Da steht einer im Unterhemd und schaut zum Fenster des linken Schlafzimmers hinaus. Schräg unter und vor ihm, im Parterre, sitzt das Kammermusikensemble: zehn Holz- und Blechbläser, ein Streichquartett nebst Kontrabass, der Klavier- und der Akkordeonspieler und zwei Schlagzeuger.
Introvertiert und stockend teilt sich der Mann mit. Und parallel zu seiner Klangrede stockt das, was das kleine Orchester in Portionen beiträgt: Die Musiker bewegen den Tonsatz mit gewissen Mühen und wie in peristaltischen Bewegungen.
Der Eröffnungstext von Händl Klaus, der lichtlos von der Sonne handelt und gedrechselt vom gedrehten Wind und atemlos vom Atem, dieser vielleicht bedeutsame Text ist beim besten Willen nicht wirklich zu verstehen. So wenig wie die überwiegenden Anteile des vom Librettisten dem Komponisten und Dirigenten Beat Furrer als „Geröllhalde“ bereitgestellten „Textmaterials“. In das fanden auch altlateinische Sentenzen zur Grenzscheide zwischen Leben und Tod Eingang und insbesondere Worte eines von Jan Assmann ins Deutsche gebrachten Papyrus-Textes aus dem 19. Jahrhundert v. Chr. (auch da steht der Tod vor der Tür).
Beat Furrer, 1954 in Schaffhausen geboren und seit längerem in Wien ansässig, schrieb im zurückliegenden Jahrzehnt mehrere Arbeiten für die Bühne – „Begehren“ (Graz 2003) und „Fama“ (Donaueschingen 2005) haben einen gewissen Bekanntheitsgrad im Feld der Neuen Musik errungen. Furrers melodramatische Komposition saugt das Textmaterial in sich auf, trocknet es auf, bringt es tendenziell zum Verschwinden. So, wie es nicht nur den Worten in Wind und Glut der Wüste ergeht. Dass vom Verwehen und Verkommen nicht nur die Rede ist, sondern die Furie des Verschwindens selbst „komponiert“ sein wollte, ist bei einem „Wüstenbuch“ ein plausibler Grundgedanke. Aber es ist zugleich auch ein wenig wie bei vornehmen Leuten, die leise und nicht hinreichend deutlich in die Richtung der Adressaten sprechen, um besondere Aufmerksamkeit zu erheischen.
Im Erdgeschoss, hinter den Instrumentalisten, beginnen mehrere Frauen ihren Gänsemarsch quer über die Bühne. Die Installation, die Duri Bischoff hart und kantig ins Musicaltheater Basel gesetzt hat, erinnert an ein orientalisches Hotel der günstigeren Preisklasse vor drei oder vier Jahrzehnten (eine uneinheitliche Möblierung und der von Anna Viebrock auf mustergültige Weise salonfähig gemachte schlechte Einrichtungsgeschmack zitiert sich auf eine inzwischen bewährte Weise nochmals herbei). Marthaler nutzt diese Betonwüste: Trocken-zugig geht es und mit viel Flageolett vorwärts. Und gelegentlich verlässt der Orchestersatz die Zonen des fein Distinguierten und wird sogar heftig: Die Wüste bebt!
Auch die einsamen Frauen, wenn sie sich dann artikulieren, sind nicht sehr viel besser zu verstehen als der Vortrag des Fensterredners am Anfang. Aber die Inszenierung von Christoph Marthaler sorgt nachdrücklich dafür, dass die Einsamkeit und die Ängste der Frauen so drastisch zum Ausdruck kommen wie Verstörungen und  die ihnen bereiteten Zumutungen. Zu fahlen hohen Haltetönen der Musiker kratzen sie sich die Köpfe und schütteln die Haare. Die Zuschauer müssen sich die Zuwendung durch die besondere Aufmerksamkeit des Textstudiums im Programmheft erwerben (und ganz offensichtlich sollen sie auf diesem Weg über diese Vorab-Anstrengung aus einer trägen Konsumentenhaltung herausgeholt werden).
Vergleichsweise deutlich werden die Zitate aus einem ägyptischen Reisebericht von Ingeborg Bachmann, die sich über die Störung der Totenruhe mokiert, welche den Mumien der Pharaonen im Nationalmuseum von Kairo zugemutet wird, und über einen Mann, der seine Frau auf einem Bahnsteig gefesselt hatte, weil sie angeblich „verrückt“ war. In solchen Momenten konturiert das breit- und langgezogene musikalisch-szenische Ereignis auf der Bühne seine mutmaßlichen Absichten schärfer und schickt sich an, in der Konsum- und Medienwelt etwas zurechtzurücken. Gerade auch mit musikalischen Episoden, in denen so etwas wie „Wüstenmusik“ ins „Wüstenbuch“ Eingang gefunden zu haben scheint.
Musik als Theater entwickelt erfahrungsgemäß eine gewisse Rücksichtslosigkeit gegenüber aufwendig erdachten und feinsinnig konstruierten musikalischen Strukturen, auf jeden Fall eine Tendenz der Vergröberung: Die Frage, wie es gemacht ist, tritt hinter der, was es bedeutet, zurück. Fazit in Basel: Die Wüste lebt. Gerade auch musikalisch. Nur tut sie es eben ganz anders als in einem Breitwandfilm.