Längst ist das autonome musikalische Kunstwerk in die Diskussion geraten; an seinen Grenzen rütteln die Improvisation und die Performance, die Installation und sogar die Konzertform selbst; Elektronik, musique concrète, Sampling vernetzen es mit seiner Umgebung bis zur Ununterscheidbarkeit. Jeder Klang, jedes Alltagsgeräusch kann zu seinem Material werden, und selbst der Raum, früher als Gegenpol zur Musik als organisierter Zeit gesehen, erobert es immer mehr. Wie dringt Raum in die musikalische Struktur selbst ein, von den Koordinaten der Töne bis hin zur Verteilung von Instrumenten oder sonstigen Klangquellen am Aufführungsort? So lautet die eine Frage. Die andere: Wie wirkt sich der Raum, seine Architektur und Atmosphäre, auf die in ihm gehörte Musik aus? Mit seinem Projekt „space + place“ ging das Kammerensemble Neue Musik Berlin systematischer und umfassender als gewöhnlich solchen Fragen nach. Den komponierten oder improvisierten Räumen in der Musik selbst („space“) war dabei das traditionelle Konzerthaus Berlin zugedacht, während den musikalischen Raumgestaltungen das „Office-Areal“ der brandneuen Oberbaum-City am Friedrichshainer Spreeufer zur Verfügung stand.
Zum Glück war den schicken Räumen noch einige Patina der ehemaligen „Narwa“-Glühlampenfabrik – ein industrielles Aushängeschild der abgewickelten DDR – anzumerken, die so in reizvollem Gegensatz zur manchmal sterilen Hochglanztechnik treten konnte. Ein Ort mit Geschichte also, die am konkretesten die Musik/Bild-Installation „Verlassene Räume“ von Georg Katzer und Rose Schulze thematisierte. An die Wände der modrigen Tiefgarage projiziert die Fotografin Bilder aus einer bankrott gegangenen Papierfabrik, die Dramaturgie einer Improvisation von E-Gitarre, Bass und Percussion gibt ein Vergänglichkeit und Verfall ansprechender Text von Wolfgang Hilbig vor. So entsteht ein vielfaches Spannungsgeflecht aus musikalischer Struktur, Farbe, semantischen Inhalten, das einen weiten Assoziationsraum öffnet. Wie ein aufschlussreiches Konzept sich selbst ein Bein stellen kann, zeigte der vorangegangene Abend im Konzerthaus. „Places“ von Alvin Lucier machte in der Konzertpause Treppenhaus und angrenzende Räume zum anregenden Erkundungsort „akustischer Signaturen“ von Innen- und Außenräumen aus Ostrave (Tschechien), New York und Middletown Connecticut. Wirklich aufregend aber wurde es beim konventionellen Zuhören. Werke von Xenakis und Grisey machten deutlich, welch überlegene Innovations- und Aussagekraft die „Großväter“ der Moderne gegenüber den intelligenten Tüfteleien ihrer Nachkommen zu bieten haben.