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Tenor Holden Madagame ist Trans-Mann und war früher Mezzosopran. Foto: Fabian Hammerl

Tenor Holden Madagame ist Trans-Mann und war früher Mezzosopran.

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Diskriminierung in der Oper den Kampf ansagen

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Abrechnung mit Sexismus und Rassismus: Opern-Wrestling-Show „It’s a Mass“ auf Kampnagel
Vorspann / Teaser

Mit Rollenklischees sind Sänger*innen nicht nur auf, sondern auch hinter der Opernbühne konfrontiert. In der freien Opernproduktion „It’s a Mass“ in Hamburg verarbeitet das Ensemble um Kerstin Steeb eigene Erfahrungen von Diskriminierung und Sexismus. „Zu bunt darf es nicht sein, zu knallig darf es nicht sein, bisschen figurbetont, aber zu weit ausgeschnitten auch nicht...“ Sopranistin Christina Schmid zählt auf, worauf sie achten muss, wenn sie sich für ein Vorsingen kleidet. Kollegin Lisa Florentine Schmalz erzählt, wie ein Regisseur sie unbedingt mit Strapsen auftreten lassen wollte, und Isabel Wamig mischt sich mit Kakaopulver ihr eigenes Make-Up an, weil es ihren Hautton in der Maske nicht gibt. Sie packen aus, was noch immer tabuisiert ist, und doch in letzter Zeit mehr Öffentlichkeit bekommt: Diskriminierung ist in der Oper Alltag, in den Inszenierungen sowie hinter der Bühne.

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Den Backstage inszeniert Regisseurin Kerstin Steeb mit: Auf der Nebenbühne kann man das Ensemble in der Garderobe beobachten und intime Gespräche belauschen. Das Ensemble nimmt diese Themen aber auch mit auf die Bühne: Der Boden ist mit Matten ausgelegt, und auf ihnen wird wie bei einer Wrestling-Show ein Match nach dem nächsten ausgerufen. Die Sänger*innen kämpfen gegen das, was sie in der Oper stört: Tenor Holden Madagame kämpft gegen einen Klappstuhl, weil ihn aufgrund seiner Körpergröße immer wieder Regisseure auf einen Stuhl stellen. Lisa Florentine Schmalz kämpft gegen die Paraderolle ihres Stimmfachs, die Pamina. Als Feministin fällt es ihr schwer, sich in diese Rolle einzufinden. Immer wieder klingen Motive aus „Ach ich fühl’s, es ist verschwunden“ an, und es wird zum Sinnbild für die Zerrissenheit, die alle Beteiligten gegenüber der Oper spüren. „Meine Liebe zur Oper ist so groß, dass mich Dinge erschüttern, die daran rütteln wollen“, sagt Regisseurin Kerstin Steeb, „ich stoße auf Hürden, die mich in meiner Arbeit behindern, und ich habe Lust, da draufzuzeigen und mich an ihnen abzukämpfen.“

Die Lockdown-Zeiten mit geschlossenen Theatern hat Kerstin Steeb genutzt, um sich tiefer mit Diskriminierung in der Oper zu befassen. Sie stellte in Frage, mit wem sie selbst regelmäßig zusammenarbeitet, und welche blinden Flecken sie hat. Dabei traf sie auf Künstler*innen, deren Perspektiven ihr bislang noch fehlten, und machte mit ihnen und aus ihren Geschichten ein Stück. Es erfordert Mut zu Verletzlichkeit, die persönlichen Diskriminierungserfahrungen öffentlich zu machen. Deshalb ist Steebs Arbeitsweise entscheidend: Sie führt lange Gespräche mit allen Beteiligten einzeln, dann gemeinsam in der Gruppe. Sie begegnet den Sänger*innen auf Augenhöhe. Das heißt: Sie hört zu, nimmt ernst, ist sich ihrer Machtposition bewusst, hinterfragt ihre Privilegien und Vorurteile. Zum Beispiel war sie überrascht über das komplexe Verhältnis von Tenor Holden Madagame zu seiner früheren Stimme. Er ist Trans-Mann und war früher Mezzosopran. „Ich habe unterstellt, dass er jetzt angekommen und glücklich ist mit seiner Stimme. Und war überrascht, als er mir erzählte, dass er seine Sopranstimme vermisst“, sagt Steeb.

Holden Madagame ist froh, in dieser Produktion mit all der Komplexität auftreten zu können. „Ich versuche meine frühere Identität nie zu leugnen, aber viele verstehen das einfach nicht“, sagt er. Er wird als Mann wahrgenommen, was ihm viele Situationen erleichtert. „Eigentlich hätte ich lieber, dass man weiß, dass ich trans und nicht binär bin, denn das ist ein sehr wichtiger Teil von mir. Wenn Freund*innen oder Kolleg*innen das nicht wissen, habe ich das Gefühl, ich muss etwas verstecken“. Doch in der Oper ist für das nonbinär sein kein Raum vorgesehen: Garderoben gibt es nur für Männer und Frauen, und auch bei der Kostümwahl: „Man muss zwischen diesen zwei wählen, und das macht mich und andere Betroffene sehr, sehr müde. Viele steigen aus.“ Er sagt, das könne man nur ertragen, wenn man die Oper wirklich so sehr liebt, dass man diesen Beruf als Berufung sieht.

Auch Sopranistin Lisa Florentine Schmalz liebt die Oper, der riesige Theaterapparat mit den vielen Gewerken habe sie immer gereizt. Doch inzwischen arbeitet sie überwiegend in der freien Szene – eine bewusste Entscheidung. „Dort habe ich andere Möglichkeitsräume, als Darstellerin und Denkerin“ – auch das ein Schmerzpunkt, den sie auf der Bühne bei „It’s a Mass“ offenbart: Ein Professor sagte ihr mal, sie singe ja wunderbar und habe großes Potenzial, wenn sie doch bloß nicht so intelligent wäre. In der freien Szene kann sie selbst Strukturen nach ihren Werten mitgestalten und erschaffen, so zum Beispiel im feministischen Kollektiv staatsoper24. Nach und nach sei sie aus der Logik einer Opernkarriere ausgestiegen: „Eine Karriere einer Sängerin oder eines Sängers ist ganz klar getaktet in verschiedene Stationen, und aus dieser zeitlichen Logik habe ich mich rausgezogen“, sagt sie. In dieser Logik sei zum Beispiel kein Platz für Elternschaft – auch ein Thema, was in der Inszenierung kurz aufblitzt: Wie getrieben rennen die Sänger*innen auf der Bühne hin und her und rufen Sätze aus, die sie sagen sollten, wenn sie sich auf eine Opernrolle bewerben. „Ich habe keine Kinder“, „Ich gebe meine Persönlichkeit an der Tür ab“, „Kein Problem, ich kann auch nackt singen“, „Ich will keine Kinder“ ...

Die bittere Realität wird in der Inszenierung teilweise überzeichnet, teilweise schlicht und unaufgeregt in authentischen Gesprächen zwischen den Sänger*innen vermittelt. Immer wieder lacht das Publikum laut über die Schilderungen von Diskriminierung, und das fühlt sich okay an, weil man spürt, dass das Ensemble es selbst in der Hand hat, wie viel es hier preisgeben möchte und in welchem Ton. An einigen Stellen merkt man an der Reaktion, dass auch Insider im Publikum sitzen, die den Opernapparat selbst kennen. Die lachen zum Beispiel besonders, als Sopranistin Lisa Florentine Schmalz die Machtverhältnisse umkehrt und den musikalischen Leiter Felix Stachelhaus anschnautzt, ihm die Schuld gibt, dass ihr die Pamina-Arie nicht gelingt. Für klassische Opernfans wird in dieser Inszenierung zu wenig gesungen, aber sie sind vermutlich auch nicht die Zielgruppe. Für weniger opernaffine tut es gut, dass sich gesprochene Dialoge, teils auf Musikbett, Arien, Pop-Songs und eingespielte Jingles wie in einer TV-Show abwechseln.

Im ironischen und zugleich wunderschönen Finale besinnt sich die Inszenierung auf die Anfänge der Gattung Oper zurück: Im barocken Stil singen die Sänger*innen „Töne entstehen durch ausströmende Luft“, und sie entschweben alle – hohe wie tiefe Stimmen, unabhängig vom Geschlecht – in die himmlische Sphäre.

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