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Ensemblefoto. Foto: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah
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„Die Zauberflöte“ an Dresdens Semperoper – (k)eine Tragödie

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Die erste Neuinszenierung an der Semperoper sollte ein Zeichen des Aufbruchs sein. Sie geriet zum bitterbunten Begräbnis. Die Hoffnung war noch gar nicht gestorben, schon gab neue Hygienekonzepte in der Kulturnation, die alle bisherigen Pläne, deren regelmäßige Überarbeitung und noch die allerletzte Aktualisierung außer Kraft setzen sollten. Vom ersten November-Montag an wird alle Theaterkultur ersatzlos gestrichen. Wer da am ersten Tag dieses Monats noch in die Oper ging, wohnte einem sehr eigenständigen Abschied bei und dürfte sich wie bei einem Begräbnis gefühlt haben.

In Dresden gab es just an diesem 1. November gleich zwei musikalische Grablegungen. Vormittags spielte die Sächsische Staatskapelle im Kulturpalast auf, um unter Leitung ihres Chefdirigenten Christian Thielemann ein – kurzfristig vorgezogenes – Sonderkonzert im Refugium der Dresdner Philharmonie zu zelebrieren. Nur wenige Tage nach Thielemanns Debüt in diesem 2017 nach gründlichem Umbau eingeweihten Konzertsaal gab es ein Programm mit Musik von Richard Strauss und Robert Schumann, in dessen Zentrum Beethovens D-Dur-Violinkonzert stand. Ursprünglich sollte Nikolaj Szeps-Znaider den Solopart spielen, aufgrund einer Erkrankung übernahm sehr kurzfristig Julia Fischer, die ihrer glanzvollen Interpretation als Zugabe noch Johann Sebastian Bachs Sarabande in d-Moll folgen ließ. „Man muss es ja ausnutzen, wenn man noch spielen darf“, begründete sie augenzwinkernd diese vom Publikum heftig bejubelte Entscheidung.

Blick auf die Oper aus kindlicher Sicht

Am selben Abend dann an der Semperoper die erste echte Neuinszenierung, nachdem es dort seit Monaten nur „Variationen“ gab, reduzierte Fassungen aus dem vorhandenen Repertoire. Auch daraus wurde ein Abschied, ein Abgesang für zumindest die nächsten vier Wochen. Denn die Premiere von Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ wird bis auf weiteres die letzte Vorstellung dieser Neuproduktion gewesen sein.

Dass sie ebenso wie die bislang letzte Neuproduktion, Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ Ende Februar, von Josef E. Köpplinger inszeniert worden ist, mag ein Zufall sein. Augenfällig aber ist es doch. Der gebürtige Österreicher und langjährige Intendant des Münchner Gärtnerplatztheaters durfte die Oper in beinahe voller Länge erarbeiten, sogar eine Pause war erlaubt – bis dann kurz vor knapp vieles davon wieder dem Rotstift geopfert werden musste. Zwei Stunden Spieldauer blieben übrig, die im dank reichlich viel Videotechnik recht abwechslungsvoll geratenen Bühnenbild von Walter Vogelweider flott vergangen sind. Vor gerade mal 330 Menschen im Saal! Ob die raren Momente echter Personenführung dem allgemeinen Abstandsgebot geschuldet waren oder dem Fehlen einer konsequenten Idee – das sei dahingestellt. Der Einsatz einer stummen Rolle, mit der Prinz Tamino knabenhaft gedoppelt wurde, wog das nicht ganz auf, lenkte aber den Blick auf die Oper aus kindlicher Sicht.

Und offenbar zielte Köpplingers Konzept tatsächlich auf junges, mit Gags und Drive zu unterhaltendes Publikum. Wie blicken Menschen von heute auf diesen Mozart und seinen Librettisten Emanuel Schikaneder? Der junge Tamino geisterte als Beobachter von Szene zu Szene und entstaubte damit gleichsam die Vorgänge um Sarastro und die Königin der Nacht, die ja nach wie vor eine sehr männlich geprägte und göttergläubige Sicht auf die Dinge darstellen.

Das ist nicht immer ganz konsequent umgesetzt worden, konnte durch die Spielfreude der Protagonisten in den einfallsreichen, mitunter durchaus recht grellen Kostümen von Dagmar Morell aber rasch wieder aufgefangen werden.

Dramatischer Orchesterklang und vokaler Luxus

Vor allem aber war diese musikalisch auf Hochglanz geputzte Fassung der 1791, im Sterbejahr Mozarts, in Wien uraufgeführten „Zauberflöte“, die nur zwei Jahre danach erstmals in Dresden herauskam, ein Fest für die Ohren. Omer Meir Wellber, Erster Gastdirigent des Hauses, hatte vorab eine „Sauberflöte“ versprochen. Schließlich stand die Oper laut Programmheft inzwischen bereits 1.270-mal auf der Bühne, für die nunmehr 18. Neuinszenierung in Dresden sollte das Werk auch und gerade in dieser eingekürzten Version kein hingeschluderter Quotenbringer, sondern ein klingender Edelstein sein. Die Sächsische Staatskapelle überzeugte durchweg mit geradezu dramatischem Orchesterspiel.

Und auch die dazu aufgebotene Sängerbesetzung war purer Luxus: René Pape als erwartungsgemäß nobler Sarastro blieb distinguiert in der Haltung und prononciert im Gesang. Nikola Hillebrand gab ihren Einstand als Königin der Nacht vielleicht eine Spur zu aufgeregt, aber dennoch als stimmschönes Ideal für diese anspruchsvolle Partie. Tuuli Takala als Pamina und Joseph Dennis als Tamino glänzten vokal wie spielerisch in ihrer so lebe- wie liebevollen Jugendlichkeit, ebenso  glückhaft agierten Sebastian Wartig und Katerina von Bennigsen als Papageno und Papagena. Bei so viel Aufwand durften auch die drei Damen nicht weniger glanzvoll besetzt werden: Roxana Incontrera (einst selbst Königin der Nacht), Stepanka Pucalkova sowie Christa Mayer sorgten ebenso für höchstes Niveau wie Markus Marquardt als sonorer Sprecher und die drei Knaben vom Tölzer Knabenchor. Dass Simeon Esper als Monostatos nicht dem üblichen Klischee dieser Rolle entsprach, sollte als Eigenständigkeit zu verstehen sein.

Viel Aufwand also für eine Premiere, die an der Semperoper Dresden ein Zeichen künstlerischen Aufbruchs darstellen – nun allerdings den Sargnagel für voraussichtlich vier Wochen pandemischer Schließzeit setzen sollte. Eine Tragödie für die Kunst.

 

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