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Mark Hightower, Tomasz Wija, Matthew Vickers, Shin Taniguchi, Dara Hobbs, Marianne Schechtel, Selcuk Hakan Tiraşoğlu. © Christina Iberl
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„Don Carlos“ in Meiningen: Ein Meisterstück von Freyer & Farrell

Vorspann / Teaser

Für Altmeister Achim Freyer ist es ein heißer Theater-Herbst: Auf die Premiere seines Meininger „Don Carlos“ am 6. September folgt sofort der Probenbeginn für seine Inszenierung von Wagners „Der fliegende Holländer“ am Theater Altenburg Gera. In Meiningen erwies sich die Zusammenarbeit Freyers mit dem jungen GMD Killian Farrell als ideales Match von Musik und Szene. Entpsychologisiert und musikalisch aufregend erlebte man eine feingeschliffene Neuproduktion von Giuseppe Verdis reichhaltigster und längster Oper in der französischsprachigen Fassung von 1886.

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Am Ende geht der dogmatisch erstarrte Großinquisitor im eigentlich zu Beginn der Neuzeit spielenden Intrigen-, Freiheits-, Liebes- und Ideendrama Friedrich Schillers und Giuseppe Verdis trotz Scherenkrücken zu Boden. Elisabeth von Valois und Don Carlos stehen starr wie Ikonen eines Freiheitskampfes, zu denen der bereits früher erschossene Idealist und Strategie Posa tritt. Bis dahin hat Achim Freyer mit wenigen Requisiten, wenigen Symbolen und einer abstrahierenden Choreographie vor farbig bewegten Stoffbahnen im Hintergrund eine bildgewaltige, plausible und eindrucksvolle Schneise durch das Werk gelegt. Die Beziehungen zwischen den Figuren sind klar entwickelt und aus dem historischen Kontext herausgeholt, die Chöre und der geheimnisvolle Mönch wirkungsvoll posiert. Generell imponiert, wie Chor und Extrachor des Staatstheaters Meiningen unter der Leitung von Roman David Rothenaicher mit passgenauer Synergie im Sinn von Killian Farrells Klangvorstellungen agieren. Auch in der größten Fülle und Flutung der Autodafé-Szene bleiben alle Stimmgruppen bestens erkennbar. 

Verdis Oper über die Machtkämpfe Frankreichs, Spaniens und der Niederlande, bei dem es keine Siegenden und nur Opfer gibt, ist allerdings noch immer kompliziert – trotz der Vereinfachungen der Librettisten Joseph Méry und Camille du Locles und deren Verzicht auf viele Episoden aus dem „dramatischem Gedicht“, das Schiller im nahe bei Meiningen gelegenen Bauerbach begonnen hatte. Im Gleichklang mit Verdi agiert Freyer ‚erinnerungsmotivisch‘. Er entwickelte für jede Figur ein spezifisches Bewegungsvokabular, was sich im Laufe des Abends durch die Interaktion einer Figur mit den anderen variiert und wandelt. Dieses erlesen Marionettenhaften entschält immer mehr auch die Verzweiflung und die Absurdität drosselnder Rituale, in denen Grausamkeit und Unrecht der Handlung immer mehr akkumulieren. 

GMD Killian Farrell zeigt für Verdis längstes Meisterstück eine transparente Strenge in ungewohnt hellen und klaren Farben. Machtdruck äußer sich nicht durch musikalischen Überdruck, denn dafür ist diese Meininger „Carlos“-Lesart viel zu raffiniert. Eher hört man von der Meininger Hofkappelle das charismatische wie perfide Glitzern der Macht. Farrell lässt sich viel Zeit für die erste Fortissimo-Volldröhnung, welche nach den ersten 100 Spielminuten erst mit dem Fortissimo-Geläute zum Autodafé beginnt. Die Stimme vom Himmel (seraphisch: Dorothea Böhm) schaut aus wie ein böser Geist von unten. Mark Hightower gibt den Großinquisitor nicht mit nachtschwarzer Stimme, sondern als scharfzüngig agilen Konversationsstrategen. Ein Bassbariton wie Hans Gebhardt für Graf von Lerme und des Herolds statt eines Tenors ist ungewöhnlich, sitzt aber überzeugend. Tomasz Wija füllt die wenigen Strophen des Mönchs mit Strahlkraft. Als Thibault tritt Sara-Maria Saalmann in preisverdächtige Konkurrenz zu den Hauptpartien. 

Dabei ist das Quintett dieser definitiv hörens- und sehenswert. Marianne Schechtel hat alle Mittel für den perfide hohen Mezzo-Part der Eboli: Pfeilgenaue Koloraturen, überlegte Höhenattacken und mit Wohlklang sogar die Haare auf den Zähnen beim Zusammenstürzen des Kartenhauses ihrer Liebe zu Carlos. Shin Taniguchi kontert als Posa mit weitaus mehr als schönen Tönen. Seine Phrasierung vereint Schärfe und Samt. Selbst bei den beiden Sterbearien verlässt er sich nicht nur auf die Flügel des Gesanges, bleibt unsentimental und eloquent. 

Dara Hobbs findet nach zahlreichen Auftritten im schweren Fach als Elisabeth von Valois endlich die für sie richtigen Vokalregionen des jugendlich-dramatischen Fachs. Bemerkenswert sind ihre klar gefassten, manchmal leicht kühl wirkenden Linien in den mittleren Registern und die feine Anreicherung des klaren Timbres mit feinherber Vibrato-Hysterie. Sie ist hier eindeutig und konform mit Verdis Komposition die komplexere dieses traurigen Paars. Matthew Vickers dagegen brilliert als Antiheld Carlos mit schmelzenden und betörenden Farben, in die er manchmal mehr Expression investiert als Farrell fordert. Schlichtweg ideal klingt Vickers in den ariosen Passagen und Romanzen-Tönen Verdis für den nur an wenigen Stellen auftrumpfenden Elegiker Carlos. Außergewöhnlich gerät die Polarisierung des Liebespaares, welches es ausgerechnet in der Intensität des melancholischen zweiten Duetts etwas aus dem Präzisionsfokus trägt. Beide profitieren von Farrells subtiler und plausiblen Verdi-Imaginationen. Selcuk Hakan Tiraşoğlu zeigt einen Philippe II:, der welcher in den Herrscheraufgaben eher flach funktioniert als das er Härten zeigt. So überzeugt dieser „Don Carlos“ neben Freyers farbsatter und anspielungsreicher Inszenierung mit einer hochkarätigen musikalischen Leistung.

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