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Die Welt soll betrachtet, nicht gerettet werden

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Doppelpremiere: Carola Bauckholts „Stachel der Empfindlichkeit“ und „Es wird sich zeigen...“ in Köln
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In den 60er und den 70er-Jahren, der Pionierzeit des Neuen Musiktheaters, keimten Hoffnungen, mit der alten Tante Oper eines Tages die Plätze tauschen zu können: großes Haus gegen Studiobühne, große Beachtung gegen bloß große Absicht. Doch statt besser kam’s allenfalls noch schlechter, wie wir wissen, und eine Musiktheater-Pionierin der zweiten Generation wie Carola Bauckholt kann sich heute glücklich schätzen, wenn in Köln, der einstigen Hochburg der Avantgarde, das Opernhaus zumindest seine rückwärtige „Schlosserei“ für drei Abende frei gibt. Vorn wird wie eh und je und ausschließlich Oper gespielt, scheinbar aus Mangel an Alternativen.

Doch die gibt es weiterhin – Musiktheater, das zur Selbstbesinnung kommt, seine originären Mittel sucht, sortiert, auf ihren Gehalt an Sinn und Möglichkeiten abklopft und dabei meist außen vorlässt, was dem Betrieb so unverzichtbar scheint: Narration und die große moralische Geste, das Heldentum.

Bei Carola Bauckholt ist die Abkehr von traditionellen Erzählmustern dabei weit weniger charakteristisch als eine radikale Bescheidenheit. Die Welt soll betrachtet, nicht gerettet werden. Sogar das ist noch ein wenig übertrieben: es geht genau genommen nicht einmal um die Welt, sondern allenfalls um einen winzigen Ausschnitt davon, um Momente des Alltäglichen. Eine Bühne ist für solche Momente fast immer schon zu groß: ein Zimmer täte es wohl auch. Nicht nur stumpfe Kunstpolitik hält solches Theater im kleinen Haus – längst hat es sich freiwillig in der Nische wohnlich eingerichtet.

Auch Bauckholts jüngste musiktheatrale Arbeiten „Stachel der Empfindlichkeit“ von 1997/1998 und das nunmehr revidierte „Es wird sich zeigen...“ von 1998/2002 sind geradezu radikal unheroisch – ihr Maß ist der Mensch, nichts ist überlebensgroß. Es tut diesem Theater gut, wenn das Publikum nah dabei sein kann. Bauckholts Raumkonzept unterstützt in „Stachel“ wohl auch sehr bewusst diese intime Erlebnissituation: vier Schlagzeuger und drei Celli umrahmen nicht nur die beiden Darsteller, sondern nach Möglichkeit auch das Publikum. Augen und Ohr sind dicht am Geschehen.

Obwohl für die Uraufführung in Bielefeld als Gegenstück zu Purcells „Dido und Aeneas“ entworfen und eigentlich mit einem Mann (Kontratenor) und einer Frau (Mezzosopran) zu besetzen, bilden A und B – so heißen die Figuren – kein Paar im eigentlichen Sinne. Was sie verbindet ist ihr Befinden: A wartet (auf einen Bus, einen Zug?), will fort, B dagegen wartet in einem Zugabteil darauf, anzukommen. Beide sind an einem Ort, wollen aber an einem anderen sein. Beide sind von Unruhe getrieben, nervös, brausen auf in Selbstgesprächen, beruhigen sich wieder, hadern, warten. Bauckholts musikalisches Vokabular aus sehr gelenkig rhythmisierten Figuren mit überwiegendem Geräuschanteil schaffen eine klangliche Szenerie von hoher Konkretheit: deutlich erkennbar sind die Fahrgeräusche eines Zuges, man hört, wie er über Schwellen und Weichen rollt, in Kurven quietscht, wie er durch Tunnel fährt. A (Claudia Immer) und B (Truike van der Poel), zunächst auf entgegengesetzten Warten, finden schließlich noch zusammen: Etwa auf Höhe des goldenen Schnitts setzt Bauckholt ein Blackout und sorgt nach dieser Zäsur für eine auch musikalische Verständigung – die Tonalität, die nun durch die Geräuschfelder durchdringt, wird man wohl als gemeinsame Sprachebene zu deuten haben.

„Es wird sich zeigen...“ ist weit abstrakter. Die musikalischen und auch die theatralen Mittel sind vergleichbar, doch sind sie nun nicht mehr dicht um ein inhaltliches Zentrum gruppiert, sondern eher lose gereiht. Wenn es überhaupt um etwas geht, dann um – im weitesten Sinne – soziale Situationen, um das Arrangement theatralischer Zustände, den Wechsel ihrer Intensität und Ausdehnung und Kontraste im Nebeneinander und im Gleichzeitigen. In der Kölner Inszenierung von Nora Bauer treten die drei Vokal-Akteure (Francesca Best, Yosemeh Adjei, Jaap Blonk) und die fünf Instrumentalisten (Schlagzeug, Streichquartett) als Team auf: in orangenen Baseball-Outfits gleichgekleidet spielen sie ihre Differenzen aus. Gruppendynamik und Einzelaktion greifen ineinander, doch so wie die Partitur, so findet auch ihre szenische Umsetzung keinen verbindlichen Halt.

Gewinnt „Stachel der Empfindlichkeit“ festes Format durch Redundanz, bleibt das reichhaltige Material im theatralen Gegenstück zu zersplittert und wirkt im Fortgang eher addiert denn komponiert.

Raoul Mörchen

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