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Anekdotenlastiges Talkshow-Format. Screenshot.
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Digitales „Festival of New Music“ in Berlin als Talkshow mit Musikeinspielungen

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Angekündigt hatten Daniel Barenboim und Emmanuel Pahud ein digitales „Festival of New Music“ in Zeiten der Corona-Beschränkungen, dessen vier Veranstaltungen vom 9. bis 12. Juli 2020 als Rahmen für die Aufführung von zehn eigens entstandenen Kompositionen dienen sollten. Tatsächlich wurde daraus eine Talkshow mit vier jeweils rund 100-minütigen Teilen, in der die eher kurzen Musikeinspielungen als Aufhänger für einen raumgreifenden und gelegentlich ziemlich ermüdenden Gedankenaustausch genutzt wurde.

Es klang ziemlich verlockend, als Daniel Barenboim und Emmanuel Pahud Ende Juni mit ihren Plänen für ein „Festival of New Music“ an die Presse gingen. Angekündigt wurde ein Reigen von vier Streaming-Veranstaltungen, in denen neben Werken von Pierre Boulez insgesamt zehn neue Kompositionen – für diesen Zweck ohne Honorar von Irini Amargianaki, Benjamin Attahir, Johannes Boris Borowski, Luca Francesconi, Michael Jarrell, Philippe Manoury, Olga Neuwirth, Matthias Pintscher, Christian Rivet und Jörg Widmann geschaffen – erklingen sollten. All dies dargeboten vom philharmonischen Flötisten Pahud und Mitgliedern des Boulez-Ensembles unter Leitung von Barenboim in unterschiedlichen Kammermusik- und Ensemblebesetzungen. Mit dem Begriffspaar „Distance/Intimacy“ hatte man zudem ein Motto gewählt, das die vertrackten sozialen Herausforderungen der zurückliegenden Monate in den Kontext einer Kulturveranstaltung verpflanzte, was durch die markante architektonische Kulisse des publikumsfreien Pierre Boulez Saals unterstrichen wurde.

Anekdotenlastiges Talkshow-Format

Über eine in den digitalen Raum verlegte Förderung des Corona-gebeutelten Kulturlebens hinaus verfolgten die Kuratoren Pahud und Barenboim mit dem Projekt aber auch weitreichendere, nämlich gleichsam pädagogische Ziele – ging es ihnen doch erklärtermaßen darum, dem Publikum die Vielfalt des zeitgenössischen Musikschaffen näher zu bringen. Als Ausgangspunkte für die live stattfindende Diskussion zwischen dem Leitungsduo und dem als Moderator fungierenden, hauseigenen Dramaturgen Philipp Brieler, zu der sich am Freitag noch Matthias Pintscher und am Sonntag Jörg Widmann per Videokonferenz zuschalteten, nutzte man daher einerseits die vorproduzierten Einspielungen der aufgeführten Werke, andererseits aber auch, die Interaktivität der Kommunikation über soziale Netzwerke für sich nutzend, einige der per Chat eingehenden Fragen aus aller Welt.

Resultat war ein ausgedehntes Talkshow-Format, das während der ersten beiden Abende vor allem von ermüdenden Allgemeinplätzen und Anekdoten geprägt war, bevor es dann ab dem dritten Tag an Fahrt aufnahm und zur konzentrierteren Betrachtung wichtiger Themen fand. Dabei wurden beispielsweise die Einflüsse der Sprache auf die Struktur des Komponierten ebenso diskutiert wie mögliche Strategien, der zeitgenössischen Musik mit Offenheit zu begegnen, die Neugier als Basis der Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und weltweit den Stellenwert von Musik innerhalb der Erziehung zu stärken. Als ärgerlich erwies sich bei alldem jedoch das enge Verständnis von „der neuen Musik“, das man dem Publikum da, die kulturwissenschaftlich bedeutsamen Diskurse aus den vergangenen Jahrzehnten geschickt umschiffend, mitunter präsentierte: Wurde doch insbesondere während der Diskussion um die zehn Auftragskompositionen ausschließlich auf der Grundlage eines letzten Endes tief im klassisch-romantischen Denken verankerten Künstlerbildes sowie beharrlich aus der Hegemonie einer eurozentristischen Perspektive heraus argumentiert.

Visuelle Umsetzung

Aufhänger hierfür waren die qualitativ hochwertigen Konzertfilme, mit denen man die musikalische Spannung des Ereignisses „Uraufführung“ einzufangen versuchte und dabei auch die Thematik der Reihe berücksichtigte, indem man die Aufzeichnungen in der Regel jeweils mit einer Kamerasicht aus der Vogelperspektive beginnen ließ, um dann von dieser weitestmöglichen Distanz aus in die intimere Nähe der Ausführenden vorzustoßen. Auch wenn die Ergebnisse bei dem einen oder anderen Stück überzeugend gerieten und von einem gewissen Maß an Vorüberlegungen zeugten – so etwa im Fall von Philippe Manourys Solostück „Soubresauts“, bei dem die Kamera den Interpreten fast lauernd umkreiste, oder bei der Umsetzung von Jörg Widmanns „empty space“ für fünf Spieler, wo das Spiel mit Nähe und Distanz durch den Einsatz von Licht und Schatten erweitert wurde –, wirkte die visuelle Dramaturgie in anderen Fällen wie von einem Zufallsgenerator errechnet.

Besonders deutlich ließ sich dies anhand der Bebilderung von Pierre Boulez’ 1946 entstandener „Sonatine“ für Flöte und Klavier verfolgen, mit der das Festivalprogramm am Donnerstagabend eröffnet wurde: Hier herrschten sinnlose Perspektivwechsel, durch deren rasche Abfolge bei Einstellungslängen von rund einer bis maximal vier Sekunden die packende Wiedergabe von Emmanuel Pahud und Denis Kozhukhin geradezu konterkariert wurde. Eine Bemühung, die visuelle Ebene in den Dienst musikalischer Strukturen zu stellen und beispielsweise die gestischen Interaktionen zwischen den Interpreten zu unterstreichen, ließ sich nicht erkennen, während die Befürchtung, das Publikum zu lange bei Details verweilen zu lassen, ohne ihm ständig Abwechslung zu bieten, überdeutlich zu Buche schlug. Dass es darüber hinaus mit Irini Amargianakis „Eumeniden“ für Sopran und Ensemble und insbesondere mit Olga Neuwirths „coronAtion II: Naufraghi del mondo che hanno ancora un cuore – cinque isole della fatica“ für Klavier, Flöte, Klarinette, Violine und Viola auch zwei Fälle gab, deren ausgeklügelte Raumkonzeptionen eine ebenso durchdachte Kameradramaturgie erfordert hätten, zeigte, dass in Bezug auf die Bildregie noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht war.

Gerade diese beiden Stücke – und damit übrigens die einzigen, die man sich von Komponistinnen erbeten hatte – gingen jedoch am weitaus überzeugendsten mit dem Spannungsfeld von Distanz und Intimität um: Neuwirth konfrontierte die vier Melodieinstrumente mit isolierten Positionen weitab vom zentral positionierten Klavier und zelebrierte in der Folge die schrittweise klangliche wie räumliche Annäherung an dieses Zentrum und damit die Überwindung der Isolation im Überschwang gemeinsamen Musizierens. Amargianaki wiederum legte ihre kompositorische Aischylos-Lektüre als Charakterisierung wechselnder Frauengestalten mit Rückgriff auf unterschiedliche klanglichen Eigenschaft und räumliche Formungen an.

Schwerpunkte und Schlagworte

Sieht man darüber hinaus noch von Widmanns weitaus konventionellerem Versuch ab, den leeren Raum zwischen den Musikerinnen und Musikern musikalisch zu thematisieren, ließen sich die musikalischen Bezüge zum Motto des Festivals ansonsten eher im Begriff des Intimen verorten. So arbeitete Christian Rivet im Flöten-Solostück „Terre d’ombres“ mit leisen, die fließenden Grenzen zwischen zerbrechlichem Ton und Atemgeräusch auslotenden Aktionen, während Benjamin Attahir dem mal zurückhaltenden, mal emphatischen Duktus von „Bayn Athyn“ für Violine/Viola und Klavier den Gedanken an eine intime persönliche Kommunikation zwischen den Interpreten – dem Geiger Michael Barenboim und seinem Vater – einschrieb. Um Austausch, Weiterreichen und Abfärben von Klangsituationen ging es darüber hinaus in Matthias Pintschers „beyond II (bridge over troubled water)“ für Flöte, Viola und Harfe, in Johannes Boris Borowskis „Sphinxes“ für Klavier, Violine, Viola, Violoncello und Schlagzeug sowie in Luca Francesconis „Lichtschatten“ für Flöte und Ensemble, wogegen Michel Jarrells Flötensolostück „Le point est la source de tout…“ allenfalls das variable Verhältnis zwischen erweiterten und normalen Spieltechniken erkundete.

In Bezug auf die musikalische Umsetzung war die Wiedergabe der einzelnen Stücke auf höchstem technischen Niveau angesiedelt, und vor allem Pahud konnte als Solist in vielerlei Kontexten durch chamäleonartige Wandlungfähigkeit seines Spiels beeindrucken. Allerdings hätte man sich von Seiten der meisten Interpretinnen und Interpreten mehr Risikobereitschaft wünschen können, wenn die Partituren Mut zum Verlassen des geordneten philharmonischen Schönklangideals oder – wie im Fall von Neuwirths Komposition – ein musikalisches Über-die-Stränge-Schlagen einforderten, mit dessen sarkastischer Seite Barenboim augenscheinlich weder als Pianist, noch als Ensembleleiter oder im Gespräch etwas anzufangen wusste.

Zweifel kamen schließlich auch angesichts der Frage auf, ob die zur Aufführung gebrachten Auftragskompositionen tatsächlich repräsentativ für die globalisierte zeitgenössische Musik sind, oder ob gerade Stücke wie jene von Widmann, Jarrell, Manoury, Francesconi, Rivet und Pintscher nicht vielmehr das insgesamt doch sehr eingeschränkte Bild eines mitteleuropäischen Mainstream-Komponierens vermittelten. Nicht nur die Art, wie Barenboim und Pahud jeweils über die fraglichen Werke sprachen und ihren Gehalt zu skizzieren versuchten, legte dies nahe; in dieselbe Richtung deutete auch die Reaktion auf eine finale Frage aus den sozialen Netzwerken: Warum denn wohl auf Kuratorenseite so wenig Interesse an Komponistinnen und Komponisten aus nicht-europäischen Ländern zu erkennen sei. Der von Barenboim für solche Fälle ins Feld geführten Universalität und Weltgeltung europäischer Musik (Beispiel Beethoven) mag man als Antwort nicht wirklich vertrauen, deckt sie doch gerade jene Blöße auf, die sich als roter Faden durch alle Abende zog: dass dort, wo der Diskurs wirklich an die kritische Substanz zu gehen versprach und die Grundfesten des präsentierten Musikverständnisses berührte, die Flucht in Schlagworte gesucht und nicht auf der Höhe heutigen Denkens argumentiert wurde.

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