich keine Rezeptionsprobleme.
Der Ricordi-Verlag hat zum 80. Geburtstag von Klaus Huber eine 64-seitige Broschüre veröffentlicht, mit Originalbeiträgen etwa von Hans Zender, Irvine Arditti, Heinz Holliger, Arturo Tamayo, Michael Gielen, Wolfgang Rihm, André Richard und dem Herausgeber Max Nyffeler. Sie ist kostenlos erhältlich bei info [at] ricordi.de (info[at]ricordi[dot]de)